Die Flucht der Uriella
Der RTL-Talkshow-Pionier Hans Meiser brachte die letzten großen Fragen ins Nachmittagsprogramm
Mitte der 90er bekam RTL-Chef Helmut Thoma einmal Besuch vom großen US-Talkmaster Phil Donahue. Der wollte ihm sein Sendungskonzept verkaufen, aber Thoma machte nur den Bürofernseher an und sagte: „Look, this is our Phil Donahue!“
Als im September 1992 die erste Ausgabe meiner eigenen Sendung gelaufen war, hatte das noch eine abenteuerliche Aura gehabt: Die Idee von Thoma und Programmdirektor Marc Conrad, erstmals in Deutschland eine tägliche Talkshow zu senden, kam zu einer Zeit, als es bei uns noch gar kein echtes Nachmittagsprogramm gab – da liefen „Fury“- und „Dallas“-Wiederholungen. Die Quoten von „Hans Meiser“ waren am Anfang auch katastrophal – bis die Leute das Konzept kapierten. Nach sechs Wochen wuchs der Marktanteil explosiv, auf teilweise bis zu 46 Prozent. Und die missgünstigen Blicke der Kritiker hielten uns nicht davon ab, spektakuläre Sendungen zu machen: Wir waren die erste deutsche Show, die eine Folge in einem Hochsicherheitsgefängnis aufzeichnete. Ich habe mit bekennenden Scientologen diskutiert, es ging um Kindesmissbrauch, Gewalt in der Ehe, natürlich gab es auch mal etwas wie „Auch Dicke können Sex haben“. Als Uriella von der Sekte Fiat Lux ins Studio kam, dachten wir uns schon vorher, dass es einen Eklat geben würde – ich ließ extra ein Kamerakabel verlängern, damit wir die Dame beim demonstrativen Verlassen des Studios filmen konnten. Angeblich gab es irgendwann bis zu 23 tägliche Runden, natürlich auch bei den Öffentlich-Rechtlichen – heute ist nur noch eine übrig, die von Britt. Das Wort Unterschichtenfernsehen finde ich übrigens irreführend und überheblich. In Amerika, wo die Fernseher überall den ganzen Tag laufen, nennt man das auch nicht so.
Hans Meiser, Jahrgang 1946, moderierte bei RTL die erste, nach ihm benannte deutsche daily Talkshow. Heute ist er TV-Produzent.