Von El Äy nach Bissendorf
Ex-Regierungssprecher Bela Anda über das neue Scorpions-Album
„Hallo, hier ist Rudolf Schenker“, die Stimme am anderen Ende der Leitung klang sympathisch. Ich war 13, hatte die Scorpions gerade in der Aula meiner Bonner Schule auf ihrer „Virgin Killer“-Tour live gesehen. Einige Tage später nahm ich all meinen Mut zusammen, rief die Auskunft an und fragte nach „Rudolf Schenker, Hannover“. Ein paar Einträge unter diesem Namen gab’s, erneut nahm ich den Hörer in die Hand und schon meine erste Wahl stimmte. Fast eine halbe Stunde redete ich – der 13-jährige Rock-Fan – mit dem Gitarristen einer Band, die schon damals in Japan zu den bekanntesten internationalen Rock-Acts zählte. In der Schule glaubte mir die Geschichte keiner. Einmal versuchte ich es noch. Da hatte ich seine Freundin an der Leitung: „Rudolf ist auf Tour“, sagte sie. Wahrscheinlich hatte er genug von seinem jungen Fan. Oder sie.
„Kanzlerband“ wurden die Scorpions oft genannt, weil sie – wie Schröder – in Hannover zu Hause sind. In den 9Oer-Jahren spielten Klaus Meine und Gerhard Schröder häufig Tennis gegeneinander. Meine hatte die flinkeren Beine, Schröder den härteren Schlag. Bodenständig sind beide.
33 Jahre nach meinem Teenager-Anruf bei Rudolf Schenker legen die Scorpions jetzt Ihr neues Album „Sting In The Tail“. Es wird die Begleitmusik zu ihrer beginnenden Abschiedstournee. „Zwei bis drei Jahre“ wollen sie um die Welt touren und sich verabschieden. Auf das neue Album war ich gespannt: Würden die Scorpions neue Wege gehen, sich neu erfinden? Die Gelassenheit und den Erfolg hätten sie. Sie tun es nicht – und das ist gut so!
Die Scorpions liefern, was sie können sturmfesten und erdverwachsenen Rock. Der erste Titel „Raised On Rock“ ist ein hämmernder Show-Opener; die neue Single „The Good Die Young“ ist nicht als Hommage an früh verglühte Wunderkind-Gitarristen gedacht (von denen auch die Scorpions einige hatten), sondern – wie Klaus Meine betont als „Hymne für all diejenigen, die sich in unserer heutigen Zeit für Gesellschaft oder Umwelt engagieren“, Motto: „Rock the Amazonas“. „Furios“, lobt die Plattenfirma. Tatsächlich bleibt der Song wie die allzu glatte (jedoch hitverdächtigen) Rock-Ballade „Lorelei“ ein Fremdkörper. Besser sind die Scorpions, wenn sie – wie auf 90% des Albums – wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren: Attitüde, darum geht’s“, sagt Rudolf Schenker über die gegenwärtige Verfassung der Band. Und die gibt es auf Songs wie „Turn You On“, „Let’s Rock“ („Let’s roll/ The party’s on/ We’re having a ball…“), „Spirit Of Rock“ („…will never die“).
In Deutschland hatte die Band zu Unrecht lange Zeit das Image einer in die Jahre gekommenen Rock-Band aus Hannover, bekannt vor allem durch ihre Balladen („Wind Of Change“, „Still Loving You“). International gelten die Scorpions dagegen als eine der „erfolgreichsten 30 Rockbands weltweit“ (Rudolf Schenker). Mit neuen Titeln wie „Rock Zone“ (der starke Reminiszenzen an den Black Sabbath-Klassiker „Paranoid“ hat) beweisen die Scorpions ihre herausragende Rock-Klasse. Das Album, zum großen Teil im heimischen Studio im Norden Hannovers aufgenommen, mixte nicht mehr Aerosmith-Produzent Desmond Child, sondern das schwedische Proudzenten-Duo Mikael Andersson und Martin Hansen. Auch hier kehren die Scorpions zu ihren Wurzeln zurück – von „El Äy“ nach Bissendorf. Die Scorpions sind zu Hause angekommen. Sie müssen sich nicht neu erfinden. Vielleicht müssen wir sie neu entdecken.
Bela Anda war Regierungssprecher von Gerhard Schröder und ist heute Kommunikations- und Marketingchef des Finanzdienstleisters AWD.