Live fast, die young
Drei völlig unterschiedliche Charaktere, die zu Ikonen der Hippie-Kultur wurden: Nur wenige andere Musiker verkörperten den Ausbruch aus dem Mief der fünfziger Jahre so konsequent wie Janis Joplin, Jim Morrison und Jimi Hendrix. Dass sie allesamt früh vollendet abtraten, leistete der Legendenbildung weiteren Vorschub.
Es ist Juli 1966. Die unbekannten Doors haben ein Dauerengagement im angesagten Musik-Club „Whiskey a-Go-Go“ von Los Angeles und ständig Ärger mit ihrem seltsamen, aber sexy Sänger in den schwarzen Lederhosen. Jim Morrison, der ohnehin unzuverlässige, unberechenbare 22-jährige Absolvent der Filmakademie UCLA, verliert jeglichen Halt, als ihm die Einberufung nach Vietnam droht, treibt sich nächtelang herum und konsumiert Unmengen von Marihuana und LSD-Trips. Eines Abends ergänzt er sein bislang noch eher harmloses Psycho-Epos „The End“ mit jenen verfänglichen, ödipalen Zeilen, „Father? Yes, son? I want to kill you. Mother… I want to fuck you“, die seither untrennbar mit dem Mythos Morrison verbunden sind. An diesem Abend handelt er sich damit den Rausschmiss aus dem Club ein, die Band sitzt auf dem Trockenen. Doch zuhause liegt bereits seit Wochen das Angebot der Plattenfirma Elektra.
Fast zeitgleich besteht die 23-jährige Texanerin Janis Joplin ihre Feuerprobe beim ersten Auftritt mit der Hippieband Big Brother And The Holding Company im „Avalon Ballroom“ von San Francisco. Die Resonanz ist mäßig, die blues- und jazzorientierte Sängerin ziemlich eingeschüchtert, erlebt aber an diesem Abend ihre persönliche Initialzündung. „Bis dahin machte ich auf Bessie Smith – ich stand bewegungslos da und sang, mehr nicht. Aber so kann man mit einer Rockband nicht auftreten…“ Ein Jahr später ist die eigenwillige Sängerin beim International Monterey Popfestival der neue Star und wird von Bob Dylans Manager Albert Grossman unter Vertrag genommen.
Auch für den 23-jährigen Gitarristen Jimi Hendrix aus Seattle öffnet sich im Juli 1966 die Tür zum ganz großen Erfolg. Gedemütigt und genervt von seinen Jobs als Begleitmusiker schwarzer Musikgrößen wie Little Richard oder Ike Et Tina Turner, ist er in New York gestrandet. Weil er der schönen Gitarren wegen bei seinem verhassten Brötchengeber Curtis Knight bleiben will, kauft ihm seine Freundin Carol eine weiße Fender Stratocaster, auf die der Linkshänder liebevoll die Saiten aufzieht – verkehrt herum. Er gründet seine erste eigene Band, Jimmy James And The Blue Flames. Im „Cafe Wha?“ in Greenwich Village entdeckt ihn Chas Chandler, Ex-Bassist und Manager der britischen Bluesband The Animals (Eric Burdon) und holt ihn nach England.
Für Hendrix beginnt im Swinging London ein aufregendes Leben, Eric Clapton, Mick Jagger und die Beatles liegen ihm zu Füßen, die Stadt feiert auf hedonistisch-verspielte Weise eine prunkvolle Flower-Power-Party mit Pop samt verrückter Mini-Mode und Camaby-Street-Look. In Deutschland sieht es vergleichsweise noch brav aus. Der „Sommer der Liebe“, der 1966 in Amerika Tausende Teenager in die Parks zieht, kommt erst mit einem Jahr Verspätung an, und damit auch die psychedelischen Klänge von Bands wie Grateful Dead, Jefferson Airplane oder Byrds, die Beatles, Rolling Stones und Bob Dylan ablösen. Mit „Viva Maria“ gründet sich in München die erste Wohnkommune um Rainer Langhans, aus der die Kommune 1 und später dann die Gruppe Amon Düül entstehen wird. Noch protestiert man mit Langhaarfrisur, Minirock und fröhlich-provokanten Slogans wie „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ oder „Traue keinem über 30“ gegen das Establisment.
Seit dem tödlichen Attentat auf den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy 1963 lag Rebellion in der Luft. Die Welt stand Kopf, und der Blickwinkel änderte sich radikal. Die Generation der sechziger Jahre war „on the road“, um dem Biedermann-Mief der fünfziger Jahre zu entkommen.
Die Feindbilder waren so vielfältig und national verschieden, wie die phantasievollen Methoden des Protestes: In Amerika gegen den Vietnam-Krieg und die restriktiven Rassengesetze, und nach 1966 auch gegen Verbote von bis dahin legalen Drogen wie LSD oder Speed. Französische Intellektuelle und junge Filmemacher der Nouvelle Vague wie Jean-Luc Godard zettelten mit der Studentenschaft die Befreiung der Fabrikarbeiter an, im Sinne der kommunistischen Pamphlets des großen Vorsitzen Mao aus China. In Deutschland sah man diesen brisanten, internationalen Mix als Koordinatensystem für die komplette Erneuerung der Gesellschaft zwischen Selbstverwirklichung und Leben im Kollektiv.
Die deutsche Nachkriegsgeneration misstraute jeglicher Autorität. Gegen Alt-Nazis, verkrustete Bürokratie und muffige Fünfziger-Jahre-Gesetze bildete sich im Underground die Gegenkultur mit neuen Lebensformen: Kommune, Pille, sexuelle Befreiung, wilde Ehe und antiautoritäre Erziehung, Frauenemanzipation – ein ganzer Katalog von umwälzenden Gesellschaftsreformen, die erst
in den Siebzigern griffen. Dabei wurde die aufblühende Rockmusik, der Psychedelic-Sound, zum Sprachrohr der unterschiedlichen Fraktionen, und der naive, exzessive Drogenkonsum gehörte wie selbstverständlich dazu. Freiräume dafür wurden in Parks und Unis spielerisch erobert, was später zu den ersten großen Festivals auf regennassen Wiesen führte. Mit Monterey und Woodstock begann das große Geschäft mit Rockmusik, der Ausverkauf von Talenten, mit denen eine neue Industrie internationalen Handel betrieb. Doch am Anfang von all dem standen Worte wie diese:
„Ideen von einer Revolte gegen die Autorität haben mich schon immer fasziniert. Mir gefallen solche Ideen, die etablierte Ordnung niederzureißen und umzustürzen. Ich bin an allem interessiert, das mit Revolte, Unordnung, Chaos zu tun hat – vor allem an Aktionen, die keinen Sinn zu haben scheinen. Das scheint mir, ist die Straße zur Freiheit, Revolte nach außen ist ein Weg, den inneren Frieden zu erlangen… Die Welt, die wir vorschlagen, ist der Neue Wilde Westen. Eine sinnliche, böse Welt. Seltsam und qualvoll. Der Pfad der Sonne, versteht ihr? Aufs Ende zu.“
Jim Morrisons provokanter Pressetext zum ersten Album seiner Gruppe The Doors schockierte nicht nur seine Plattenfirma. Während sich weltweit die wachsende Flower-Power-Gemeinde für eine friedliche, heitere Veränderung der Gesellschaft die beiden Worte „Love Et Peace“ aufs Banner geschrieben hatte, beschwor dieser junge Wilde aus Los Angeles das düstere Mantra der Anarchisten. Und wurde damit zum umstrittenen Rebellen und Kuckuckskind seiner eigenen Generation, die sich als rebellische Vorhut der Gegenkultur sah. In einer Zeit großer Extreme war er der extreme Außenseiter. Blöd gelaufen, würde man salopp sagen, wäre da nicht rund 40 Jahre später die Erkenntnis, dass der intellektuelle Exzentriker noch heute auch bei jungen Musikern den Sixties-Rebellen per se verkörpert, während viele Zeitgenossen mitsamt ihrem Blumenkinder-Paradies dahinwelkten. „Morrison war der erotischste Bücherwurm, der je zum Mikrofon griff‘, so der Buchautor Dylan Jones, keine andere schillernde Rocklegende jener Zeit wurde zu diesem übermächtigen Mythos.
Die chaotische Aufbruchsstimmung bot für das Triumvirat Morrison, Hendrix und Joplin ideale Bedingungen, um zu Stars zu werden, ohne sich der Hippie-Ideologie unterzuordnen. Trotz Legionen großartiger Sixties-Musiker, von Grateful Dead bis Frank Zappa, steht das dreiblättrige Kleeblatt bis heute für enorme Veränderungen ohne theoretisches Konzept und konkretes, politisches Engagement. Die drei Ikonen der sechziger Jahre waren Egozentriker, Narzissten, Exhibitionisten, Selbstdarsteller, Außenseiter, extreme Persönlichkeiten und rebellierten auf höchst unterschiedliche Weise. Die ehrgeizige Janis Joplin brach mit allen weiblichen Tabus, sang schwärzer als die meisten Schwarzen und stieß mit ihrer aggressiven Körperlichkeit und ihrem exzessivem Lebensstil alle vor den Kopf. Obwohl sie zu den Galionsfiguren der Frauenbewegung gehört, wollte sie lediglich „ein Star“ werden. Dem lyrischen Gefühlsmenschen Hendrix ging es ausschließlich um das Sprengen aller künstlerischen Fesseln, der Selbstentfaltung auf der Elektrogitarre. Damit wurde er der erste schwarze Rockstar überhaupt und überwand den Rassismus so auf ganz eigene Weise.
Jim Morrison ist aus vielerlei Gründen bis heute der modernste, zeitgemäße Rockrebell, Jugendidol, Sexsymbol, Dichter, Enfant Terrible, eine komplexe Künstlerpersönlichkeit. Als Konzeptkünstler und Visionär passte er nicht in die verspielt-verträumten sechziger Jahre und war der Gegenentwurf, der schwarze düstere Engel, der alle späteren bösen Buben der Rockmusik inspiriert und Video und Multimedia vorweg genommen hat. Ursache seiner selbstzerstörerischen Wut war sein Vaterkonflikt. Der Militäroffizier George Steve Morrison befehligte bereits 1963 den größten Flugzeugträger der US-Marine mit 3.000 Mann Besatzung. Jim empfand tiefste Abscheu dem Vater gegenüber, der für ihn den Krieg und das Militär symbolisierte. Zahllose Umzüge von einem Militärstützpunkt zur anderen machten den künstlerisch begabten Jim bereits im Kindesalter zum aufsässigen, wurzellosen Menschen, der sich eine eigene Parallelwelt aus den Werken großer Dichter und Denker schuf. Morrisons erstes Musikidol war Elvis. Später auf der Bühne ahmte er dessen laszive Bewegungen nach, da aber hatte er längst seine eigentlichen Vorbilder entdeckt, Amerikas verfemte, schwarze Musiker, weshalb er sich am liebsten in Blueskaschemmen herumtrieb. Als der Schriftsteller Jack Kerouac 1957 den Kultroman „On The Road“ veröffentlichte, war Morrison geradezu elektrisiert, denn die Beat Generation und Schriftsteller wie William S. Burroughs, Norman Mailer und Henry Miller vertraten bereits in den fünfziger Jahren eine radikal individualistische Einstellung und ekstatische Lebensweise jenseits des bürgerlichen Alltags. Das Slang- und Drogenvokabular der Jazzmusik war die adäquate Ausdrucksweise für ihre Rauschzustände. Da sich die Beat-Poeten zudem auf Dichter wie Arthur Rimbaud, Charles Baudelaire, auf Sokrates und die mythologischen Götter Bacchus und Dionysos beriefen, braute Morrison daraus seinen eigenen Psycho-Textmix, angereichert durch die Drogenexzesse und archaischen Rituale der Hippies.
Die Beatnik-Philosophie verband ihn mit Janis Joplin. Auch das brave Texasgirl mit der enormen Stimme büchste aus dem streng-bürgerlichen Elternhaus aus, als sie Kerouacs „On The Road“ gelesen hatte. Und musste als junge Frau deshalb mit ganz anderen Problemen kämpfen, wie die amerikanische Autorin Alice Echols beschrieb: „Dies war schließlich das Nachkriegsamerika, in dem Mädchen sexy und nicht sexuell zu sein hatten.“ In einer männerdominierten Welt vollbrachte Janis einen gefährlichen Drahtseilakt. Als zügelloser Tramp verstieß sie gegen alle Konventionen und pendelte bis zu ihrem Tod zwischen Bürgerlichkeit und Boheme. Was männliche Rockstars faszinierend machte, wurde ihr vorgeworfen: Bad Boys ja, Bad Girls – nein.
Nach ihrem Überraschungserfolg beim Monterey Pop Festival 1967 erklärte sie: „Ich bin als Beatnik ins Leben gegangen. Beatniks lehnen die Gesellschaft ab und sind enttäuscht von der Welt. Sie glauben nicht, dass die Dinge besser werden. Ich bin nicht die Sprecherin meiner Generation. Ich nehme nicht mal Acid. Ich trinke.“ Noch eine Parallele zu Jim Morrison, aber bei weitem nicht die ganze Wahrheit.
Die Doors waren zum ersten, großen Event der Rockgeschichte nicht eingeladen. Dazu Schlagzeuger John Densmore: „Man hatte die Doors nicht zufällig übersehen. Unsere düstere Musik passte einfach nicht zu dieser weltweiten Mediendemonstration von Flower Power.“ Das Monterey Pop Festival vom 16.-20. Juni Zappa, steht das dreiblättrige Kleeblatt bis heute für enorme Veränderungen ohne theoretisches Konzept und konkretes, 1967 mit Künstlern von Jimi Hendrix bis zu The Who wurde von Filmemacher DA Pennebaker in seiner legendären Dokumentation festgehalten. Ersetzte sogar einen zweiten Auftritt von Janis Joplin durch, um sie mit ihrer Band für „Monterey Pop“ aufzeichnen zu können. Einen Monat später standen die Doors auf Platz eins mit ihrer Debütsingle „Light My Fire“, die auch in Europa bei jeder Demonstration entsprechend zündete.
1968 wendete sich das Blatt, statt Blumen flogen jetzt Bomben. Auch in Deutschland eskalierte die Gewalt nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April. Die „Notstandgesetze“ lösten eine Demonstrationswelle aus, bei der auch der allererste Auftritt von Amon Düül in München stattfand, die sich als musikalische Kommune definierten und die „kollektive Anarchie“ forderten. Im Paris kam es im „heißen Mai“ zu großen Straßenschlachten, im August beendete die Sowjetarmee militärisch-blutig den „Prager Frühling“. Der gewaltsame Tod des amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King am 4. April führte zu den größten Rassenunruhen Amerikas. Janis Joplin trat bei einer Benefizshow für die Bürgerrechtsbewegung und einer Wahlveranstaltung von Robert Kennedy auf, der kurz darauf ebenfalls erschossen wurde. Danach kam es beim Parteitag der Demokraten in Chicago zu den größten Straßenschlachten der US-Geschichte – und dem ersten Doors-Skandal ebendort auf der Bühne. Der neue Song „Unknown Soldier“ stand unter Radioboykott, Morrison heizte die Stimmung mit einem selbstgedrehten Film auf, in dem er wie Christus ans Kreuz genagelt hängt. Während Blut aus seinem Mund fließt, zielt Robbie Kriegers Gitarre auf ihn wie ein Maschinengewehr. Um sich aus der Schusslinie des Kugelhagels seitens der Medien zu ziehen, brachen die Doors zur ersten Europatournee auf und wurden in England als „DIE politische Protestband Amerikas“ begrüßt. Die SBC hielt jeden Schritt der Band für die Filmdokumentation „The Doors Are Open“ fest, Morrison war überzeugt, „die hatten ihren Beitrag ideologisch schon vor unserem Eintreffen festgelegt.“
Tatsächlich waren 1969 die Doors Amerikas erfolgreichste und umstrittenste Band. Sie spielten in New Yorks Madison Square Garden vor 20.000 Besuchern, doch Morrison suchte neue Herausforderungen für die Bühne. Eine Theateraufführung des experimentellen Living Theatre lieferte die Blaupause für den wohl größten Skandal der Rockgeschichte – und das Ende der Doors. Die Publikumsbeschimpfung des Theaterkollektivs stachelte Morrison dazu an, ausgerechnet in seinem Geburtsort Miami, Florida, eine Show abzuziehen, bei der öffentliche Aufwiegelei samt Trunkenheit und Gotteslästerung noch die geringsten Verfehlungen waren. Es ging um sexuelle Zurschaustellung, und dafür wurde er vom FBI steckbrieflich gesucht, was einem Auftrittsverbot gleichkam. Inzwischen war der einstige Adonis ein schwergewichtiger Alkoholiker mit Vollbart, der nach dem Tod von Rolling Stone Brian Jones am 3. Juli eine verwirrende Ode dichtete.
Janis Joplin wiederum wurde ein Opfer der eskalierenden Rassenkonflikte, weil sie es wagte, mit ihrer neuen Band Kosmic Blues in die Fußstapfen schwarzer Sängerinnen zu treten. Dieser Sündenfall führte ausgerechnet in der linken Presse zu einer hämischen Medienkampagne. Weshalb auch sie nach Europa auswich und dort im April 1969 Erfolge feierte. Zu diesem Zeitpunkt legten sich Yoko Ono und John Lennon für ein weiteres „Bed-In“ ins Hotelbett und komponierten „Give Peace A Chance.“ Und Deutschland erlebte die sogenannte „Underground Explosion“ mit zahllosen Progressive-Rock-Bands, die jegliche Kommerzialität ablehnten, um das Erbe der Hippies zu retten.
Das Jahr 1969 endete für Jim und Janis eher nüchtern. Trotz Woodstock, dem größten Festival-Mythos der Rockgeschichte. Die Doors waren gar nicht da, weil Morrison beschlossen hatte, dass Open Airs nicht seine Sache seien, woraufhin das Gerücht umging, er würde gar nicht mehr leben. Die Joplin war dermaßen auf Drogen, dass sie den Auftritt vermasselte und weder im offiziellen Festivalfilm, noch auf dem Doppelalbum berücksichtigt wurde. Erst sehr viel später tauchten in DA Pennebakers Backstage-Dokumentation Aufnahmen von ihr auf. Nur Jimi Hendrix konnte in Woodstock triumphieren.
Im November begann der zermürbende Miami-Prozess gegen Jim Morrison, Janis verbrachte wegen Aufruhrs bei einem Liveauftritt eine Nacht im Gefängnis. Ein Toter beim Altamont-Festival am 6. Dezember besiegelte endgültig den Traum vom friedlichen Hippieleben. Der Rausch war vorbei, 1970 holte alle die Realität ein. Morrison in Form seines Gerichtsurteils, wonach ihm insgesamt fünfeinhalb Monate Zuchthaus wegen Gotteslästerung und sexueller Entblößung drohten. Janis legte sich mit dem Alter Ego Pearl ein neues Image als frühes Punk- und Riot-Girl zu und begann mit den Aufnahmen zu ihrem posthum veröffentlichten Album „Pearl“. Der Drogentod von Jimi Hendrix am 18. September riss beide kurzfristig aus ihrer Lethargie. Bei einem letzten Treffen von Janis und Jim meinte dieser nach etlichen desaströsen Konzerten, er würde nie mehr auf die Bühne zurückkehren.
Am 4. Oktober war auch Janis nach einer Überdosis Heroin tot, und Morrison erklärte seinen Saufkumpanen, „ihr sprecht mit der Nummer drei!“ Am 8. Dezember, seinem 27. Geburtstag, nahm er in trunkenem Zustand seine Gedichte in einem Plattenstudio auf, flüchtete danach mit Freundin Pamela nach Paris, um seiner Haftstrafe zu entkommen und als Schriftsteller ein neues Leben zu beginnen. Es endete am 4. Juli 1971 genauso schäbig wie das von Jimi und Janis. Die ungeklärten Umstände seines Todes in der Badewanne schüren bis heute Verschwörertheorien und den Mythos Morrison. Doors-Schlagzeuger John Densmore dazu: „Ich glaube, dass dieser kreative Energieausbruch damals schwer durchzuhalten war und die Sensiblen immer auf dem Höhepunkt ihrer Karriere sein wollten – alles darunter befriedigte sie nicht.“ In Deutschland formierten sich weiterhin Bands, die, politisch korrekt, keinen Star duldeten und weiterhin die kreative Kollektividee verteidigten – neben Amon Düül und Amon Düül II auch Ton, Steine, Scherben, die lautstark und in wütender Resignation über das Scheitern einer Generation, die angetreten war, die Welt friedlich zu verändern, proklamierte: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ Die deutschen Späthippies sangen vor, was die britischen Punks kurze Zeit später in „Hate &t War“ ummünzten.
Rebellen haben es schon im Leben nicht leicht, doch nach dem Tod scheint es wirklich problematisch zu werden – glorifizierende Lügen, romantische Legenden und autoritäre Erben. „Lebst du den Mythos, oder lebt der Mythos dich?“ schrieb CG. Jung, ein Lieblingsautor von Morrison. Janis Joplin wurde nach ihrem Tod überwiegend von der Lesbenbewegung als Märtyrerin und Opfer vereinnahmt. Ihre Familie setzte indes alles daran, dass „das schwarze Schaf“ möglichst schnell vergessen werde. Lange boykottierte sie Wiederöffentlichungen auf CD, zuletzt sogar den geplanten Spielfilm mit Pink in der Hauptrolle. Janis‘ Schwester Laura schrieb in einer Buch-Biografie – „Love Janis“ – gar das Leben von Pearl familienverträglich um.
Erben und Scherben auch im Falle Jimi Hendrix. Nach jahrzehntelangem Rechtsstreit erhielt der verhasste Vater die gesamte Penunse und hatte nicht mal die wenigen Peanuts übrig, um das öffentliche Denkmal in Hendrix‘ Geburtsstadt Seattle instand zu setzen. Es steht übrigens im Zoo, das Denkmal. Die hochbetagten Morrison-Eltern, im Besitz des Gesamtwerkes, zensieren den Abdruck kompletter Songtexte und Gedichte und drängen immer noch darauf, dass seine sterblichen Überreste mit „militärischen Ehren“ nach Amerika umgebettet werden.
In seinem Gedicht „The Movie“ rezitierte Morrison 1970, „Did you have a good world when you died? Enough do base a movie on?“ Für Erfolgsregisseur Oliver Stone war dies die Aufforderung, zum 20. Todestag 1991 den umstrittenen Spielfilm „The Doors“ zu präsentieren, ein spekulatives Machwerk aus Sex, Drugs & Rock’n’Roll ohne jegliche Sensibilität und Sinn für Fakten. Hollywood at its worst.
Morrison, der um die Verlogenheit der Traumfabrik wusste, amüsierte sich vermutlich in seinem Grab, falls er tatsächlich in nämlichen auf dem Pariser Friedhof Pere-Lachaise liegen sollte. Noch mehr Kolportage kam ausgerechnet von Doors-Keyboarder Ray Manzarek 1993, der in seinem Buch „Die Doors, Jim Morrison und ich“ die abenteuerliche These vertritt, Jim habe seinen Tod lediglich inszeniert, um als Nobody unterzutauchen und anderswo ein völlig neues Leben zu beginnen. Hat er Morrisons ironischernüchternde Worte zum Thema Rockheld nur falsch interpretiert? „Ich halte mich für einen intelligenten, sensiblen Menschen mit der Seele eines Clowns, die mich in entscheidenden Momenten dazu zwingt, alles zu vermasseln.“