Der Brummkreisel
Wie Michael Schumacher noch einmal für uns in der Formel 1 fährt - und für seinen Seelenfrieden
Zuletzt hatte ich im Herbst 2006 eine Flagge in den Schrein gehängt, es war eine rote Ferrari-Fahne. Michael Schumacher hatte damals noch eine Chance auf den Weltmeistertitel, aber der Spanier Fernando Alonso – schon einmal Sieger gegen den Deutschen – wollte nicht weichen. An jenem Herbsttag fuhr Schumi sein letztes Rennen, er wurde Vierter, Alonso war Weltmeister. Dass Schumacher aussteigen würde, war längst bekannt: Er hatte seinen Rücktritt seltsam hektisch erklärt; man wurde den Eindruck nicht los, dass die Verpflichtung des stoischen Finnen Kimi Raikkönen damit zu tun hatte – Schumachers Beifahrer bei Ferrari, der Brasilianer Felipe Massa, bewunderte den älteren Champion und hätte es kaum gewagt, ihn im Rennen (oder irgendwo) zu überholen. Drei Autos aber hatte Ferrari nicht.
Ich rollte die Flagge ein. Vor ein paar Wochen ging Michael Schumacher wiederum an den Start, jetzt für ein komisches Konstrukt, das Mercedes GP Petronas genannt wird; der Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug hat sich auf die Erfolgsmannschaft des Superhirns Ross Brawn gesetzt, die im letzten Jahr mit Jenson Button den überraschenden Weltmeister stellte. Mercedes hatte die Motoren geliefert, nun haben sie den Laden übernommen und den jungen Beau Nico Rosberg verpflichtet, dessen finnischer Vater Keke Formel-1-Weltmeister war und Schumi einen „Drecksack“ genannt hatte, als der beim Training in Monaco in einer Kurve stehenblieb, um den Rivalen Alonso zu behindern. Schumi simulierte damals Lenkunfähigkeit.
Es waren Dreistigkeiten wie diese Finte, die dem öden Wettbewerb der Boliden ihre dramatische menschliche Note gaben. Niemand interessierte sich für Apparatschiks wie Nick Heidfeld oder Jarno Trulli, auch Michaels Bruder gurkte brav dahin, verletzte sich einmal schwer und saß bei nächster Gelegenheit wieder am Steuer. Früher starb manchmal ein Pilot – der Tod war der einzige Unfall, der einen Rennfahrer am weiteren Rundendrehen hindern konnte. Der Italiener Alessandro Zanardi fuhr nach dem Verlust beider Beine in einer Sportwagen-Sonderanfertigung weiter. Niki Lauda stieg nach schwersten Verbrennungen wieder in den Wagen, quittierte dann den Dienst und kehrte nach drei Jahren zurück.
Heute steht die Schirmmütze Lauda für RTL an der Strecke und plaudert mit dem Moderator Florian König über Training, Warm-up, Rennen, über Reifentemperaturen, Tankfüllungen, Grip und Speed; es geht darum, wie schwer die Autos sind, wie sie auf der Straße liegen und welche Gummimischung wann auf die Räder gezogen wird. In dieser Saison gibt es die unberechenbaren Tank-Stopps nicht mehr; der Sprit muss gleich komplett eingefüllt werden. Früher gab es für einen Sieg 12 Punkte; heute bekommt der Sieger 25 davon, und auch für die nachrangigen Fahrer bleibt ordentlich was übrig. Dafür wird noch seltener überholt; die Autos fallen einfach aus oder karriolen langsam hinterher. Ferrari scheint wieder am stärksten zu sein – und bei Ferrari fährt Fernando Alsonso, Schumis Nemesis. In Alonsos schwachen Jahren fehlte der Konkurrent, nun steht er einem Übermächtigen gegenüber.
„Man sollte daraus nicht schließen, dass nichts mehr geht“, sagte Schumacher nach dem ersten, mäßigen Rennen für Mercedes. „Es geht immer.“ So wollen wir den Kerpener hören, der angeblich mit den Mechanikern am Rennauto schraubt und in der Garage auch mal Pizza isst, wenn es spät wird. Die Legende will es, dass Ferrari im Jahr 2000 endlich wieder die Weltmeisterschaft gewann, weil der gründliche Deutsche das Arbeitsfahrzeug in vierjähriger Arbeit optimiert hatte. In jenen vier Jahren siegten uncharismatische Gestalten wie Dämon Hill, Jacques Villeneuve und Mika Häkkinen. Der Schumi-Fan wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der bessere Fahrer gewinnen würde. Schumacher hatte ja bereits 1994 und ’95 mit Benetton gesiegt. Damals demütigte er seinen Teamkollegen Johnny Herbert, der sich selbst den Sieg zutraute; bei Ferrari düpierte er zunächst den irischen Playboy Eddie Irvine, dann den brasilianischen Gemütsmenschen Rubens Barrichello, dem er einmal aus Versehen die Vorfahrt über die Ziellinie ließ. Barrichello fährt noch immer mit und warnt heute vor der Egozentrik und den Extrawürsten Schumachers. Noch lächelt das Jüngelchen Rosberg und sagt tapfer seine Sätze auf; doch Schumacher hat bereits die Startnummer und die Garage des Kollegen an sich genommen. BMW wirft das Geld für die Formel 1 nicht mehr zum Fenster heraus; Mercedes errechnet frappierende 30 Millionen Euro Werbewert, die sie bei ihrem Bleifuß-Engagement bereits refinanziert haben. Fast alles davon ist dem Comeback Michael Schumachers zu danken. Der 41jährige Veteran fährt jetzt mit Burschen herum, die halb so alt sind wie er. Er ist einer der Altvorderen, die nicht loslassen können: Muhammad Ali, George Foreman, Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus, Jens Lehmann, Janne Ahonen, Henry Maske, Hermann Maier – sie allen konnten sich ein Leben ohne ihren Sport nicht vorstellen. Sie waren zu gut darin.
Die Medien gestatten dem Champion seine Dämmerung nicht. Und Schumacher gestattet sich selbst keine gemächliche Ehrenrunde. Es war so langweilig, immer mit Corinna auf diesen Gäulen zu reiten. Er gibt Gas.
Dieser verdammte Spanier muss doch noch zu kriegen sein!