Brüder, zur Sonne!
Die magischen drei Wörter gehen manchmal schwer über die Lippen. Die Avett Brothers wissen ganz genau, warum.
Concord, North Carolina ist eine verschlafen wirkende Kleinstadt 20 Meilen nordöstlich von Charlotte. Die Stadt hat knapp 50 000 Einwohner, die einzige Attraktion ist eine Nascar-Rennstrecke. Nascar ist ein sehr stupides Autorennen. Die Teilnehmer fahren unentwegt auf einer streng ellipsenförmigen Bahn ihre Runden ab. Formel 1 wirkt dagegen wie Atomphysik. Betrachtet man den winzigen Ort bei Google Maps, erinnern seine Umrisse stark an einen gähnenden alten Mann.
In diesem Nest gründeten Seth und Scott Avett im Jahr 2000 die Avett Brothers. Früher wollten die beiden noch rebellieren gegen die antiquierten Musikvorlieben der Eltern- und Großelterngeneration in den Südstaaten. Das Resultat juveniler Abgrenzungswut war für beide damals die bombastisch klingende Hardrock-Band Nemo. Zum Glück fanden sie ihre wahre Stimme: Bluegrass, Country und Folk, deutlich Rock-orientierter interpretiert als bei Artverwandten wie den Fleet Foxes oder den Felice Brothers, aber mit ähnlichem Bartwuchs.
Nach der üblichen Tingelei zwischen Hochzeitsgesellschaften und kleinen Restaurant-Gigs haben sich die Avett Brothers in den USA spätestens 2007 in höhere Sphären gespielt. Inzwischen sind die Brüder in jeder wichtigen Late-Night-Show des Landes aufgetreten, von Conan O’Brien bis David Lettermann. Zuletzt gewann die Band auch einen ganz besonderen Fan: Rick Rubin. Der hat schließlich das neue Album „I And Love And You“ produziert und die Brüdern gebeten, auf Johnny Cashs postumer Veröffentlichung „American VI: Ain’t No Grave“ die Percussion zu spielen.
Das neue Album, das mit einiger Verspätung in Deutschland erscheint, klingt wie ein großer Liebesbrief. Oft handelt es von der Schwierigkeit, die richtigen Worte zu finden. „Three words that became hard to say / I and Love and You“, heißt es gegen Ende des Titelsongs, untermalt von den dezenten Klängen eines sehnenden Klaviers. „Diese drei fast magischen Worte machen verletzbar. Wenn einem das Herz gebrochen wird, beginnt man abzustumpfen, man baut einen Schutzwall um sich herum. Man will einfach nicht erneut verletzt werden“, beschreibt Seth seine Gefühle und die Bedeutung des nebulösen Plattentitels.
Für die Avetts geht Liebe aber nicht zwangsläufig mit Leiden einher. Das verspielt tänzelnde „Kick Drum Heart“ kündet von Glücksfunden: „There’s nothing like finding gold/ Within the rocks hard and cold/ I’m so surprised to find more/ Always surprised to find more“, rufen die Brüder wie ein großes, emphatisches „Ja!“ zum Leben und zum Streben nach Liebe hinaus, als wollten sie alle Mauern des Selbstschutzes zum Einsturz bringen. Die Charaktere in den Stücken der Avett Brothers sind keine Trauergestalten, keine Ausgelieferten oder Jammerlappen – sie sind die Herren ihres Schicksals.