Der Wert der Musik
YouTube und GEMA streiten sich immer heftiger. Doch worum geht es eigentlich? Und warum fällt es so schwer, einen Kompromiss zu finden?
Als bei YouTube immer mehr Videos gesperrt wurden, hatte man die Plattenfirmen in Verdacht. Schließlich hören wir auf der Streaming-Plattform des Google-Konzerns kostenlos Musik – tun also das, was die Musikindustrie in die Knie zwingt. Doch dann erfuhren wir, dass es sich ganz anders verhält: YouTube ist ein Radio! Die Labels wollen, dass es spielt, weil sie Geld von YouTube kassieren. YouTube will, dass es spielt, um Werbung zu platzieren. Und die Künstler wollen, dass es spielt, um ihren Ruhm zu mehren.
Nur die GEMA, die will nicht. Jedenfalls nicht, bevor die Vergütung der Autoren, deren Werke auf YouTube zur Aufführung kommen, rechtlich geregelt ist. Dass es solange dauert, hat laut GEMA unter anderem folgenden Grund: Im Gegensatz zu den Verwertungsgesellschaften anderer Länder hat die GEMA bereits früher Lizenzverträge mit YouTube geschlossen und entsprechende Erfahrungen gemacht, die nun zu einer gewissen Beharrlichkeit führen. Unsinn!, kontert YouTube und wirft der GEMA Verschleppung und Geschäftsverhinderung vor. Die GEMA: Rächer der Rechtlosen oder Spielverderber?
Die Antworten pendeln derzeit oft zwischen zwei Klischees. Doch weder ist die GEMA bloß ein Club älterer Schlagersänger (sondern der Garant für Autoren für ein einigermaßen geregeltes Einkommen), noch ist YouTube ein wohltätiger Verein (sondern eine Konzernabteilung, die angeblich etwa eine Milliarde Euro jährlich umsetzt). Und die Plattenbosse? Deren Getöse wirkt seltsam, weil sie ihre Schäfchen längst ins Trockene gebracht und Deals mit YouTube abgeschlossen haben. Möglich, dass der Aufschrei nur bedeutet: Wenn die Gerichte der GEMA recht geben, wird YouTube den Majors nicht mehr soviel zahlen können wie bislang. Komisch nur, dass die großen Firmen in den meisten Fällen zugleich die Verlagsrechte ihrer Bands haben – also von GEMA-Einnahmen profitieren.
Die Auseinandersetzungen mit YouTube sprengen diesmal den Rahmen der üblichen Streitereien, weil die Ergebnisse richtungsweisend sein werden. „Wir haben ein Interesse, mit allen Musikrechteinhabern zusammenzuarbeiten und wollen, dass alle Beteiligten angemessen vergütet werden“, erklärt YouTube-Pressesprecher Stefan Keuchel. „Das wesentliche Problem ist, dass die GEMA ihre Tarife nicht an die wirtschaftlichen Realitäten angepasst hat. Ohne diese Erdung verhindern solche Tarife Geschäft und damit auch Erlöse für die GEMA-Mitglieder. Deswegen fehlt es in Deutschland an werbefinanzierten On-Demand-Diensten wie Spotify oder YouTube.“ Ist die GEMA also zu gierig? „Unsere Politik ist, dass wir beharrlich bleiben, wenn es um eine angemessene Vergütung der Künstler geht, die wir vertreten“, sagt Alexander Wolf, GEMA-Syndikus für internationale Fragen, diplomatisch. „Von Gier kann keine Rede sein. Wir wären ja froh, wenn wir genauso viel bekämen wie die Labels.“
Knackpunkt der durch die Fortsetzung einer GEMA-Klage aus dem Jahr 2010 wieder heftiger gewordenen Auseinandersetzung ist laut YouTube die Mindestvergütung. Die GEMA will Geld für alle ihre Autoren, auch für kaum bekannte, bei denen sich das Schalten von Werbung nicht lohnt. YouTube will das verhindern. „Das ist ein Konstrukt, das aus dem Paid-Download-Bereich kommt und mit der Realität von werbefinanzierten Services nichts zu tun hat“, sagt Keuchel. „Für YouTube wäre dann in erster Linie das Hosten von Hits interessant.“ Aus YouTube würde ThemTube, eine Art Web-MTV, das nur zeigt, was Geld bringt. „Die Mindestvergütung soll die wirtschaftliche Entwertung eines Musikwerkes verhindern“, sagt Wolf. „Das Geschäftsmodell von YouTube löst diesen Mechanismus auf. Gerade im Bereich der werbefinanzierten Dienste muss eine abrufbezogene Mindestvergütung zur Anwendung kommen.“
Wie viel muss YouTube nun also zahlen? Mauert die GEMA, weil sie den Anschluss verpasst hat? Und welcher Teil der YouTube-Werbeeinnahmen – die ja nicht nur durch direkt in Videos platzierte Werbung erzielt werden – muss an die Urheber zurückfließen? Schließlich: Was ist Musik eigentlich unabhängig von ihrer Chart-Notierung wert?
Gut, dass darüber gestritten wird.
Jörn Schlüter