Die Songs
Von der Redaktion ausgewählt: Die 50 besten Hits und versteckten Perlen der 60er-Jahre
John Lee Hooker
Boom Boom
1962 Vee-Jay
Kaum ein Song wurde so oft gecovert. „Boom Boom“ entwickelte sich im Laufe der Zeit praktisch zum Blues-Standard. Dabei wagte John Lee Hooker selbst es jahrelang nicht, das Stück live zu spielen, weil er befürchtete, es nicht richtig hinzukriegen. Sein Gitarrenspiel war einzigartig, seine Fähigkeit, den Gesang in eine Art Instrument zu verwandeln, ebenso. Der knochentrockene Sound von „Boom Boom“ war richtungsweisend, und als Hooker damit 1980 dann auch noch im Film „The Blues Brothers“ auftrat, sicherte er sich seinen Legendenstatus bei weiteren Generationen.
Ronettes
Be My Baby
1963 Philles
Der verwirrt dreinblickende Mann, der zuletzt aus dem Knast heraus ein eher eigentümliches musikalisches Werk seiner Lebensgefährtin produzierte, hat nur noch wenig gemein mit dem egomanischen Produzentengenie, das Phil Spector früher war. Die schlechten technischen Voraussetzungen jener Tage egalisierte Spector durch die Materialschlachten für seine, und hier passt das Wort ausnahmsweise: legendäre Wall of Sound. Wochenlang hatte er „Be My Baby“ mit seiner späteren Ehefrau Ronnie Bennett eingeübt. Trotzdem vergingen 42 qualvolle Takes, bis die Orchester-Arrangements, der gewaltige Chor sowie Bennetts hymnischer Gesang (die anderen Ronettes waren an der Aufnahme nicht beteiligt) im Kasten waren.
Getz/Gilberto
The Girl From Ipanema
1964 Verve
Für einen Song, in dem es so ausdrücklich um sexuelles Begehren geht, ist das eine ungeheuer stresslose Angelegenheit: Die Musik wie im Siesta-Taumel geklimpert, die Eheleute João und Astrud Gilberto singen, als lägen die Hörer im Bett nebenan. Über die großgewachsene, schöne Flaneurin und die Blick der Männer. Doch die Verzweiflung des verschmähten Verehrers scheint tiefer zu gehen – woran uns das dringliche Saxofonsolo von Stan Getz erinnert. Das Stück war mitverantwortlich für den Bossa-Nova-Hype, weil es Coolness und Koitus auf grandiose Art versöhnte.
The Sonics
Strychnine
1965 Etiquette
Im Prinzip nahmen die (wenig besungenen) Garage-Heroen aus Tacoma den Punk vorweg, lange bevor das Wort erfunden wurde. Dabei sahen sie kaum anders aus als die meisten Bands jener Tage – sie waren nur das entscheidende Stück ungestümer. Mit schepperndem Sound, desparat zerschossenen Gitarren und torkelndem Klavier trieben sie den Rock’n’Roll einen weiteren Schritt Richtung Wahnsinn. Und bereiteten den Boden für die Stooges und all die anderen: „Some folks like water/ Some folks like wine/ But I like the taste of straight strychnine.“ Cobain liebte sie.
France Gall
Poupée de Cire, poupée de Son
1965 Philips
Verhält sich zu „Satellite“ wie „Shoo Be Do Be Do Be Do Da Day“ zu „Wadde hadde dudde da?“, wie Serge Gainsbourg zu Stefan Raab. Der französische Erotikspezialist gewann mit dem Song den Grand Prix D’Eurovision, die Sängerin mit dem heimatverbundenen Namen France Gall war zwei Jahre jünger als Lena und hatte einen ähnlich eigenwilligen Gesangsstil. Jedes Land hat nun mal die Stars, die es verdient.
Bob Dylan
Like A Rolling Stone
1965 Columbia
So viel ist geschrieben worden über dieses Stück, das einem noch 45 Jahre nach seiner schockgleichen Erstveröffentlichung kalten Regen übers Rückgrat laufen lässt. Und je öfter man „Like A Rolling Stone“ hört, desto mehr verdichtet sich das alles in dem Trommelschlag in der Stille, mit dem die klassische Aufnahme beginnt. Kein Vorzählen, sondern ein Aufwecken. Gleichzeitig ein Antäuschen, Verzögern: Man muss den besagten Beat nur mal in der berüchtigten Manchester-Live-Version hören. Ein Stück, das seinen Hörern auch das Gefühl gibt, sie seien viel zu spät dran. „Like A Rolling Stone“ zerreißt jede falsche Ruhe. So sehr brauchen wir diesen Song.
James Brown
Papa’s Got A Brand New Bag
1965 King
Zu schade, dass im Zuge studentischer „Blues Brothers“-Euphorie ein Ausnahmesong wie dieser zum Fetenknaller verkommen konnte – bei dem die Szenen auf dem Dancefloor vielleicht so aussehen wie das, was Brown hier beschreibt: Der alte Mann versucht sich linkisch in Modetänzen, im Jerk, Fly, Mashed Potato. Während die Band im Hintergrund quasi den Funk erfindet, den Blues in Schleifen knotet und mit dem Chrom blitzender Bläser überzieht. Man sollte dazu keinesfalls zu ausladende Bewegungen machen. Brown hat eh mehr Kondition.
Diana Ross & The Supremes
You Can’t Hurry Love
1965 Tamla Motown
Der alte Vorwurf an Motown, ein persilreines Unterhaltungsprogramm für weiße Vorstädter betrieben zu haben, nimmt den großen Popmomenten des Katalogs nichts von ihrer Strahlkraft. Zwar hatte das in „You Can’t Hurry Love“ vertretene Frauenbild die Fifties noch nicht überwunden. Die Musik jedoch ist ein fiebriges Amalgam aus Gospel, R’n’B und Soul – mithin einer der Signature-Tracks aus der Holland-Dozier-Holland-Werkstatt. Stubenrein klang „Love“ erst Jahre später in der Version von Phil Collins.
Otis Redding
Respect
1965 Volt
Gender-Flexibilität Mitte der 60er: Bevor Aretha Franklin zwei Jahre später den Respekt eines Mannes einklagte und einen feministischen Meilenstein legte, hatte Redding in seiner Originalversion eine Frau auf dem Kieker: „What you want, baby, you got it … All I’m asking for is a little respect when I come home.“ Redding spürte sofort, dass dieser Song etwas Besonderes war: „Er hat einen besseren Groove als alle meine anderen Aufnahmen“, sagte er 1967.
Lovin‘ Spoonful
Do You Believe In Magic
1965 Kama Sutra
Die Vorfreude, auf eine tolle Party zu gehen, mit Mädchen, Melodien und Magie, wurde nie wieder so perfekt in Musik verwandelt wie in diesen zwei Minuten. Die British Invasion hatte die Jug-Band-Musik der Lovin‘ Spoonful mit dem Popvirus infiziert, und John Sebastian sang seinen Song so wie ein John Lennon auf Prozac – das es damals natürlich noch nicht gab, weshalb man sich am Ende wohl mit anderen Substanzen behelfen musste.
Simon & Garfunkel
The Sounds Of Silence
1965 Columbia
Paul Simons Anklage über die Entfremdung und Sprachlosigkeit der modernen Welt: „Fools! said I, you do not know / Silence like a cancer grows“. In den Interviews damals sprach Garfunkel von Menschen, die sich nicht mehr verstünden. Das vor dem Hintergrund der Ermordung Kennedys geschriebene Lied spielten die Barden damals noch formaler, milchbubenhafter, nicht wo schwermütig wie später im Central Park. Ein Hit wurde „Sounds Of Silence“ erst zwei Jahre später, in der von den Künstlern nicht autorisierten neuen Version mit hinzugefügtem Bass und Schlagzeug.
The Mamas & The Papas
California Dreamin‘
1965 Dunhill
Das Ehepaar John und Michelle Phillips, die eine Hälfte von The Mamas & The Papas, lebte in New York City, als John 1963 den Song „California Dreamin'“ schrieb. Michelle hatte Heimweh nach dem Sonnenstaat, ihr Mann erfand die sehnsüchtige Hymne dazu. Im Winter 1965 wurde das Lied dann veröffentlicht und symbolisiert bis heute – wie das ebenfalls von Phillips geschriebene „San Francisco“ – den Traum der Hippie-Zeit.
The Walker Brothers
The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore
1965 Smash
Dass man es mit einem besonderen Stück zu tun hat, weiß man nach den ersten Takten: Die gedämpften Bläser bedecken das Land mit Stille, eine Westerngitarre schrammt melancholisch. Dann gibt Scott Walker den Crooner, die Streicher addieren in den oberen Registern Wehmut. Die Walker Brothers waren nicht konsistent in ihrem Material, und auch hier hört man die Righteous Brothers und den Kommerz. Doch die Rechnung geht auf, das von Bob Crewe und Bob Gaudio geschriebene Lied wird ganz groß, ganz weit, ganz wundervoll.
Skatalites
Guns Of Navaron
1965 Island
Was Motowns Funk Brothers für Detroit, Booker T. & The MG’s für Memphis und die Meters für New Orleans, das waren die Skatalites in den frühen 60ern für Jamaika: die Band zum Sound of the Island, die Stars jener Musik, die sie im Namen tragen: Ska, die karibische Off-Beat-Variante des nordamerikanischen Rhythm’n’Blues. Wie Booker T. wärmt Jackie Mittoo mit seiner Orgel den Saal, die Saxofonisten Tommy McCook und Roland Alphonso blasen den Ska-Marsch, alle sollten später tolle Soloplatten machen. Sweet Jamaica.
The Byrds
Eight Miles High
1966 Columbia
Es war der Landeanflug auf Heathrow im August 1965, der die Byrds zu ihrem größten Song inspirierte. Das Flugzeug stieg auf der Reise zwar nicht weiter als etwa sechs Meilen, aber das wäre zu niedrig gewesen für diesen musikalischen Höhenflug, der Folkrock und Free Jazz verband. Gene Clark schrieb Text und Melodie mit etwas Hilfe von David Crosby. Der war es auch, der Musik von Ravi Shankar und John Coltrane mit in den Tourbus gebracht hatte und vorschlug, das neue Stück in ähnlicher Manier zu arrangieren. Besonders Roger McGuinns Gitarre und Chris Hillmans Bass erinnern an Coltranes „India“ von „Impressions“. Als das Stück im März 1966 erschien, hatte Clark die Band bereits verlassen. Offizieller Grund: Flugangst.
The Temptations
Ain’t Too Proud To Beg
1966 Tamla Motown
Mit ihrer Vorliebe für geckenhafte Klamotten und überteuerte Straßenkreuzer nahmen die aus den sozialen Randgebieten Detroits stammenden Temptations quasi das absurde Geschacher mit Statussymbolen im heutigen Hip-Hop vorweg. Zweimal war „Ain’t Too Proud To Beg“ bereits durch die berüchtigte Motown-Qualitätskontrolle gefallen, da behalf sich der geniale Produzent Norman Whitfield mit einem taktischen Manöver: Er wählte eine für Leadsänger David Ruffin unbequem hohe Tonlage. Ruffin musste an seine Grenzen gehen, war schweißgebadet, als der Song endlich im Kasten war. Bald darauf eroberte ein weiterer Motown-Hit die Welt.
The Troggs
I Can’t Control Myself
1966 Fontana
Das Archaisch-Animalisch-Primitive trugen sie schon im Namen, Englands Bands der frühen 60er: die Stones, die Animals und die Troggs, eine Abkürzug für Troglodyten, Höhlenbewohner. Ornament ist Verbrechen für sie, also beschränken sich die Troggs aufs Nötigste. Ihre Hits klingen alle gleich, außer der Ballade, die Wet Wet Wet später verhunzen sollten. Das Testosteron des jungen Proleten quillt aus jedem Song, hier quillt noch was anderes: „When I’m with you I can’t control myself“. Das Selbstporträt des jungen Mannes mit ejaculatio praecox kann es in puncto Bekennermut mit „Pictures of Lily“ aufnehmen, dem schönen Wichserlied von The Who.
The Who
Substitute
1966 Reaction
„This band will destroy you completely in more than one way“, kündigte Eric Burdon The Who in Monterey an, das Publikum wartete ab. Und wurde dann mit einer ungezügelten, derb getrommelten Version von „Substitute“ tatsächlich in alle Einzelteile zerlegt. Pete Townshends Lyrik ist mindestens doppelbödig – die Geschichte von dem Typen, der für seine Geliebte nur die zweite Wahl ist, deuteten die Exegeten später als Reflexion auf Realität und Image, wirkliches Leben und Unterhaltungswelt. Schon möglich.
Beach Boys
God Only Knows
1966 Capitol
Die erste Zeile des von Tony Asher verfassten Textes fand Komponist Brian Wilson anfangs zu negativ: „I may not always love you“. Als Asher ihm verriet, wie’s weiterging – „But as long as the stars are above you, you never need to doubt it“ – war er besänftigt. Ob er bemerkte, dass der Dichter hier die Ewigkeit in eine einzige Nacht gepackt hatte? Als Dennis Wilson den Song hörte, fragte er begeistert: „Wie hast du das geschrieben?“ – „Ich habe gebetet“, antwortete Brian, und Mike Love warf schnippisch ein: „Na, ich bete zu Gott, dass es sich auch verkauft!“
Lee Hazelwood & Nancy Sinatra
Some Velvet Morning
1967 Reprise
Er habe größten Respekt vor Frank Sinatra, so sagte Lee Hazelwood kurz vor seinem Tod, dass der seine Tochter ausgerechnet einem Schwerenöter wie ihm überließ. Nun war Sinatra zwar bekanntlich alles andere als ein Connaisseur der psychedelischen Popmusik – das Vertrauen hat sich indes gelohnt: Der Kollaboration des gut zehn Jahre älteren Hazelwood mit der damals 27-jährigen Nancy Sinatra entsprang eines der besten gemischtgeschlechtlichen Duette aller Zeiten: „Learn from us very much/ Look at us but do not touch.“ Nicht wenige verbrannten sich daran die Finger.
Velvet Underground
Heroin
1967 Verve
Mit zwei Akkorden sagten Velvet Underground alles über die verheerende Droge. Aus der Sicht des Junkies, der Lou Reed lange war, entstand eine Selbststudie, die in nüchternem Realismus den Größenwahn des Rausches ebenso reflektiert wie den Kater danach. Die zähe Langsamkeit, das ewige Warten, das stundenlange Betrachten der eigenen Stiefelspitze. Der blümeranten Hippie-Seligkeit drüben in San Francisco setzte die Band einen tiefschwarzen Nihilismus entgegen. „I have made the big decision/ I’m gonna try to nullify my life“ – damals hat das kaum einer verstanden.
James Carr
The Dark End Of The Street
1967 Goldwax
Die Mutter aller cheating songs, obwohl sie auf http:// www.signs-of-a-cheater.com/cheating-songs.html nicht gelistet ist, anders als Rihannas „Unfaithful“ und Kenny Rodgers „Ruby, Don’t Take Your Love To Town“. Es geht um Verrat, Untreue, all das mit Soul und aufgeladen durch die Angst vorm Entdecktwerden, am dunklen Ende der Straße in diesem x-fach gecoverten Song von Dan Penn. Aber keiner kommt an James Carr ran – darauf haben sich alle geeinigt, die vermutlich nie hörten, wie Clarence Carter die Geschichte erzählt. Mit Ausflügen in die Tierwelt. Alle tun es … am dunklen Ende der Straße.
The Left Banke
She May Call You Up Tonight
1967 Smash
Unzählige Belle & Sebastian-Fans und Indie-Kids schauten um die Jahrtausendwende herum nicht schlecht, als sie sich auf Anraten ihrer Lieblinge der Band The Left Banke aus New York widmeten und entdeckten, dass Twee- und Chamber-Pop keine Erfindungen aus Glasgow sind. „She May Call You Up Tonight“ war die vierte Single von The Left Banke und bei Veröffentlichung trotz herrlicher Melodie und gewieften Arrangements kein Hit. Aber auch der Indie-Pop von heute steht ja grundsätzlich eher in den Herzenswunschlisten oben als in den Charts.
The Kinks
Waterloo Sunset
1967 Pye
Ray Davies war zufrieden mit „Waterloo Sunset“, weil dieses Lied sowohl den eigenen Anspruch erfüllte – eine gut erzählte Geschichte – als auch im Radio funktionierte. Und wie! „Waterloo Sunset“ wurde eine der großen London-Hymnen und einer der erfolgreichsten Songs der Kinks-Diskografie. Da sitzt einer am Fenster und blickt melancholisch in die Stadt, Julie und Terry überqueren den dreckigen Fluss in ein besseres Leben. Das kleine englische Dasein, der kleine Trost, die kleine Zufriedenheit – Davies bringt es mit viel Sympathie für seine Charaktere auf den Punkt.
The Beatles
A Day In The Life
1967 Parlophone
Für „A Day In The Life“ verbanden Lennon und McCartney erstmals unfertige Skizzen zu einem gemeinsamen Song. Ein Ausdruck von Freiheit wie von Beliebigkeit: Am Ende wird schon Kunst dabei herauskommen. Und so kam es: „A Day In The Life“ lebt von Lennons lapidar-wehmütiger Umstandsbetrachtung – ein toter Millionär, Schlaglöcher, der Krieg -, doch erst McCartneys Jugenderinnerung vervollständigt das Bild. Dass das London Philharmonic Orchestra gebucht wurde, um das 24 Takte lange Loch zwischen den Fragmenten zu schließen, ist schon fast wieder lustig.
Jefferson Airplane
White Rabbit
1967 RCA Victor
Der Summer of Love steht vor der Tür, Timothy Leary hat Kaliforniens akademische Jugend auf die Psychedelic Experience vorbereitet: „One pill makes you larger/ And one pill makes you small“, bekräftigt nun auch die Jefferson Airplane Sängerin Grace Slick mit der Stimme einer Schneekönigin. Heute wirkt es fast verblüffend, wie kontrolliert und pointiert die damals sechsköpfige Band die Ekstase eines Drogenrauschs schildert – denn vor allem davon handelt der Song.
The Monkees
Pleasant Valley Sunday
1967 Colgems
Carole King schrieb diesen satirischen Song über ein Vorstadt-Idyll 1967 mit Noch-Ehemann Gerry Goffin. „Another pleasant valley Sunday/ Here in Status Symbol Land/ Mothers complain about how hard life is/ And the kids just don’t understand.“ Die Monkees landeten damit auf Platz drei der US-Charts, einer ihrer größten musikalischen Momente. Michael Nesmiths Gitarrenriff basiert auf dem Beatles-Song „I Want To Tell You“ – noch mehr Verweise auf die Psychedelia der Freunde aus Liverpool finden sich auf dem Album „Pisces, Aquarius, Capricorn & Jones Ltd.“, wo „Pleasant Valley Sunday“ später landete.
The Doors
People Are Strange
1967 Elektra
Die unverwechselbare Orgel von Ray Manzarek, die großartige Komposition von Robby Krieger – aber es ist das Verdienst von Jim Morrison, dass es bei den Doors auch immer eine zweite Ebene jenseits des Offensichtlichen gab. Hier legte er über die fast heitere Musik einen Text über Entfremdung und Paranoia: Hässliche Fratzen und fiese Frauen verfolgen den Protagonisten, doch am Ende erinnert sich niemand an den Außenseiter. Morrison hingegen war gerade dabei, eine der größten Ikonen zu werden.
Cream
Sunshine Of Your Love
1967 Polydor
Das Riff von „Sunshine Of Your Love“ ist eines der ganz großen der Rockgeschichte und auf einer Höhe mit, sagen wir, „In-A-Gadda-Da-Vida“ und „Smoke On The Water“. Der Rest des Songs: ein Hybrid aus Rock, Blues, Pop und Psychedelia, der das Wesen der Band Cream gut auf den Punkt bringt. Will der Protagonist nur zu seiner Liebsten, oder geht es doch um eine metaphorische Reise ins Licht? Das bleibt unklar. Claptons Solo ist fabelhaft, Bakers Schlagzeugfigur unorthodox, aber nicht minder zwingend.
Leonard Cohen
Suzanne
1967 Columbia
Cohens Charakterstudie über eine rätselhafte Frau, die am Fluss lebt und ihren Gästen Tee und Orangen serviert, wäre in jeder denkbaren Dekade einer der besten Songs. Die ikonische Melodie, die heiligen Schwingungen, die Spannung zwischen Sinnlichkeit und Spiritualität – das ist musikalisch wie dichterisch vollendet.
The Incredible String Band
A Very Cellular Song
1968 Elektra
Mit der LP „The Hangman’s Beautiful Daughter“ wurden die schottischen Psychedelic-Folker zu einer der coolsten und innovativsten Bands des Planeten: Selbst Götter wie die Beatles pilgerten zu den Konzerten. Led Zeppelins Robert Plant war noch enthusiastischer: „Robin Williamsons Gesang war einzigartig, und ich dachte ernsthaft darüber nach, mit dem ganzen, Ooooh Yeeeah!‘-Geschrei aufzuhören und etwas Ähnliches zu probieren.“ Plant träumte davon, eine Zep-Show mit der 13-minütigen Suite „A Very Cellular Song“ zu beenden. Doch der Schlagzeuger John Bonham raunzte angeblich nur: „Fuck Off!“
Townes Van Zandt
Waiting ‚Round to Die
1968 Tomato
So, wie sich alle Mädchen mit angeblich großer Stimme in den Castingshows mindestens einmal an Whitney Houston versuchen müssen, geht für taumelnde Addicts des Rockzirkus kein Weg vorbei an „Waiting ‚Round To Die“. Evan Dando und Shane MacGowan haben das Lied gesungen. Beide nicht übel, aber eines haben sie lange nicht so gut hinbekommen wie Van Zandt: die Würde dessen zu achten, der da zunächst vor dem Tod flüchtet, um sich schließlich doch zu ergeben. Selbst als dem Protagonisten am Ende nur noch das Kodein bleibt, klingt Van Zandts Stimme erhaben. Wenn schon mit dem fatalen Schicksal tanzen, dann bitteschön auf Augenhöhe.
The Band
The Weight
1968 Capitol
The Band spielen in einem erhebenden, befreienden Moment gleichzeitig Country und Soul und schraffieren eine andere Wirklichkeit, die sich hinter den Verhältnissen versteckt. Da reist einer ausgerechnet nach Nazareth, um ein paar Grüße auszurichten, und läuft bald mit dem Teufel an der Seite von einer seltsamen Begegnung zur anderen. Er habe an Buñuels spirituellen Surealismus gedacht, sagte Songautor Robbie Robertson später – man erkennt die Parallele, obwohl die Welt von „The Weight“ natürlich rural amerikanisch, nicht intellektuell europäisch ist. Der symbolhafte Reisebericht, erschienen auf dem The-Band-Debüt „Music From Big Pink“ .
The Meters
Cissy Strut
1968 Josie
Sie spielten mit den Großen ihrer Stadt New Orleans, Dr. John, Allen Toussaint, Lee Dorsey. Sie verhalfen Robert Palmer zu einer seiner besten Platten, wurden von Paul McCartney engagiert. Aber wie Booker T. & the MG’s kamen die Meters ohne Stimme ganz zu sich selbst, hatten Chart-Hits mit Instrumentals. Der größte war „Cissy Strut“: aufs Skelett reduzierter, karibisch fließender Funk. Was den Körper zucken lässt wie kurz getaktete Stromstöße: das Schlagzeug von Joseph Modelist. Was ihn wieder in Balance bringt: der Bass von George Porter Jr.
Soft Machine
Why Are We Sleeping?
1968 Probe
Zur aufheulenden Orgel von Mike Ratledge, Robert Wyatts irrem Schlagzeug, Hugh Hoppers stoischem Bass und den hellen Stimmen von drei seiner Gespielinnen bringt uns der unvergleichliche Kevin Ayers mit monotoner Stimme die abenteuerliche Philosophie des griechisch-armenischen Scharlatans Georges I. Gurdjieff nahe: Wie ein Traumwandler irre der Mensch durchs Leben. Wir schreiben das Jahr 1968, London ist fest in den Händen der Psychedelia, und wahrscheinlich hatte Gurdjieff für diese kurze Zeit mit seiner Annahme sogar Recht.
Silver Apples
Oscillations
1968 Kapp
Menschen müssen nicht schön sein, um gute Musik zu machen – Musikinstrumente übrigens auch nicht. Die zwei New Yorker spielten mit Oszillatoren, bauten sich ein Arsenal aus neun solcher Elektrotechnikerkästen, waren so verliebt in sie und in die quakenden, flickernden Klänge, dass sie im ersten Stück ihrer ersten LP gleich darüber sangen: über die magnetischen Wellen, wie sie erst zu Musik und dann zu Sprache werden. Eine oft übersehene Pioniertat des Elektropop, mit viel Liebe und wenig Roboterkäse.
Grateful Dead
Dark Star
1968 Warner Bros
Schriftsteller Robert Hunter hörte die Akkordfolge beim Soundcheck, zog sich kurz zurück, drückte Jerry Garcia dann einen Zettel in die Hand: „Dark star crashes, pouring its light into ashes …“ Als hätte die Band – trotz der bewährten chemischen Inspirationsquellen – einen lyrischen Schlüssel gebraucht, um die Tür aufzustoßen: Das kleine Poem „Dark Star“ wurde zum Ausgangspunkt für die größten Improvisationen, für bis zu 43 Minuten.
Dr. John
I Walk On Gilded Splinters
1968 Atco
Wenn man das in einer schwülen Sommernacht hört, untermalt vom Gesang der Zikaden, kann es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Der Groove, die Gesänge, alles scheint aus einer anderen, älteren Welt zu kommen. 1968 schlüpfte Malcolm John Rebennack in die Rolle von Dr. John, the Night Tripper: eines Voodoo-Priesters, der sich in „I Walk On Guilded Splinters“ in einen Zombie verwandelt. Er lässt die weiße, westliche Sicherheitszone des Pop weit hinter sich, trifft nicht den Teufel an der Kreuzung – sondern wird selbst zur Inkarnation des Bösen.
Laura Nyro
Eli’s Coming
1968 Columbia
Three Dog Night, Blood, Sweat & Tears, Peter, Paul & Mary: Es waren vor allem andere Künstler, die die Lieder von Laura Nyro zu Hits machten. Zu idiosynkratisch war der Jazz-Gospel-Folk-Pop der New Yorkerin, um das große Publikum zu erreichen. „Eli’s Coming“ ist im Original freilich wesentlich besser als in der zappeligen Version von Three Dog Night: Das Intro wie eine Beschwörung, der aufgekratzte Gospel wie spirituelle Ekstase – Nyro trägt ein Geheimnis in ihrem seltsamen Menetekel aus Tarot-Karten und alttestamentarischen Propheten.
Aretha Franklin
Think
1968 Atlantic
Für uns Nachgeborene war Aretha Franklins „Think“ eine Initiation: Das ist Soulmusik, verstanden wir damals, und tanzten in der örtlichen Diskothek mit der Unbeweglichkeit eines weißhäutigen Pennälers. Alles lebte und vibrierte, wenn Aretha die starke, stolze, kämpferische Frau gab, dem Mann zum Trotz. Das von Franklin mit Gatte und Manager Ted White geschriebene Lied führte die Billboard-Charts in der Kategorie R’n’B wochenlang an.
The Rolling Stones
Jumpin‘ Jack Flash
1968 Decca
Nein, nichts ist alright now, auch wenn man’s denken könnte, wenn im Refrain dieses Überhammers der Piratenchor zubeißt. Die Stones spielen alle ihre Tugenden auf einmal aus, Blues und Pop, Riff und zwirbelnde Linie, düsteren Ernst und augenbrauenzuckende Lakonie. Was „Satisfaction“ in Worte fasste, lässt uns „Jack Flash“ überdeutlich spüren: Das Böse kann nicht überwunden werden, weil die Menschen nie genug kriegen. Watch out!
The Jimi Hendrix Experience
Voodoo Chile (Slight Return)
1968 Polydor
Die einen sagen: Bei den Aufnahmen war Jimi Hendrix schon jenseits von Gut und Böse, der 15-minütige Blues-Rock-Jam auf „Electric Ladyland“ ein Ausdruck seines Irrsinns. Die anderen sagen: „Voodoo Chile“ zeigt Hendrix‘ Genialität erst in vollem Umfang. Angeblich brauchten er und seine Band im Mai 1968 nur eine Stunde für die Aufnahme, nachdem sie das Stück schon einen ganzen Abend in einem New Yorker Club live gespielt hatten.
Marvin Gaye
I Heard It Through The Grapevine
1968 Tamla Motown
Das R’n’B-Riff im Intro ist der Vorbote des Unheils. Da wird einem armen Tropf mit übler Nachrede und Geheimniskrämerei der Boden unter den Füßen weggezogen. Gaye spielt die elegante Soulstimme voll aus, macht das Leid des Protagonisten spürbar. Motown-Chef Gordy hatte diverse Aufnahmen des Songs machen lassen, die von Gladys Knight & the Pips wurde 1967 zum Hit. Doch es war Gayes verschmähte Version, die letztendlich zum Klassiker wurde.
Van Morrison
Sweet Thing
1968 Warner Bros
Der Song beginnt nicht, er war schon immer da. Man wird hineingezogen. „Sweet Thing“ dreht sich, angestoßen vom Bass, um ein akustisches Gitarrenmotiv, das Schlagzeug treibt, Flöten setzen ein, Streicher – selbst die Triangel ist unwiderstehlich. „Sweet Thing“ ist ein Song über die Liebe. Nicht zu einem bestimmten Menschen, sondern über das Gefühl an sich, wie man es sich ersehnt, wenn man sich gerade fühlt wie hundert Jahre Einsamkeit. Mit Jazzmusikern, die für Mingus spielten, für Eric Dolphy und das Modern Jazz Quartet ist Van Morrison in diesem „Astral Weeks“- Song in die absolute Transzendez vorgestoßen.
Dusty Springfield
Son Of A Preacher Man
1968 Atlantic
Nachgewachsene kennen den Song vor allem aus jener Szene in „Pulp Fiction“, in der der bedröhnte Mobster Vincent Vega über die Gegensprechanlage von der beischlafwilligen Mia Wallace zur Bar geführt wird. Das Bild vom anständigen Mädchen, das dem bad boy verfällt, trifft indes weder bei Wallace noch bei Springfield zu: Zwar war die 1999 verstorbene Sängerin eine weiße Engländerin, doch gelang ihr, unter der Regie von Jerry Wexler, die bis heute verruchteste und reifste Version des ursprünglich für die Supremes geschriebenen Songs. Zeitlos.
MC5
Kick Out The Jams
1969 Elektra
Ein anarchistisches Pamphlet ist das Brett aus Detroit im Sinne seiner Schöpfer nie gewesen. Sänger Wayne Kramer erklärte „Kick Out The Jams!“ später als Bandritual: Eine ihrer Vorgruppen verstrickte sich regelmäßig in endlosen Jams – und MC5 glaubten, den Support von der Bühne schreien zu müssen. Wer will, darf trotzdem gerne weiter an die rebellische Natur dieses Ausrufs glauben.
Flying Burrito Brothers
Sin City
1969 A&M
Nur 30 Minuten soll es gedauert haben, dann war die bittere Anklage über Los Angeles vollendet. Chris Hillman hatte die Kernzeile im Kopf, als er am Morgen aufwache: „This old town’s filled with sin/ It’ll swallow you in.“ Er weckte seinen Mitbewohner Gram Parsons und trieb ihn an, eine Melodie zu schreiben. Eine Tasse Kaffee später intonierten die beiden den Song erstmals gemeinsam; der zweistimmige Gesang macht ihn bis heute zum Meisterstück. Thema ist der schwarze Magnet L.A. Ende der Sixties, der die größten Talente aus der Provinz anzog und dann fallen ließ.
Creedence Clearwater Revival
Bad Moon Rising
1969 Fantasy
Es kann einem mulmig werden beim dritten CCR-Album „Green River“: Fogerty schrieb seine geradlinigsten Songs, doch die düstere Lyrik widersprach der kompositorischen Ordnung. „Bad Moon Rising“ vereint die zwei Gesichter sehr offensichtlich, fast ein bisschen abgedroschen: Pack deine Sachen, du stirbst – there’s a bad moon on the rise! Kann schon sein, dass Fogerty seinen inneren Tumult vertonte, doch in diesem Menetekel wird auch etwas grundsätzlich Amerikanisches erkennbar. Vielleicht wollte er sich selbst nicht zu ernst nehmen, wenn er den Refrain gelegentlich in „There’s a bathroom to the right“ abänderte.
Captain Beefheart & The Magic Band
Moonlight On Vermont
1969 Straight/Reprise
Verwegene Songs locken verwegene Interpreten. „Moonlight On Vermont“ sei ein „kosmischer Cousin“ von Howlin‘ Wolfs „Moanin‘ At Midnight“, so der Beefheart-Deuter Marc Saucier. Eine „pan-dionysische Mondorgie“ hört er hier: Unter dem weißen Mond sollen wir die Ketten der Zivilisation sprengen, unser Hirn möge verbrennen im verführerischen Licht. In Beefhearts Vermont tobt eine Mischung aus Drogensexparty und schwarzer Messe. Beefhearts „Trout Mask Replica“ erschien 1969, mitten im Blues-Revival. Weiße Jungs wie Fleetwood Mac trieben Denkmalspflege, Beefheart inhalierte den Geist von Howlin‘ Wolf, zerschredderte den Blues, heulte den Mond an. Dionysisch?
Nick Drake
River Man
1969 Island
Die klarsten, poetischsten, unwiderstehlichsten vier Minuten des gro- ßen Mystikers Nick Drake. Der Sänger macht sich auf den Weg zum Demi-urgen, um ihn nach dem Geheimnis des Lebens zu fragen. „If he tells me all he knows/ About the way his river flows/ I don’t suppose/ It’s meant for me.“ Als Begleitung für seinen musikalisch ambitioniertesten Song schwebte Drake ein an den englischen Komponisten Frederick Delius angelehntes Arrangement vor. Das überforderte die Fähigkeiten von Drakes Freund und Arrangeur Robert Kirby, der den Komponisten Harry Robinson um Hilfe bat. Im Londoner Vorort Barnes ersannen sie einen impressionistischen musikalischen Fluss, in dem die ganze Welt des Songs enthalten ist.