Den Animationen entwachsen

Auf der Bühne degradiert Damon Albarns Star-Ensemble die Comicfiguren zu Statisten.

Gorillaz

London, Roundhouse

Die Szene gleicht einer Traumsequenz: Damon Albarn lehnt sich mit dem Mikro über den Bühnenrand, ganz der wiedergeborene Popstar, wie wir ihn von der Blur-Reunion letzten Sommer im Gedächtnis haben. Doch statt der Herren Coxon und James umrahmen ihn zwei ebenso wiedererkennbare Figuren, gekrönt von riesigen Kapitänsmützen: Mick Jones marschiert in kurzen Schritten auf der Stelle, genau wie einst bei The Clash. Sein damaliger Bandkollege Paul Simonon steht breitbeinig zur Linken des Sängers und pflückt wunderbar runde Grooves aus seinem in Kniehöhe hängenden weißen Bass. Es wirkt, als wäre Albarn Joe Strummer vor 25 Jahren.

Mit den ambitionierten Anfängen der Gorillaz, als die Band sich hinter einem Vorhang versteckte und Jamie Hewletts Cartoons die ganze Glorie überließ, hat dieses erstaunliche Schauspiel kaum mehr etwas zu tun. Andererseits ist an diesem Abend das Geschehen auf der mit einer vollständigen Blaskapelle, reichlich Streichern, zwei Schlagzeugen und jeder Menge Tasteninstrumenten bestückten Bühne des Roundhouse auch so schon surreal genug.

Wenn etwa Snoop Dogg in „Welcome To The World Of The Plastic Beach“ synchron zur Live-Musik von der Leinwand herunter rappt. Wenn „Stylo“ dank des schier elektrischen Organs des lebendigen Soul-Denkmals Bobby Womack weit über die gelungene Stilübung der domestizierten Studioversion hinauswächst. Oder wenn bei „Dare“ Rosie Wilson im glitzernden, mit einer übergroßen Eistüte bedruckten Kleid um die unbeweglich teigige Gestalt von Shaun Ryder herum tanzt und singt.

Die beiden Grime-MCs Bashy und Kano tragen – gemeinsam mit dem auf einer mobilen Plattform angerollten syrischen Nationalorchester – eine umso energetischere Version von „White Flag“ vor, während Damon Albarn als Zeichen der friedlichen Völkerverständigung im Hintergrund eine große weiße Fahne schwenkt. Gleich danach erweckt ein Doppelauftritt von De La Soul und Gruff Rhys von den Super Furry Animals den in seiner Albumfassung eher leichtgewichtigen Anti-Nuklear-Song „Superfast Jellyfish“ auf wunderbar anarchische Art zum Leben. Und in der ersten Zugabe schlüpft Mos Def für „Sweepstakes“ in die Rolle eines viktorianischen Marktschreiers. Wer braucht da noch ein virtuelles Bandkonzept?

Selbst Damon Albarns Stimme setzt sich über die limitierte, lethargische Persona seines blauhaarigen Comic-Alter Egos 2D hinweg und lässt leidenschaftlich die ökologisch-moralischen Bedenken des 42-jährigen Familienvaters sprechen. Etwa wenn er in „Broken“ apokalyptisch vom Licht der Plasma-Bildschirme singt, zu dessen unermüdlichem Flackern wir die ganze Nacht lang schlafen, während draußen vor dem Fenster eine Welt zerbricht.

Er mag chinesische Opern aus dem Boden stampfen und mit Musik die Kontinente zusammenzuführen, aber spätestens bei „To Binge“, einem Duett mit Little-Dragon-Sängerin Yukimi Nagano, wird offensichtlich, wo tatsächlich Albarns größte Stärke liegt: In simplen, autobiografischen Stimmungsbildern.

Ähnliches gilt übrigens für Jamie Hewletts Visuals, die diesmal ganz auf spektakuläre 3D-Animationen verzichten und nur wenig wirklich neue Zeichentrickelemente enthalten. Es sind bezeichnenderweise nicht die technisch cleveren Passagen, sondern gerade schlichte Momente wie das krude animierte Krächzen einer gigantischen Krähe in „O Green World“, das abgefilmte Modell eines Windjammers mit zerfetzten Segeln in „Glitter Freeze“ oder die monotone Montage von Archivbildern abstürzender Kampfflugzeuge zu Bobby Womacks zweitem vokalen Glanzstück „Cloud Of Unknowing“, die den stärksten Eindruck hinterlassen.

Mag sein, dass die abschließenden Hits „Feel Good Inc.“ (wieder mit den ausgelassenen De La Soul) und „Clint Eastwood“ den größten Applaus ernten, aber am Ende dieses erstaunlichen Konzerts bleibt vor allem der Eindruck, dass Damon Albarns rastloses Talent der Gorillaz-Idee längst entwachsen ist. Was immer danach kommt, es wird auf jeden Fall spannend. Robert rotifer

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