Beäugtes Wohnen
"Der Wendler-Clan"und anderen Privat-Soaps blickt man in die Abgründe deutscher Häuslichkeit.
Vom vielen Bräunen auf Mallorca ist auf dem Gesicht vom Wendler ein roter Fleck entstanden. Man kann ihn auf dem Fernseher kaum erkennen, aber der Wendler und seine Frau gucken ja nicht auf den Fernseher, sondern in den Badezimmerspiegel. Und da haben Sie ein bisschen Angst vor Hautkrebs und so Zeug. Das kann sogar dem Wendler passieren!
Der Wendler – so nennt er sich selbst – fährt also zum Hautarzt, und der beruhigt ihn: Krebs ist es wohl nicht. Aber vorsichtig muss man doch sein. Weil der Wendler ängstlich ist, gibt ihm der Arzt einen Termin schon für den nächsten Tag; der rote Fleck soll entfernt werden. Also rückt der Wendler mit Frau und Tochter an, der Arzt gibt sein Bestes, und der Wendler überlebt die Operation und wird mit einem Pflaster auf der Wange entlassen. Im Badezimmer daheim pult er zuerst das Pflaster herunter, das war ihm verboten worden. Seine Frau hat Verständnis: Er müsse halt immer gleich sehen, was darunter ist.
Mit der Reihe „Der Wendler-Clan“ suchte Sat.l eine würdige Nachfolge der unvergesslichen Doku-Soap um die Familie Effenberg. Brillierte darin der Fußball-Rentner als maulfauler Realist, während seine Gattin eingebildet und lautstark die Domestiken rüffelte, so präsentiert sich Michael Wendler als rechtes Weichei, das von seiner trutschigen Gattin mal hart, mal zart zu immer neuen Einnahmequellen getrieben wird. Die verwöhnte Tochter hält sich ein Schweinchen, gibt das herzige Tierchen dann aber lieber bei Oma und Opa in Pflege, weil es zu viel Aufmerksamkeit fordert.
Wendler hat sich selbst zum „König des Pop-Schlagers“ ernannt, aber nichts ist Pop an den Ballermann-Techno-Brechern. Bei Dorf-Festen und Regionalbesäufnissen steigt der Wendler auf die Bühne, wenn das Publikum schon voll druff ist, und grölt „Sie liebt den DJ“ zum automatischen Krawumm aus den Boxen. Einmal will ihn ein anderer Unterschichten-Unterhalter verarschen – der Jürgen, der vor vielen Jahren mit Zlatko bei „Big Brother“ im Container wohnte. Der fragt das Publikum, in welcher Limousine der Wendler wohl angereist sei. Solche Kollegen-Häme findet der Wendler voll daneben, das verdirbt das Geschäft. Er weint fast. Sein Chauffeur ist zugleich sein bester Freund, deshalb bekommt er eine Lederjacke geschenkt, auf der „Wendler“ steht.
Der Wendler lässt schwarze Jeans und Hemden im Dutzend kaufen, Buntes lehnt er ab. Für ein protziges Foto legt er sich in eine Badewanne, ein paar Plastikmünzen werden über ihn gestreut: Möglicherweise ist das Wendlers Form von Selbstironie, aber jedenfalls ist es genau das Foto, das man vom Wendler erwartet. Mit dem länglichen Schädel sieht er ein wenig aus wie ein anderer König des Pop- Schlagers, der Schwabendichter Hartmut Engler. Beide verbindet auch das Selbstmitleid und die waschlappige Sprechweise; beide sind mächtig von sich selbst eingenommen und stehen unterm Stiefel ihrer Frauen. Eltern und Schwiegereltern packen mit an wie bei jedem Familienbetrieb – Wendler will sich vergrößern und hat jetzt ein Bauvorhaben; allerdings bildet das Grundwasser schon einen See.
Im Frühstücksfernsehen von Sat.l sehen wir seit Monaten die Dokumentation des Hausbaus von Jürgen Drews nebst Frau und Tochter. Das alte Schlitzohr weiß natürlich, was von ihm erwartet wird, und so laviert Drews zwischen Bruder Leichtfuß und Pater familias, gibt den Verzagten angesichts der Dominanz des Weiblichen, kehrt den Strengen heraus und spielt den geprellten Antiquitätensammler, der überhöhte Preise gezahlt hat. Jürgen Drews hatte einen Hit vor 35 Jahren, er ist 64, sieht aber aus wie 50 und hat sich gerade ein zweites Haus auf sein Grundstück stellen lassen. Auch Drews macht den Animateur auf Mallorca und beschallt seine eigene Einweihungsparty, aber niemand mag ihm bei der Feier im Keller zuhören. Drews braucht das Geld so wenig wie Wendler, aber beide brauchen die Aufmerksamkeit.
Ein weiterer Protagonist des Privat-TV ist der Verkäufer Alex Walzer, auch er ein Star des Sat.l-Frühstücksfernsehens. Walzer hat die Nachfolge des legendären Ramschkönigs Werner Metzen angetreten, der im Fernsehen eine Frau suchte, bevor er das Publikum an seinem Krebstod teilhaben ließ. Metzen schleppte sich am Ende humpelnd vor die Kamera, der Ramschkönig verstand sein Metier in letzter Konsequenz: Er war selbst zur Verschiebemasse geworden, Endstation Reste-Rampe. Alex Walzer ist dynamisch und redet immerzu, animiert die eingeschüchterten Kunden, treibt die Lagerarbeiter an, testet neue Produkte und rollt mit einer Walze heran. In Florida und auf Mallorca sucht er billige Villen; er müsste auf den Preis nicht achten, aber die Schnäppchenjagd ist ja sein Metier. Walzer animiert die Kunden schreiend und schenkt ihnen den Schamott, den sie in einer Minute anhäufen können. Einmal stellt er einen Lamborghini in seinen Billigmarkt. Er kennt keine schlechte Laune, keine Stille. Walzers Frau sagt, der Alex sei eben so, er sei nicht zu bremsen, er könne niemals entspannen. Sie macht die Buchhaltung, könnte aber auch Walzers Krankenschwester sein.
So lehnt man sich im Sessel zurück und bedauert diese reichen Menschen, die sich im Fernsehen ausstellen, weil sie gesehen werden möchten und nicht allein sein können. Die Bekanntheit bezahlen sie mit dem Preis, sich vor aller Augen zum Dämlack zu machen. Doch dem narzisstischen Bewusstsein ist es keine Kränkung, wenn Fremde in den Kühlschrank schauen, ins Bad und auf die Hutablage. Es ist ja nicht Eitelkeit allein – man muss auch Exhibitionist sein und Masochist.
Das erst ist dann Showbusiness.