Back to black? Amy & Co:Sixties-Soul im Sommer ´08
Duffy und Amy, Adele und Estelle - der Sommer 2008 klingt wir zu besten Motown- und Stax-Zeiten. Wie kommt's? Und was steckt hinter der aktuellen Soulwelle?
Das Wort Retro hat im Popgeschäft einen schlechten Geschmack. Zumindest in Europa. Wer hier Retro sagt, meint meistens Kopie. Wie viele Bewunderer hat man nicht schon schlingern gesehen im Bemühen, eine Musik um Gottes Willen nicht Retro zu nennen? In den USA ist man da entspannter. Die Vokabel „vintage“ adelt das Gestrige als etwas, das man sorgfältig hegt, inklusive des teuren Instrumentariums: restaurierte Gitarren, Uralt-Drumsets, Röhren-Mikrophone und richtige Bandmaschinen. Bisweilen tragt das fetischistische Züge. Jedenfalls: Vintage ist eine Auszeichnung, Retro ein Schimpfwort.
Das aktuelle Soul-Revival boomt auf beiden Seiten des Atlantiks und liefert nicht mehr bloß die Samples für HipHop-Tracks. Soul ist wieder eine eigenständige Massenmusik, angeführt von Amy Winehouse, Duffy und Adele. Von drei weißen britischen Sängerinnen. Ist das alt oder schon wieder neu, gepflegte Tradition oder verstaubter Traditionalismus? Und wo dockt der Neo-Soul an seine eigene Zeit an? Sicher ist, dass nicht die Hautfarbe das neue Soulfieber ausgelöst hat. Weiße Stimmen klingen wie schwarze – und manchmal auch umgekehrt, wie wir sehen werden. Der historische Kampf um afroamerikanische Bürgerrechte zum Beispiel zittert kaum durch die aktuellen Schreie, Streicher und Synkopen. Und doch verrät diese Musik viel über den Umgang mit (Musik-)Geschichte. Besonders deutlich sieht man dies an den Rändern der Mainstream-Erfolge von Winehouse & Co.
Erstes Beispiel: Als der Amerikaner Gabriel Roth, unter dem Namen Bosco Mann das Mastermind hinter US-Soulerin Sharon Jones & The Dap Kings, das Label Desco betrieb, suchte man auf den Tonträgern vergebens nach den Aufnahmedaten. Ein bewusstes Verwirrspiel: alt oder neu? Im Zweifelsfall natürlich alt. Roth/Mann schrieb dann vor einigen Jahren in die Liner Notes der ersten Dap-Kings-Platte, die Menschheit habe in den Sechzigern mit den Schreien von Otis Redding ihren Höhepunkt erreicht. Wir sind in den Vereinigten Staaten, dem so jungen Land, das seine Geschichte genau deshalb gerne betont. Wir sind aber auch in der Gegenwart: Die Bläser der Dap Kings unterstützen neben Sharon Jones noch Amy Winehouse und sind auf der neuen Platte von Al Green zu hören. Zweites Beispiel: Der Brite Jamie Lidell mit Teilwohnsitz Berlin, einst nervöser Technofunker von Super Collider, hat mit „Jim“ sein drittes Soulalbum am Start, doch die Elektronika sind verschwunden. Die großen Plattenfirmen in Amerika rissen sich um die Aufnahmen, doch Lidell wollte Indie bleiben. Als er seinem englischen Label Warp die Platte „Jim“ vorspielte, kriegten die Bosse Muffensausen. Ob er nicht hier und da noch etwas Fiepen und Knacken einfügen könne. Etwas Gegenwart oder was Warp darunter verstand. Lidell blieb stur: gegenüber den amerikanischen Majors und auch gegenüber Warp, wo man das Retro-Verdikt fürchtete. In Europa, der Wiege der klassischen Musik, hat man Angst vor Klassizität. Vor Geschichte.
Die Rückkehr der Soul Music wurde in England erfunden: von Mark Ronson, dem maßgeblichen Architekten von Amy Winehouses Millionenseller „Back To Black“. Ronson entwarf auch der jungen Adele den besten Song ihres Debüts „19“: „Cold Shoulder“ ist eine Nummer, die von HipHop und britischem Rave soviel weiß wie von altem Soul. Deutlicher als bei Winehouse macht Ronson in diesem Adele-Track klar, dass er ein Update der Soul-Matrix entwirft.
Gar keine Zweifel lässt er auf seinem Soloalbum aufkommen, es trägt die Veränderung als Prinzip bereits im Titel: „Version“. Das verrät das Denken des DJs. Und deshalb verleimt Ronson auf seinem Coveralbum amerikanische Soultradition mit der Geschichte britischer Tanzkulturen. Im Song „The Only One I Know“ singt Robbie Williams eine Hymne aus Manchester-Rave-Tagen (The Charlatans, 1990). Begleitet wird der Popstar bei diesem euphorisierenden Stück Musik von Ronson selbst und den kompletten Dap Kings. Es ist alles da, was Retro-Soul heute ausmacht: die Bläser, die doppelten Funk-Gitarren, das luftige Schlagzeug (endlich tänzeln die Grooves der Funk- und Souldrummer wieder!). Und doch mutet „The Only One I Know“ keine Sekunde lang retro an. Diese Soulversion klingt anders als die rohen Platten von Sharon Jones, die geschmeidige neue von Al Green oder die smarte von Jamie Lidell. Trotz klarer Retrosignale wirkt diese Platte neu – und weder besonders schwarz noch besonders weiß.
Die meisten britischen Soul Acts stehen in ihrer eigenen Tradition des transatlantischen Feedbacks. Es ist die Tradition des Northern Soul, die in die frühen sechziger Jahre zurückreicht. Damals horteten exzentrische Sammler mit Vorliebe jene Black Music, die in Amerika längst aus der Mode gekommen war. In seinem Buch „Blues People“ nannte der afroamerikanische Autor LeRoi Jones die Briten deshalb die „Hüter des Blues von gestern“. Hip wurde die Subkultur des Northern Soul erst, als man ab Mitte der Sechziger in den Clubs von Manchester immer seltenere Soulplatten spielte, welche die DJs auf Flohmärkten in Miami gefunden hatten.
Der Northern Soul war eine reine DJ-Kultur, die irgendwann in Purismus erstarrte. Doch als Einfluss auf britische Bands und Bewegungen blieb er lebendig, etwa bei Paul Weller (The Jam, The Style Council) und besonders beim Manchester-Rave Anfang der neunziger Jahre (Happy Mondays, Stone Roses, Charlatans). Nicht von ungefähr covert Mark Ronson auf seinem Soloalbum neben den Charlatans auch einen Titel von The Jam – „Pretty Green“, mit der New Yorkerin Santi White alias Santogold am Mikro.
Winehouse, Duffy und Adele mögen diesen Trend personifizieren. Aber gerade die Alben von Duffy und Adele können nichtauf ganzer Linie überzeugen. Mit Phil Spector, der Produzentenlegende des Girl-Group-Sounds der sechziger Jahre, lässt sich sagen: „Two hits and ten pieces of junk.“ Interessant sind die beiden Platten da, wo sie über ihren reinen Retrocharakter hinaus die Nähe zur britischen Dance-Geschichte suchen. Duffys Hit „Mercy“, eine Mischung aus Ben E. Kings „Stand By Me“ im Bass und Joe Zawinuls „Mercy, Mercy, Mercy“ in der Harmonie, zitiert zwar Spectors dichte Produktionsweise, verbündet sich im Videoclip aber auch mit der nach wie vor lebendigen englischen Northern-Soul-Clubszene. Wichtig zudem sind moderne Beats und Tanzbarkeit. Trotzdem, die Musik allein kann den großen Erfolg der aktuellen Soul-Sause nicht erklären.
Was das Revival zusammenhält, ist vielleicht das Versprechen auf Echtheit. Es muss wieder nach echtem Leben riechen, nach echten Chancen. Aber auch nach echten Tragödien. Der britische, künstlichere Soul verlagert diese Sehnsucht von der Musik hin zur Inszenierung. Adele wird von ihrer schieren Jugend geadelt oder verstaubter Traditionalismus? Und wo dockt der Neo-Soul an seine eigene Zeit an? Sicher ist, dass nicht die Hautfarbe das neue – so jung, so authentisch. Duffy hingegen steht für das Mädchen vom Lande mit walisischem Akzent, das nun in der Großstadt singt. Nicht von ungefähr erinnert das an die amerikanischen Gospelsängerinnen, die einst zum Soul gewechselt waren. Ein Schritt von der Kirche in den Sündenpfuhl. Ist es daher Zufall, dass der Boulevard in Amy Winehouse seine ganz große Tragödin gefunden hat?
Winehouse stellt die handelsüblichen Makel der Menschheit zur Schau: Alkohol, Drogen, Exzess. Beschäftigungen, denen die amerikanischen R&B-Diven wie Beyonce und Mary J. Blige nicht oder nicht mehr nachgehen. Die sterilen Produktionen der Amerikanerinnen und ihre gespenstisch perfekten Konzerte erscheinen so wasserdicht wie die Bilanzen eines multinationalen Unternehmens. Beyonce und Mary J. sind überirdisch, out of this world. In einem afroamerikanischen Kontext bedeutet das aber mehr als bloße Erfüllung von Leistungsdruck und Hinnahme neoliberalen Optimierungszwangs. Denn ihre Perfektion wirkt wie die Schwundstufe einer schwarzen Musiktradition, in der auch so etwas wie SciFi-Klangvisionen gepflegt wurden. Einst standen dafür Leute wie Sun Ra und George Clinton, denen das Spaceship ihrer Musik Ausdruck fundamentaler Fremdheit und der Hoffnung auf Erlösung von irdischen Mühen war. So gesehen ist Beyonce der Roboter oder das Alien des Soul. Ihr letztes Album, „B’Day“, eröffnete sie mit der Nennung übereinander geschichteter Instrumente: „Bass, Hi-Hat, 808“. Die analoge Drum-Machine Roland TR-808 steht für Techno, ein Echo aus Detroit, und hat im Retro-Soul von Winehouse und Co. nichts verloren. Beyonce ist zutiefst modern, Amy und Duffy sind eher klassisch. Der mediale Untergang von Winehouse, der von unglaublichen Verkäufen – auch in den USA – begleitet wird, ist das Gegenteil des verchromten US-Soul. Wenn jemand so tief fällt wie Winehouse, muss es sich um einen echten Menschen handeln. Sterben kann schließlich nur, wer mal gelebt hat. Das ist ungemein beruhigend. Und mit Sicherheit echt.
Im aktuellen Markt der Retortensänger und Castingshows versteht man den Wunsch nach etwas Realness gut. Die Sehnsucht nach dem Echten kannte aber schon der historische Soul. „Naturalness“ ist ein Begriff, den man in den Sechzigern bemühte, um mit schwarzer Musik Momente der Unmittelbarkeit zu beschreiben. Heute wirkt das unfreiwillig rassistisch: Der schwarze Mann in der echten Natur, der weiße im künstlichen Studio?
Ob Realness oder Naturalness – die Begriffe sind austauschbar. Manchmal auch die Zeiten. Denn im Grunde hatte auch der Soul der sechziger Jahre ein Realness-Problem. Was die berühmten Soulschmieden, Stax im Süden und besonders Motown im Norden, feierten, waren eben nicht die Straße und die Probleme der schwarzen Bevölkerung. Vielmehr feierte man die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs und der lückenlosen Integration. Ein Traum, der sich spätestens mit der Ermordung Martin Luther Kings als Illusion entpuppte. Nun berufen sich weiße Britinnen wie Winehouse, Duffy und Adele auf diese Musik und damit auch auf diese Zeit. Eine Musik, die vor Funk und HipHop zurückgeht. Vor die Radikalisierung. Vor die Zeit, als Black Music wieder „conscious“ wurde und ein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Probleme entwickelte. Die neuen britischen Souldamen mögen das Bedürfnis nach Erdung und Tragödie virtuos erfüllen. Soziale oder politische Farben, und seien es jene der Assimilierung, sind ihrer Musik jedoch fremd. Gerade diese Aussparung rückt Winehouse ft Co in die Gegenwart. In die Gegenwart eines Barack Obama, der in seinem Wahlkampf darauf achtet, seine Hautfarbe gerade nicht zum Thema zu machen.
Wohin also hat sich die Hitze im aktuellen Soulfieber verzogen? Dorthin, wo die Popmusik sich schon immer mit der Avantgarde getroffen hat: in den Sound, den Klang. Während die Klangqualität von Streamsund Klingeltönen der CD noch immer das Wasser nicht reichen kann, wächst gleichzeitig die Bedeutung der einzelnen Sounds. Der Popkonsument lernt klanglich zu differenzieren und nähert sich darin dem Klassikliebhaber an. Er lernt Versionen und Bezüge zu unterscheiden. Lustigerweise liegt das am Medium, das ihm die schlechte Tonqualität beschert: an der digitalen Datei, die tatsächlich nichts weiter mehr bietet als den puren Klang -Platten- und CD-Covers braucht sie nicht. Wen wundert’s da, dass für Videos heute längst nicht mehr so viel Geld ausgegeben wird wie zu Hochzeiten des Musikfernsehens? Die Soulwelle, prallvoll mit Geschichte, ist vielleicht das erste sichtbare Beispiel für einen völlig veränderten Musikkonsum. Ein Konsum, der sehr schnellen und sehr breiten Zugriff auf die Archive ermöglicht. Und damit den musikalischen Geschmack laufend verfeinert. Pop ist klassisch geworden. In der Oper fällt es tatsächlich kaum ins Gewicht, ob ein Sänger schwarz oder weiß ist. Laien hören den Unterschied nicht. Und Jamie Lidell klingt auch für Experten schwarz (was
früher – für heutige Ohren kaum vorstellbar – vielen selbst mit Elvis Presley so ging). Lidells weiße Stimme ist ein täuschendes Echo auf Otis Redding, auch Wilson Pickett hört man mit. Die schwarze, 52-jährige Sharon Jones kultiviert derweil einen kehligen Biss, der sich ebenso am Southern Soul des Stax-Labels orientiert wie Jamie Lidell auch.
Wenn die Herkunft, analog zum Klassikbetrieb, künstlerisch belanglos bleibt, wird damit auch eine soziale Utopie formuliert: Worin besteht denn der Unterschied zwischen dem hippen Lidell und der eher konventionellen Jones? Der Unterschied liegt in der Produktion. Im Sound. Bei Jones klingt es alt und organisch wie die historische Aufführungspraxis eines Barock-Ensembles. Es klingt vintage. Bei Lidell klingt es dann doch, als wären die Instrumente am Rechner noch einmal verschoben, gekappt und verändert worden. Es klingt retro. Letztlich aber zerfallen derlei feine Unterschiede in portablen Abspielgeräten oder im Auto zu Staub. Zeit also, dass der Soul die Opernhäuser besetzt. –
Jenseits des Soul-Revivals kündigt sich in den Clubs, auf den globalen Tanzflächen dieser Welt, eine kräftige Musik an, die das Spiel um Hautfarbe noch weiter entgrenzt. Die meist weiblichen Stimmen heißen M.I.A. und Santi White alias Santogold, sie stammen vielleicht aus Sri Lanka, England oder den USA, sie sind vielleicht weiß, braun oder schwarz. Sie leben in Brooklyn und lieben die Beats, die Bässe und die Sounds aus Armenvierteln, die sie nie gekannt haben. Und immer wieder: Reggae und Dub. Ihre Produzenten – Diplo oder Switch – bereisen die Favelas von Rio wie einst die Briten die Flohmärkte von Miami.
Diese Künstlerinnen erzählen damit nicht nur von ihrer eigenen Welt, sondern auch von der anderer. M.I.A. bevorzugt das kompromisslose Spiel, ihre Regeln sind keine Regeln, das ballert mal ghettomä’ßig hart und dann wieder sweet wie eine Bollywood-Disco. Die Afroamerikanerin Santogold dagegen gießt ihre Musik in richtige Songs. Und klingt, wenn sie will, auch mal wie die Pixies, die Verköperung von zickigem, schneeweißem Indie. Santogold macht den Schritt, den sich Barack Obama noch nicht traut – sie sagt sinngemäß: Fuck die Hautfarbe, Baby!