The XX – Beim Auftakt der Welt-Tournee verweigert sich die Konsensband allen Glücksmomenten.
The XX Stuttgart, LKA
Stuttgart, LKA
Die bestfrisierten Menschen der Stadt stapfen durch den Schneematsch. Nur Ponyfransen schauen unter puscheligen Mützen hervor, als sie an der Industriehalle im hässlichsten Teil der Stadt ankommen. Den Glühwein, den ihnen ein geschäftstüchtiger fliegender Händler vor dem Tor anbietet, verschmähen sie, halten sich lieber an mitgebrachten Becks-Flaschen fest.
Drinnen wird sie eine zitternde, bibbernde Gitarre erwarten, ein monoton brummender Basslauf, an den sich eine sanft verzweifelnde Stimme klammert: „Maybe I had said/ Something that was wrong / Can I make it better/ With the lights turned on“, fragt Romy Madley Croft bang in „Shelter“ und versteckt sich im Schatten des Gegenlichts. Eine der kältesten Nächte dieses Winters haben sich The XX ausgesucht, um in Stuttgart eine Welttournee wieder aufzunehmen, die sie Ende letzten Jahres abgebrochen hatten, nachdem Keyboarderin Baria Qureshi erst bei einigen Gigs wegen Erschöpfung fehlte und dann die Band ganz verlassen hat. Die Versionen der Songs, die nun Croft, Oliver Sim und Jamie Smith zu dritt umsetzen, scheinen die Frostigkeit des Winters tief eingeatmet zu haben. Nichts Anheimelndes hat diese Musik aus dem Südwesten Londons. Von Joy Division, The Jesus And Mary Chain oder The Cure haben The XX nicht nur diesen tiefgekühlten, nüchternen Postpunk-Elektropop geerbt, sondern auch die schüchternen Posen, das störrische Verweigern einer Bühnenshow, die über lila-türkise Beleuchtungseffekte hinausgeht.
Den 1400 Menschen im trotz des Hypes nicht ganz ausverkauften LKA haben The XX nicht viel mehr zu bieten als die Songs ihres sensationellen, im Sommer erschienenen Debüts. Pressevertreter bekommen vorab Setlists ausgehänigt. Elf Songs füllen eine Din-A4-Seite, nur das Kyla-Cover „Do You Mind“ findet sich nicht auf der Platte. Und wie in dieser entschleunigten und entbeinten Fassung eines R&B-Hits geht es bei dem gerade mal eine Stunde dauernden Konzert eigentlich die ganze Zeit darum, Songs zu dekonstruieren, Zusammenbrüche zu inszenieren. Nicht immer freiwillig: Als das Konzert – wie das Album – mit dem Intro namens „Intro“ beginnen soll, versagt Smiths Drum Machine. Die aufgeregte Pause nutzt das Publikum, um die wortkarge Band zum Reden zu animieren. „Say hello! Say hello!“, skandieren die Jungs in den vorderen Reihen und bringen Croft tatsächlich dazu, ans Mikro zu kommen und „Hello, Stuttgart“ zu hauchen, während Oliver Sim am anderen Mikro artig um Geduld bittet, die Panne damit entschuldigt, dass dies der allererste Gig von The XX im Jahr 2010 sei, und nervös an seinem Bass herumzupft.
Wenn diese drei noch sehr jungen Menschen so hilflos dastehen und nichts funktioniert, wirken sie wie eine Schülerband, die sie ja fast noch sind, scheu, linkisch, von der Größe der Halle überfordert. So cool die Band auf ihrem Debüt ist, so unbeholfen geht es nun zwischen den Liedern zu. Trotzdem schickt man sie um die Welt. The XX haben mit ihrem schmalen Repertoire schon in Hollywood und Brooklyn gespielt, werden in Sydney, Singapur, Rom, Paris und Porto erwartet.
In Stuttgart klingen die musikalischen Inszenierungen von The XX leerer, freudloser und verstörender denn je. „Heart Skipped A Beat“ ist nur noch das lasziv-verlorene Echo einer Gefühlsaufwallung. „Infinity“ gerät zu einer mit Ernüchterung angefüllten Variation von Chris Isaaks „Wicked Game“. All die empfindlichen Entfremdungsdramen finden nur selten ihren eigenen Rhythmus, Die Instrumente dürfen stets nur ganz kurz harmonieren, kommen sich stattdessen ständig in die Quere.
Immer wieder schleicht durch das Repertoire des Abends auch ein bedrohliches Dröhnen, und Croft singt so unerträglich kalt, dass das Trügerische dieses Ich-und-Du-Idylls offensichtlich wird. Die Discokugel, die sich glitzernd dreht, die kindlich-scheue Leichtigkeit, die auch live die Xylofonmelodie von „VCR“ suggeriert, sind kurze Illusionen von Seligkeit, hinter denen Eiskälte lauert.