Arctic Monkeys – München, Zenith
Live vollzieht die ehemals pickelige Band endgültig den Schritt ins reife Fach.
Gestern haben sie hier noch ein Fest der sexuellen Frustration gefeiert, das sich „World Of Erotic“ nannte. Doch das erregte Kribbeln und das Herzklopfen haben die Ventilatoren an der hohen Decke des Zenith erst in alle Richtungen gewirbelt und dann in die Kälte entweichen lassen. Übrig bleibt nur eine zur Industriearchitektur passende Ernüchterung. Träge raunzt die Gitarre aus „Dance Little Liar“, mit der in München die Deutschlandtournee der Arctic Monkeys beginnt. „And the clean coming will hurt“, singt Alex Turner in diesem Song, der einer hypnotischen Selbstanklage gleicht, und der nach einigen Minuten zusammenbrechen wird, als wäre der Band schon bei der ersten Nummer die Kraft ausgegangen.
Dass das Zenith drei Tage lang eine Sexmesse beherbergte, die Käuflichkeit und Unendlichkeit von Lust propagierte, ist an diesem Montagabend also kaum vorstellbar. Aber auch die Arctic Monkeys sind kaum wiederzuerkennen. Als wir ihnen im Sommer 2006 das erste Mal live begegneten, waren sie noch ein paar Milchbubis aus Sheffield, die zwar mit „Whatever People Say l Am, That’s What I’m Not“ ein unglaubliches Debüt veröffentlicht hatten, aber auf den Bühnen der großen Festivals, für die sie natürlich sofort gebucht wurden, verlegen verkrampft wirkten. Bei einem dieser Konzerte fiel Gitarrist Jamie Cook vor allem dadurch auf, dass er während des gesamten Gigs unentwegt auf sein Griffbrett starrte. Das tut er zwar immer noch, aber inzwischen sieht das verdammt cool aus. Wie Turner und Bassist Nick O’Malley trägt er die Haare jetzt zottelig schulterlang. Nur die Locken von Drummer Matt Helders scheinen sich der Slacker-Uniformität zu widersetzen, mit der die Arctic Monkeys dem vom Stoner-Rock beseelten aktuellen Album „Humbug“ modisch zu entsprechen versuchen.
Statt wie auf ihrem Debüt den Soundtrack zum adoleszenten Triebstau zu liefern, irren sie nun musikalisch durch eine bedrohlich mystische Welt. Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass Turner das Publikum vergnügt mit den Worten „Servus, München“ begrüßt, und dass „Secret Door“ als letztes Stück vor den Zugaben von einem spektakulären Gefunkel und einem Konfettiregen überdeckt wird. Das jugendlich Leichte ist der Band abhanden gekommen.
Die Arctic Monkeys sind also erwachsen geworden. Die Zeit des Sturm und Drangs ist vorbei. Stattdessen arbeiten sie sich am Blues-Rock-Schema von Nick Caves „Red Right Hand“ ab, im Konzertrepertoire gefolgt von den beiden besten „Humbug“-Songs „My Propeller“ und „Crying Lightning“.
Schwer tut sich die Band jedoch mit der Vergangenheitsbewältigung. An diesem Abend wirken die Songs des Debüts wie eine Altlast. Es wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ oder „When The Sun Goes Down“ aus den Setlisten verschwinden – so lustlos routiniert wie Turner und die anderen diese Songs inzwischen spielen. Lieber hangeln sich die Arctic Monkeys von einem Riff zum nächsten, durchsuchen ihr Repertoire nach mürrischen Momenten. „Favorite Worst Nightmare“-Songs wie „This House Is A Circus“ werden aus dem Geist des Blues-Rock uminterpretiert. Überaus wohl fühlen sie sich ganz offensichtlich auch mit dem unheilvollen „Potion Approaching“ und dem kruden Zickzack von „Pretty Visitors“.
Bevor das Konzert mit „505“ und einem drohenden Feedback zu Ende geht, erlauben sich die Arctic Monkeys mit „Flourescent Adolescent“ einen letzten Ausflug ins Unbeschwerte, besingen die Aufgeregtheit des Jungseins – und trauern ihr vielleicht doch ein bisschen hinterher.