Die neue Welle schwappt noch
Phil Oakeys angejährte Truppe unterschied sich auf erfrischende Weise von ähnlichen Eighties-Nostalgikern.
Human League
Hamburg, Große Freiheit 36
„Orchestral Manoeuvres In The Dark verkaufen ihre Comeback-Konzerte ständig aus“, ächzte ein Mitarbeiter des Veranstalters vor Showbeginn. „Hier ist gerade ein Drittel der Karten weg. Dabei sind die hier viel besser!“
Die Investition eines Babysitters dürfte sich jedenfalls für all jene Anwesenden gelohnt haben, die eine solche getätigt haben – zumindest nachdem das Fiction-Factory-Revival einer Band mit dem wenig originellen Namen Performance im Vorprogramm überstanden war.
All die älter gewordenen Fans von einst, die an diesem Abend dem Rummelplatz-Sound des neuen Human-League-Albums „Credo“ trotzten und sich der „Welche Halbglatze war zu New-Wave-Zeiten eine Vogelnest-Frisur“-Preisfrage alter Bekannter aussetzten, hingen ihrem aufgekratzten und agilen Idol bereits beim Intro „Never Let Me Go“ an den Lippen.
Phil Oakey, der Human League 1978 mit den späteren Heaven-17-Machern Martyn Ware und Ian Craig- Marsh gegründet hatte, kann seiner Band, die einst als „Zukunft der Popmusik“ galt, mit 55 Jahren immer noch einen futuristischen Touch verleihen: Die Bühne enterte er in einem schwarzen Mantel mit zusätzlicher Kapuze, wie ihn Keanu Reeves in seiner Rolle als Neo in den „Matrix“-Filmen trug. Später präsentierte er ein ähnliches Outfit in Weiß.
Human League öffneten von Anfang an die Best-of-Schatulle. Mit „Open Your Heart“, dem vermeintlichen großen Hit, sowie dem tatsächlichen Megaerfolg „Don’t You Want Me“. Überraschenderweise waren es trotzdem die Singles der späten und wenig spektakulären Alben (wie „Tell Me When“, „Heart Like A Wheel“ und „All I Ever Wanted“), die neben „Love Action“ und eben „Don’t You Want Me“ den größten Jubel und Applaus einheimsten.
Mehrere Dekaden, mehrere Inkarnationen: Die Zeitreise startete beim frühen „Empire State Human“, dem Urgezirpe des Synthiepop („Hallo, Markthalle!“, erinnerte sich Oakey an das Hamburger Konzert 1980) und dem einst revolutionären „The Sound Of The Crowd“. Über die möglicherweise beste und funkigste Phase mit „Mirror Man“ und „(Keep Feeling) Fascination“ sowie „The Lebanon“, einem der wenigen Songs, die nicht von romantischem Interesse handeln und dessen kreischende Gitarren einst für einen Aufschrei bei den Human-League-Ultras sorgten, landete man bei der neuen, sehr Soft-Cell-mäßigen Peitsche „Night People“ und der aktuellen Single „Egomaniac“.
Human League wären natürlich nicht denkbar ohne Oakeys „Begleiterinnen“ Joanne Catherall und Susan Ann Sulley, die er 1980 im „Crazy Daisy“, einem Club in Sheffield, als tanzende Teenies, nun ja, „entdeckte“, und die ihn in der Großen Freiheit wie gewohnt einrahmten. Mittlerweile auch Spätvierzigerinnen, verkörpern sie immer noch das junge, amüsierbegierige England an einem Samstagabend. In ihren Stöckelschuhen hätten es andere kaum von der Garderobe bis zur Toilette geschafft – diese Damen tanzten damit wie aufgezogene Glitzerbarbies ununterbrochen bis zum Ende des Abends. Zum Schluss verwirrten sie die Männer im Publikum mit mehreren Seitenwechseln und noch luftigerer Kleidung. Nach wie vor einer der schönsten Human-League-Momente: wenn „Human“ (aus der Songschmiede der R&B-Überproduzenten Jimmy Jam und Terry Lewis) entbrennt und Susan Sulley „I am just a man …“ maunzt! Hinter den beiden Frauen war das coolste Hänge-Keyboard seit Uwe Fahrenkrog-Petersen (Nena) zu bewundern, zeitweilig gar im Doppelpack.
Lediglich die Zugabe geriet im Vergleich zu den vorangegangenen 70 Minuten mit „Seconds“, einem beliebten Albumtrack von „Dare!“, und dem Giorgio-Moroder-Weichspüler „Together In Electric Dreams“ etwas mager. „Being Boiled“ fiel derweil Hitlers Geburtstag zum Opfer (Oakey hielt die begleitende Videoprojektion an diesem Tag für unpassend).
„Phil Oakey ist ’ne Macht“, murmelte es kanonmäßig am Ausgang. Keiner der Anwesenden hätte diesen famosen Abend gegen zehn OMD-Freikonzerte mit Gratis-Verpflegung eintauschen wollen. Frank Lähnemann