Vinyl

The Rolling Stones +++++ Studio Albums 1964 – 69

Auratisch, epochal, subversiv: Ohne die hier auf elf LPs und zwei EPs stabil, beinahe edel eingeboxten Tracks wäre nicht nur die Musikgeschichte anders verlaufen, jedenfalls aufregungsärmer und erheblich lustloser. Mit dieser Musik emanzipierte sich eine Generation, diese Songs erodierten Systeme der Subordination und Anpassung. Aber genug der romantischen Rückschau, betrachten wir nüchtern die Meriten dieser Edition. Zunächst zur Zielgruppenproblematik: Hier lassen sich vor allem zwei potenzielle Kundentypen ausmachen. Zum einen der junge, noch nicht lange mit Plattenspieler ausgestattete, haptisch veranlagte und ästhetisch ambitionierte Hörer mit starkem Distinktionswillen und dem nötigen Kleingeld. Ihm wird hier einiges geboten. Immerhin handelt es sich um Re-Issues der UK-Alben auf Decca, der von den Stones autorisierten mithin, nicht um die zusammengewürfelten US-Ausgaben auf London. Ihn wird nicht sonderlich stören, dass die Analog-Kette der Sound-Reproduktion durch digitales Mastering unterbrochen wurde. Er wird sich über die sauberen Pressungen freuen, keinen Anstoß an Barcodes auf den LP-Covers nehmen und den MP3-Gutschein für sämtliche Tracks zu nutzen wissen.

Der andere Hauptabnehmer der Boxen ist älter und begüterter, hatte seinen Konsum zwischenzeitlich auf CD umgestellt, kam aber auf den Trichter, dass dieser eher freudlose, audiophil fragwürdige Umgang mit geliebten Aufnahmen die Sinne nicht so kitzelt wie seinerzeit, als ihn diese Platten regelrecht beglückt hatten. Ihm wird gefallen, alle Stones-Studiowerke ohne den Aufwand des Suchens erwerben zu können, inklusive zweier exklusiver EPs, die hier im 12inch-Format beiliegen, sowie zweier Hit-Compilations. Er dürfte monieren, dass sich die Cover damals anders anfühlten und sich die Musik anders anhörte: dichter, druckvoller, überwältigender. (Universal)

The Rolling Stones ++++1/2 Studio Albums 1971 – 2005

Gleich 14 LPs, von „Sticky Fingers“ bis „A Bigger Bang“, darunter drei doppelte, in Sachen Ausstattung und Klang unterschiedlich zu bewerten. Die 70er-Platten kommen dabei am schlechtesten weg. Nicht weil bei „Fingers“ der Reißverschluss fehlt oder bei „Exile“ die Postkarten, sondern weil sich das Remastering unangenehm bemerkbar macht. Die Höhen sind spitzer, die Tiefen konturierter, es wurde in Richtung größerer Transparenz und Definition gemastert, zulasten von Wucht und Wirkung. Es geht ja um nicht weniger als musikphilosophische Gewissensfragen: Wie viel bremsende Assimilation vertragen „Sway“ und „Let It Loose“, wie weit darf „100 Years Ago“ in die Moderne ragen, darf „Shattered“ geordnet und „Starfucker“ gesäubert werden?

Überlegungen, die offenbar auch beim Remastering eine Rolle spielten, denn die topografischen Veränderungen der Klanglandschaften sind nicht halb so verheerend ausgefallen wie in vergleichbaren Fällen, die Anbiederung an moderne Hörgewohnheiten dürfte sich für die meisten in vertretbaren Grenzen bewegen. Für die LPs der Achtziger spielt das ohnehin eine eher untergeordnete Rolle, denn so musikalisch brillant „Continental Drift“ oder „Too Much Blood“ auch sind, klangästhetisch sind sie von bescheidenem Charakter. Die Diskrepanzen zu den Originalausgaben verschwinden schließlich völlig, „Bridges To Babylon“ klingt hier wie vor 13 Jahren. Ein exzellentes Werk seiner Zeit, die Zeitläufte nicht mehr beeinflussend wie die Stones-Platten des Sturm und Drang, doch dies zu bekritteln wäre kindisch. (universal)

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