Paul Weller: Die Launen des Unbeugsamen
Zuletzt sang Paul Weller von Gott und Natur, jetzt geht es um Klassenkampf und Revolution. Nach 38 Jahren treibt ihn immer noch der Ehrgeiz an - und die Wut auf Politiker, Paparazzi, Mitläufer. Sein neues Album heißt vollmundig "Wake Up The Nation".
Es herrscht kollektive Katerstimmung in London, und ausgerechnet Paul Weller hat einen klaren Kopf. Da stimmt doch etwas nicht! Am Vorabend des Interviews fanden die „NME“-Preisverleihungen statt, und das Musikmagazin verlieh ihm den „Godlike Genius Award“. Nun hat Weller sein erstes Album 1977 veröffentlicht, vor 33 Jahren also – und genauso lang streitet er sich mit der britischen Presse herum. Dass ihn ausgerechnet der „NME“, den er schon als „verdammtes Boulevardblatt“ bezeichnet hat, heilig spricht, wäre das eine oder andere Bier wert gewesen.
Stattdessen sitzt Weller ausgeschlafen im Cafe des Roundhouse, wo er am Abend bei einem Benefizkonzert für Haiti spielen wird. Er ist wie immer braun gebrannt, gut frisiert und schick gekleidet. Der Parka fliegt gleich nach der Begrüßung in die Ecke, das pastellfarbene Shirt sitzt eng, er kann es sich auch mit 51 leisten. „Ich war schon um Mitternacht zu Hause“, wundert er sich selbst und gibt zu, dass er den Preis nicht ernstnehmen konnte. „War aber nicht unangenehm, einen Abend lang als gottgleiches Genie herumzulaufen! Besser, als immer nur Kritik einzustecken. Aber selbst das beschäftigt mich heutzutage nicht mehr so sehr.“ Es war ein weiter Weg dahin.
„Wake Up The Nation , das am 16. April erscheint, ist Wellers 20. oder 21. Studio-Album – je nachdem, ob man das nie regulär veröffentlichte „Modernism“ von 1989 dazuzählt. Im Jahre 1972 hatte er eine kleine Schulband gegründet, die sich The Jam nannte. Fünf Jahre später kam das Debütalbum, dann der große Erfolg – und 1982, kurz nach dem ersten Nummer-eins-Album, die Trennung. Die britische Presse, die ihm vorher noch Konservatismus vorgehalten hatte, weil er in Punk-Zeiten auch Sixties-Soul liebte, reagierte ungehalten und verzieh Weller nie so ganz. Sein nächstes Projekt, The Style Council, stand entsprechend unter Beschuss. Seit Anfang der 90er-Jahre ist der Songschreiber als Solo-Künstler unterwegs, Spitzen-Platzierungen in den Charts sind für ihn längst nichts Besonderes mehr.
Und doch ist fast jedes Album für ihn „eine Quälerei“. Er schießt aber schnell hinterher: „Meistens lohnt sie sich wenigstens.“ So auch diesmal. Erst 2008 hatte er mit „22 Dreams“ ein Doppelalbum rausgehauen, danach war kein einziges Lied mehr übrig, und er hatte gar nicht vor, sich so bald wieder an die Arbeit zu machen. Dann kam sein Kollege Simon Dine, der schon „22 Dreams“ produziert hatte, plötzlich mit einigen Ideen an, die Weller interessant fand: „Zum Teil waren das nur einminütige Sound-Spielereien oder moodpieces, mit denen ich herumexperimentiert habe. Für mich war das eine neue, aufregende Herangehensweise. Ich hatte vorab gar keine Texte, oft auch keine fixe Melodie, sondern bin einfach ins Studio gegangen und habe geguckt, was passiert. Was etwas beängstigend war. Aber auch gut. Gave it a weird kind of edge.“
Er lacht kurz auf und erinnert sich an einige Tage, an denen ihm gar nichts einfiel. Zum Glück hat Weller in Surrey, nahe seinem Heimatort Woking, ein eigenes Studio namens Black Barn, in dem er auch einfach mal Zeit verbummeln kann, ohne teuer dafür zu bezahlen. Er wirft dann die Jukebox an (die natürlich ein stylishes „Stanley Road“-Design hat) und sorgt sich nicht weiter. Irgendwann kommt die Inspiration schon vorbei. „Eins war diesmal von Anfang an klar: Simon wollte einen urbanen, fast metallischen Sound. Nichts Pastorales, keine akustischen Gitarren, kein Folk-Zeug.“ Zuletzt hatte Weller oft von der Natur gesungen, von den Jahreszeiten, sogar von Gott. Jetzt geht es also zurück in die Stadt – womit sich gewissermaßen auch der Kreis zum Jam-Debüt schließt: Das hieß „In The City“, und damals sang der 19-jährige Weller in „Sounds From The Street“: „I know I come from Woking and you’ll say I’m a fraud/ But my heart is in the city where it belongs.“ In den 70er-Jahren lief er angeblich mit einem Kassettenrekorder durch London, um den herrlichen Lärm dort aufzunehmen.
Heute heißt eines seiner Lieder „Fast Car, Slow Traffic“. Was natürlich die Frage aufwirft, ob Weller überhaupt selbst Auto fährt? „Natürlich“, nickt er, als wäre es eine absurde Vorstellung, dass er einen Chauffeur haben könnte. „Ich fahre ein schönes englisch-deutsches Auto: einen Mini. Komischerweise bin ich im Auto ganz ruhig, anders als sonst. Überhaupt kein aggressiver Fahrer. Mir macht das Fahren allerdings auch keinen Spaß, aber ich bringe die Kinder zur Schule, hole sie ab und belasse es dabei, wenn möglich.“
Manchmal laufen ihm dabei komische Typen über den Weg, dann wird er doch mal aggressiv – wenn sie ein Tele-Objektiv dabei haben und seine Kinder (er hat fünf von drei Frauen) ablichten. „Dieses Paparazzi-Phänomen hat mich erst in den letzten Jahren ereilt. Das ist einfach ein Riesen-Geschäft geworden, das nicht mehr nur Filmstars trifft. Jeder Idiot kann mit einer Kamera durch London laufen und versuchen, ein paar Pfund zu verdienen.“ In diesem Moment erinnert er sich wahrscheinlich auch an diese unrühmliche Szene in Prag 2008: Da hatte er mit seiner Freundin einen über den Durst getrunken und sich mal kurz auf den Bordstein gelegt, worüber die Polizei wenig erfreut war. Vor allem war aber auch einer vor Ort, der ein Video davon dann auf YouTube stellte. „Niederträchtig“, murmelt er. „Dabei glaube ich gar nicht, dass die Allgemeinheit tatsächlich so an Klatsch interessiert ist, sie wird nur permanent damit gefüttert – so wie Gänse gegen ihren Willen gestopft werden. Aber wollen die Menschen wirklich Klatsch-Kram wie ‚Grazia‘? Wollen sie wissen, was Madonna gestern zum Frühstück gegessen hat? Ich hasse all diese Schlagzeilen in Frauen- und Klatsch-Magazinen: Ist sie zu dick? Ist sie zu dünn? Make your fucking mind up!“
Paul Weller schnaubt und fragt zum dritten Mal, ob er einen Schluck aus meiner Wasserflasche haben könnte (vielleicht doch ein kleiner Kater). Dann sagt er, auf seinen Ruf als ewiger Querulant angesprochen: „Diese Vorstellung, dass ich so ein grumpy old man bin, hat sich doch längst zu einem Selbstgänger entwickelt. Die britische Presse liebt den Mythos. Wenn man mit 20 Wut und Überzeugungen hinausposaunt, ist man ein leidenschaftlicher junger Mann. Wenn man dasselbe mit 50 macht, ist man ein grantiger alter Sack. Offensichtlich wird erwartet, dass man sich in einem gewissen Alter beruhigt und nicht mehr angepisst ist. Aber warum eigentlich?“
Gründe, sich aufzuregen, findet Weller zurzeit an jeder Ecke. Dieses Album heißt nicht umsonst „Wake Up The Nation“, auch wenn er es scherzhaft „politisch mit einem sehr kleinen p“ nennt. Vor zwei Jahren gab er noch zu, seine Benachrichtigung für die Londoner Bürgermeisterwahl versehentlich weggeworfen zu haben. Nun ist der konservative Wirrkopf Boris Johnson im Amt – eine Tatsache, an die Weller jetzt ungern erinnert wird. „Klar, daran bin ich auch noch schuld!“, knurrt er. Und setzt zum Rundumschlag gegen seine Heimat an: „Wahrscheinlich ist es in Deutschland nicht viel anders, aber hier in Großbritannien fällt mir in letzter Zeit extrem auf,
wie weit sich die Bevölkerung von der Politik entfernt hat – völlig desillusioniert. Alle fühlen sich machtlos, bewegungsunfähig. Die Demokratie kommt einem unecht vor. Aber ich werde jetzt trotzdem wieder anfangen zu wählen, wenn schon nicht aus Überzeugung für eine Partei, dann aus Überzeugung gegen eine: damit die BNP weniger Chancen hat. Die nennen sich zwar nicht Faschisten, sind es aber.“
Für einen überzeugten Linken aus der Arbeiterklasse ist die British National Party natürlich ein einfaches Feindbild, das streitet Weller gar nicht ab. Es muss ja nicht immer kompliziert sein. „Politische Songs entstehen bei mir eigentlich immer nur aus Frustration. Momentan vor allem darüber, dass sich hier alle immer einfach in das Schicksal fügen, das ihnen aufgedrückt wird. In den letzten 15 Jahren hatte ich das Gefühl, dass die Nation als solche sich eigentlich weiterentwickelt hat. Wir sind offener, großzügiger. Nur die Politiker kommen nicht nach.“ Und woran liegt es? Für Weller ein klarer Fall: daran, dass in England immer nur ein gewisser Schlag Menschen die politische Laufbahn einschlägt. „Die gehen alle in die Oberschule, dann nach Eton oder Cambridge, die sind alle gleich. Es gibt nur ganz, ganz wenige Politiker aus der working dass. Die anderen kommen alle aus der Mittelklasse. Wie Tony Blair und David Cameron: Wo ist da der Unterschied? Sogar der BNP-Vorsitzende (Nick Griffin) ist derselbe twat. It’s like a little boys‘ club really.“
Vor 31 Jahren beschrieb er in „The Eton Rifles“ schon einmal seine Verzweiflung über die ungleichen Verhältnisse, die einem Arbeitersohn keine Chance geben: „Thought you were smart when you took them on/ But you didn’t take a peep in their artillery room/ All that rugby puts hairs on your ehest/ What chance have you got against a tie and a crest?“ Das Stück endet in Resignation: „Hello hooray, I’d prefer the plague to the Eton Rifles.“ Sicher sitzen in Eton immer noch viele Schnösel, aber sind diese Klassenfragen nicht trotzdem längst Vergangenheit? Margaret Thatcher ist seit 20 Jahren nicht mehr im Amt, die Grenzen zwischen Tories und Labour sind verwischt, es gibt doch kaum noch – Weller unterbricht, jetzt wird er aber doch mal ungeduldig: „Natürlich ist das alles noch eine Frage der Klasse! Die Unterschiede fallen vielleicht nicht mehr sofort auf, weil jeder einen Plasma-Fernseher hat, eine Playstation und solchen Scheiß, aber im Grunde hat sich nichts geändert.“
Und damit jetzt hier keine Missverständnisse entstehen, nur weil Weller noch keine Fabrik von innen gesehen und schon lange keine Geldsorgen mehr hat: Er definiert sich als working class, Punkt. „Definitiv. Immer. Es geht nicht nur darum, in welche Umgebung man hineingeboren und wie man erzogen wurde. Working dass, das ist auch eine Kultur und eine Haltung. Egal, wie reich man wird, wieviel Geld ich jetzt mit meiner Musik verdiene, welchen Luxus ich mir vielleicht leiste, meine Lebenseinstellung ändert sich dadurch überhaupt nicht.“
Was wiederum bedeutet, dass er sich immer darüber ärgern wird, dass die meisten Entscheidungen von der Mittel- oder Oberschicht getroffen werden. „Der Klassenkampf geht weiter, wird immer weiter gehen. Da habe ich keine Illusionen. Das ist einfach die Grundstruktur dieses Landes.“ Im Titelsong des neuen Albums fordert er den geneigten Hörer auf, sein Gesicht von Facebook abzuwenden, das Telefon abzustellen. Er bedauert den Tod des Briefkastens und fordert die Revolution. Nicht weniger! „Das Album und der Titelsong im speziellen sollen eine Art Weckruf sein: Auf jetzt, können wir das nicht alle ein bisschen besser? Scheiß aufs Fernsehen, scheiß auf die gleichgeschalteten Medien, den Radio-Müll. Es wäre mal wieder Zeit für eine Revolution, und ich spreche nicht von bewaffnetem Straßenkampf, sondern von einer kulturellen Revolution. Musik, Kunst. Aus dem Koma aufwachen und etwas anschieben.“
Facebook, Twitter, iPhone, Apps, das ist nichts für Weller, dem durchaus bewusst ist, dass das an seinem Alter liegen könnte. Er gesteht unumwunden, dass er die „moderne Technik“ nicht beherrscht. Und das stört ihn kein bisschen. Er findet die Vorstellung, einfach bei einem Freund vorbeizuschauen, immer noch schöner, als ihm eine SMS zu schreiben. Und nennt ihn jetzt ruhig wieder einen alten Sack! Kümmert Weller kein bisschen.
Nein, halt, das wäre jetzt gelogen. Er ist über 50 – eine Zahl, die sehr oft thematisiert wird. Von allen anderen, aber auch von ihm selbst: „Die Leute sind besessen vom Alter. Ich auch. Das ist wohl Teil der englischen Psyche. Früher war es ja verpönt, als Musiker alt zu werden. Aber inzwischen hat sich das etwas verändert, weil die Alten heute im Kopf viel jünger sind. Die Rock’n’Roll-Generation hat das Bild von älteren Leuten ja extrem verwandelt. Als ich ein Kind war, kamen mir 40- bis 50-Jährige richtig alt vor – fucking old, proper old. Heute ist das anders. Wer heute so alt ist, hat Rockmusik mitgemacht oder Ecstasy und Raves. Zu meiner Kindheit hatten diese älteren Leute hauptsächlich den Krieg mitgemacht, oder die Wirtschaftskrise. Da altert man sicher schneller.“
Auch wenn Weller viel zu kritteln hat an der Gegenwart: Er möchte sie auf keinen Fall tauschen gegen irgendeine andere Ära. Okay, er würde in eine Zeitmaschine steigen, um in die 60er-Jahre zu reisen und „um Mitternacht Stevie Wonder in einem kleinen Club anzuschauen“, aber leben möchte er nur: jetzt. Er ist kein Nostalgiker, denn er erinnert sich zu gut an seine Kindheit, die späten 60er- und frühen 70er Jahre. Alles kam ihm düster vor damals in Woking, grau und eintönig. Er schätzt das moderne England, das multikulturelle Miteinander. Und dass es nicht mehr so langweilig ist wie früher. „Damals waren am Mittwochnachmittag und am Wochenende alle Läden geschlossen. Die Pubs haben um halb zehn dichtgemacht. Absolut öde.“ Wenn man weder einkaufen noch trinken kann, was dann?
Dass Wellers Kindheit und Jugend trotzdem keine unglückliche war, lag vor allem an seiner Familie. Sein Vater, John Weller, unterstützte seine Musikkarriere von Anfang an, wurde bald sein Manager und blieb es, solange er konnte. Vor einigen Jahren zog er sich langsam zurück, im April 2009 starb er mit 77 Jahren. Noch jetzt stockt Weller ein wenig, wenn er von ihm spricht. Er hat ein Lied über eines der letzten Treffen geschrieben, „Trees“. Er erzählt, dass sein Vater vor seinem Tod noch zwei Wochen in einer Art Seniorenheim war, weil die Mutter sich nicht mehr 24 Stunden am Tag um ihn kümmern konnte. Er ringt mit den Worten. „Das war so eine Art Privatklinik.“ Kurzes Schweigen. „Wie immer man es nennt, Klinik, Altenheim, egal. Auf jeden Fall habe ich ihn da besucht, und das war so verdammt schrecklich, so deprimierend. Ich habe all diese kleinen alten Leute gesehen, die meisten älter als mein Dad, also 80, 90. An eine alte Frau erinnere ich mich besonders, sie schien schon 120 oder so zu sein. Sie saß zusammengekrümmt in ihrem Sessel wie ein kleines Fossil, wie ein versteinerter Baum – es schien, als wartete sie nur darauf, dass Gott sie zu sich holt und der Lebenskreislauf dann wieder von vorne anfangen kann. Ich halte es für eine schöne Vorstellung, dass man am Ende des Lebens in die Erde zurückgeht und wieder Teil von etwas Neuem wird.“ Er schaut aus dem Fenster und sagt: „Whatever. Ich will jetzt nicht groß philosophisch werden.“
Noch vor einigen Jahren behauptete Weller, wenn sein Vater eines Tages nicht mehr sein Manager sein könne, dann hätte er wohl auch keine Lust mehr. Das war nicht bloße Koketterie: „Wir waren ein Team, und früher dachte ich wirklich immer: Wenn er einpackt, packe ich auch ein. Aber wir haben vor ein paar Jahren schon darüber geredet, und er sagte: Du wirst immer Musik machen, du bist dafür bestimmt. Ich vermisse ihn natürlich als meinen Dad, aber auch als Kumpel. Jetzt versuche ich, die positive Seite zu sehen: Wir haben uns so gut verstanden. Das ist ja nicht selbstverständlich. Die meisten meiner Freunde können ihre Eltern nicht ausstehen. Mein Vater und ich haben zusammen gelacht, gesoffen, sind um die Welt gereist. Das weiß ich sehr zu schätzen.“
Die Tradition, mit der Familie zusammenzuarbeiten, setzt Paul Weller im kleinen fort. Beim Song „Find The Torch, Burn The Plans“ sind seine Tochter und deren Freund zu hören. Bezahlen musste er sie nicht, betont er, ein bisschen zwingen allerdings schon. Aber im Black-Barn-Studio gilt eben: Wer rumsteht, muss mitmachen, wenn Not am Mann ist. Diesmal kam zum Beispiel Kevin Shields (My Bloody Valentine) vorbei, Little Barne auch und Bev Bevan (The Move).
Ein Gast, der bei zwei Songs auf „Wake Up The Nation“ mitspielt, überrascht besonders: Es ist Bruce Foxton, einst Bassist bei The Jam. Der Legende nach sprachen die beiden jahrelang nicht miteinander. Foxton hatte Weller sehr übelgenommen, dass er The Jam einfach auflöste, ohne sich groß um seine zwei Mitmusiker zu kümmern. Seitdem sind freilich viele Jahre ins Land gezogen, und ein persönlicher Schicksalsschlag brachte sie wieder zusammen: Foxton verlor im vergangenen Jahr seine Frau, Weller hatte kurz vor ihrem Tod den Kontakt wieder aufgenommen. Als er später im Studio saß, kam es ihm so vor, als könnten zwei Stücke – „Fast Car Slow Traffic“ und „She Speaks“ – den speziellen Bass-Sound seines alten Kollegen gut brauchen. „Und es war überraschend einfach, wieder mit ihm zu spielen! Wir waren beide ein bisschen nervös. Aber das Schöne an Musik war und ist ja immer: Wenn die Musik gut ist, spielt alles andere keine große Rolle mehr. Dann übernimmt die Musik, alles andere ergibt sich von selbst.“
Gerüchte, dass eine Wiedervereinigung von The Jam anstehen könnte, schmettert Weller ab. Für kein Geld der Welt. Und Geld gäbe es dafür sicher zuhauf. Aber: „Nah! Not at all. Mir gefällt das, was ich jetzt mache, zu gut. Und obwohl die Leute, die jetzt in meiner Band sind, ihre eigenen Projekte und Bands haben, fühlt es sich für mich wie eine Band an.“ Mit einem entscheidenden Unterschied: „Ich bin trotzdem noch der Boss! Zu viel Demokratie in einer Band ist leider Mist. Auch wenn Demokratie sonst eine gute Idee ist.“ Es gab in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten manchmal Momente, in denen Paul Weller dachte, dass alles vorbei sein könnte. Dass ihm nichts mehr einfällt, er keine Lust mehr haben könnte. Inzwischen glaubt er nicht mehr, dass seine Leidenschaft für Musik je nachlassen wird. „Ich kaufe immer noch dauernd Platten, ob alte oder neue. Wenn ich nicht selbst arbeite, höre ich dauernd Musik, ob im Radio oder auf der Stereoanlage oder im Auto. Es ist immer Musik um mich herum.“ Wenn er bei HMV oder einem anderen Plattenladen einkehrt, passiert ihm immer dasselbe: „Ich will mir ein bestimmtes Album kaufen und komme mit zehn anderen raus. Manchmal gefällt mir einfach das Cover. Manchmal erinnere ich mich, dass mir jemand etwas empfohlen hat. Neulich habe ich was von Stockhausen gekauft. Pretty bonkers!“ Auch beeindruckt haben ihn in letzter Zeit: die Improvisations-Meister AMM und die experimentellen Elektroniker Broadcast And The Focus Group, Erland And The Carnival und die Wild Beasts. Während er noch aufzählt, tauchen nach und nach Wellers Musiker auf. Der Soundcheck kann beginnen. Er verabschiedet sich mit den schönen Worten: „Wir sehen uns an der Bar.“
Einige Stunden später. Auf der Bühne des Londoner Roundhouse stehen Bombay Bicycle Club, die in der Nacht zuvor auch einen „NME“-Award gewonnen haben, als beste Newcomer. Die rotbackigen Milchgesichter sehen aus, als hätten sie gerade ihr erstes Pint getrunken. Danach treten Get Cape. Wear Cape. Fly auf, dann die Futureheads. Die Frisuren verändern sich, die Sounds schwanken zwischen 80er-Jahre-Wave und 90er-Jahre-Rock, aber keiner hat etwas Bemerkenswertes zu bieten. Nur Mr. Hudson überrascht nach einem verkorksten Melodika-Solo mit einer schrägen Version von Alphavilles „Forever Young“. Der Rest ist gesundes Mittelmaß.
Und dann kommt Paul Weller. Die meisten Musiker an diesem Abend sind Jahrzehnte jünger und haben doch nur halb so viel Energie. Weller stellt seine Band nicht vor und sagt auch sonst kaum etwas, bedankt sich nur kurz bei den Organisatoren. Kein unnötiges Geplänkel, keine Anbiederei. Er beginnt mit einem neuen Song, dem eher schrägen „7 + 3“ und leitet direkt in „Start!“ über: „If we communicate for two minutes only/ It will be enough/ For knowing that someone in the world/ Feels as desperate as me.“ Das wiederholte „What you give is what you get“ klingt wie eine Beschwörung. Dann stapft die Band durch „Wake Up The Nation“ und „From The Floorboards Up“, und Weller wirft sich in „The Eton Rifles“, als hätte er es gerade frisch geschrieben. Es ist von 1979. Der letzte Song, „Town Called Malice“, hat so viel Kraft, dass die Schellen vom Tamburin fallen. That’s entertainment.