Brief an den Vater
Auf seinem grandiosen Solo-Debüt „Queen Of Denmark“ setzt sich John Grant mit seiner trübseligen Vergangenheit auseinander.
Auf dem Tisch vor ihm liegen auf einem weißen Teller eine Nussschnecke und ein Croissant. John Grant führt eine Tasse zum Mund, schluckt die Emulsion aus Milch und Kaffee hinunter und entschuldigt sich erst einmal: „Ich hatte noch kein Frühstück und bin vor einer dreiviertel Stunde aufgestanden.“ Der bärtige Songwriter verblüfft mit perfektem Deutsch und formt Sätze, die so manchem, der hier geboren ist, schwerfallen. Schau an, er kennt sogar den Unterschied zwischen Konjunktiv I und II. Grant – der aus Denver, Colorado stammt – hatte drei Jahre in der Pfalz studiert, wollte Dolmetscher für Russisch und Deutsch werden, entschied sich dann aber für die schönen Künste. Mit seiner ehemaligen Band The Czars veröffentlichte er mehr als ein halbes Dutzend Alben; jetzt hat er sein Solodebüt vorgelegt.
Es trägt den Titel „Queen Of Denmark“ und kommt aus einer Zwischenwelt, die Himmel und Hölle gleichermaßen trennt wie vereint. Die amerikanische Band Midlake – die Verbindung entstand durch das gemeinsame Label Bella Union – lässt die Begleitinstrumente verspielt und leichtfüßig um Grants Stimme und sein verträumtes Pianospiel tänzeln. Anachronistische Songwriter-Ingredienzien – verstimmte Akustikgitarre, Lagerfeuer-Flair – sucht man vergebens. Stücke wie „Chicken Bones“ erinnern gar an Funk und Jazz, das synkopierte E-Piano bisweilen an Supertramp. Blickt man aber hinter die Musik, schaut man durch die Augen eines unsicheren Mannes, der mit sich hadert, an sich zweifelt, sich nach Sicherheit und einer Raison d’être sehnt – das ist das Klassische an Grants Werk.
„Queen Of Denmark“ ist ein Aufräumen durch nachträgliche Analyse des Erfahrenen. Mit 24 Jahren wollte John Grant in einem Brief seinem Vater seine Homosexualität anver- trauen. Das Umfeld aus streng christlicher Erziehung und Brüdern, die mit vermeintlich männlichen Erfolgen im American Football glänzten, ließen ihn lange zögern. Sorge und Miss- trauen ob des unerwarteten Schreibens brachten die Mutter dazu, den Brief vor dem Vater zu öffnen, was sie noch heute bereut. „Meine Eltern haben zwar immer wieder betont, dass sie mich lieben, dennoch müsse ich geheilt werden. Homosexualität ist für sie ein gänzlich pathologisches Phänomen“, so Grant. Homophobie, fehlende Aufklärung und Intoleranz sind eben auch jenseits des Bible-Belt ein großes Problem.
Die Unfähigkeit, mit der eigenen Identität fertig zu werden, war auch der Auslöser für Grants früheren exzessiven Kokain- und Alkoholmissbrauch: „Es ist traurig, sich so abzuschreiben, aber ich wollte alles töten, die Unsicherheit, die Zweifel, das Gefühl, nicht zu wissen, wovon ich in einem Jahr leben soll.“ In dem Song „Sigourney Weaver“ klingt das so: „I felt like Sigourney Weaver when she had to kill those aliens.“ Oft, so scheint es bei John Grant, hilft nur die comichafte Übersteigerung gefühlter Abgründe, um sie zu verarbeiten: „Jesus, he hates fruitloops“ ist ein weiteres schönes Beispiel dafür.
Jetzt, mit Anfang 40, fühlt sich John Grant erstmals bestätigt und sicher in seiner Person. “ Ich bin ich, und das ist ganz in Ordnung. Die Unsicherheit, was morgen sein wird, bleibt natürlich, aber das stört mich nicht mehr. Was bin ich morgen? Vielleicht ja die nächste Königin von Dänemark!“ Frédéric Schwilden