Sound der Natur
Ein paar Winzinseln im Nirgendwo, eine irre Kulisse, kein Hotel, aber Musik rund um die Uhr: Besuch beim norwegischen Traena-Festival
Für Festivalbesucher ist der Weg nie das Ziel. Eher ein lästiges, aber notwendiges Übel. Auch der Ort ist meist nicht das Ziel, sondern oft ausstauschbare Kulisse, die im schlimmsten Fall ertragen werden will. Wer das Traena-Festival im Norden Norwegens besucht, muss diese Regeln über Bord werfen.
Das Archipel Traena liegt am Polarkreis, inmitten des arktischen Ozeans, kurz vorm Ende der Welt. Nur auf etwa vier der rund tausend teilweise winzigen Inseln leben Menschen, ungefähr 450, die meisten davon auf der Hauptinsel Husøy, dem Zentrum der Kommune Traea und der Heimat des jährlichen Festivals, das seit 2004 im Juli stattfindet. An drei Tagen spielen Dutzende von Bands, 2000 Besucher bevölkern dann die abgelegene Insel.
Selbst für Norweger dauert die Anreise oft zehn bis zwölf Stunden, von Deutschland je nach Flugverbindung ein bis zwei Tage. Aber die Anreise, sagt Veranstalter Erlend Morgård Larsen, der mit seinen langen blonden Haaren und den breiten Schultern wie ein norwegischer Bilderbuch-Fischer aussieht, ist Teil des Festivals. Für ihn gehe es neben der Musik auch um die Schönheit der Natur, das Licht der Mitternachtssonne, die nachts für weniger als eine Stunde im Meer versinkt, die Abgeschiedenheit und den speziellen Zauber der Insel.
Das Festival-Erlebnis beginnt auf dem Wasser. Rund vier Stunden dauert die Fahrt von der Hafenstadt Bodø, die Fähre fährt einmal täglich, die Plätze sind seit Monaten ausgebucht. Fjorde ziehen vorüber, an und unter Deck hunderte bestgelaunte Menschen mit Bierdosen in der Hand. Im Laderaum Berge von Rucksäcken, Zelten und Schlafsäcken, daneben Gitterboxen mit Instrumenten. Musiker und Publikum reisen gemeinsam an.
Die Insel. Hunderte Meter ragen Felsen wie gigantische Zähne in den tiefblauen Himmel. Maalerische Holzhäuser, rot, grün und gelb, auf Fahnen steht auf Norwegisch „Willkommen bei den Menschen der See“. Die Einheimischen nehmen die Besucher herzlich auf, fast jeder ist freiwilliger Helfer des Events.
„Die Idee für ein Festival auf der Insel kam mir zum ersten Mal, als ich zwölf Jahre alt war,“ sagt Erlend Morgård Larsen, dessen Großmutter auf Traena lebte. Viele Sommer verbrachte er dort. „Ich habe mit meinem Vater Möweneier gesucht. Es war drei Uhr morgens, wir saßen in Kirkehelleren, einer majestätischen Höhle, und sahen, wie über dem Meer die Sonne aufging. Damals hatte ich gerade die Plattensammlung meines Bruders entdeckt, unter anderem das Woodstock-Album, und mich für Musik begeistert. Ich dachte, das wäre der beste Ort der Welt für ein Festival. Die Umsetzung hat dann noch rund 20 Jahre gedauert.“
In den vergangenen sechs Jahren spielten Bands wie Kings Of Convenience oder der Musiker Damien Rice in dieser Höhle auf der Nachbarinsel Sana, jedes Jahr einer der Höhepunkte. Musik und Landschaft, das ist der Zauber-Mix.
In Kirkehelleren auf der Nachbarinsel Sana singt in diesem Jahr der Kammerchor Helgeland, dann spielt die junge norwegische Band Modi. Hunderte von Menschen sitzen im Höhlen-Eingang oder auf den umgebenden Felsen, im Hintergrund das Meer, der weite Himmel und die Berge, nur fünf Menschen leben hier ständig. An den Festivaltagen liegt die „Vulcana“ vor Anker, ein alter Walfänger, der zum Saunaschiff mit türkischem Bad und Sushiküche umgebaut wurde. Die Karten für das Festival sind oft schon im Januar weg, lange bevor das Line-up feststeht.
„Es ist oft schwierig, große internationale Bands auf die Insel zu holen,“ sagt der Veranstalter. „Wir können keine hohe Gagen zahlen, es gibt keine Vier-Sterne-Hotels, Helikopter oder Limousinen.“ Geschlafen wird in Zelten, auf Booten, in der Schul-Aula oder in privat vermieteten Zimmern. Grenzen zwischen Musiker und Publikum verwischen so schnell. Erlend Øye, Kings Of Convenience – und The Whitest Boy Alive, zum dritten Mal in Folge auf der Insel, zieht nächtens mit seiner Gitarre über den Campingplatz und setzt sich zu den Feiernden. Offiziell enden Festivaltage um drei Uhr Morgens, aber warum schlafen, wenn es nicht dunkel wird?
Dieses Jahr ist es Morgård Larsen gelungen, British Sea Power nach Trae-na zu locken. Die Band hat zwei umjubelte Konzerte in der weißen Holzkirche gespielt. Auf einer Leinwand lief „Man Of Aran“, ein preisgekrönter Dokumentar-Stummfilm aus den 30er Jahren, der vom harten Überlebenskampf der Bewohner auf irischen Inselgruppe erzählt. Dazu spielte die Band den neu komponierten Soundtrack. Eine eindringliche Erfahrung.
„Auf Traena spielt man nicht wegen der Gage,“ sagt Martin Noble, Gitarrist der Band, nach drei Tagen und zwei Autritten. 36 Stunden hat er mit der Band hierher gebraucht. Jede Minute davon, sagt er, sei es wert gewesen. „Ich war schon auf den äußeren Hebriden und den Shetland Inseln, aber das hier ist einzigartig, atemberaubend. Wir würden jederzeit wiederkommen!“
Ein Festival, bei dem tatsächlich der Weg und der Ort das Ziel sind. (Infos: www.traena.net)