Fremder im Paradies

Jim Jarmusch setzt mit der Tourdokumentation "Of The Horse" seinen Jugendhelden Neil Young & Crazy Horse ein Denkmal und bleibt dabei immer ganz bei sich.

Zunächst kommt ein Fan zu Wort. Direkt nach einem Konzert in der Frankfurter Festhalle. Er hat sich gerade ein ziemlich hässliches T-Shirt gekauft; vielleicht, weil er noch leicht benommen ist von dem, was er in den letzten zwei Stunden gesehen hat. Doch er kann die richtigen Worte nicht finden, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Um ihn herum stehen weitere Konzertbesucher. Lachen, während er sich den Kopf anhaut an den Grenzen der Sprache.

Der amerikanische Regisseur Jim Jarmusch, der diese Bilder 1996 auf der Europa-Tour von Neil Young und seiner Band Crazy Horse eingefangen hat, war immer schon ein Skeptiker, wenn es um die Möglichkeiten des gesprochenen Wortes ging. Seit seinem Debüt „Permanent Vacation“ von 1980 handeln seine Filme von den Eigenartigkeiten und Ungenauigkeiten der Sprache(n), der großen Kraft des Miss- und Nicht-Verstehens. Er erzählt keine Geschichten, er erzählt Menschen und Situationen. Dort wo die Sprache unscharf wird, setzt er auf Bilder und Musik.

„Meine Herangehensweise an ein Projekt ähnelt eher der eines Musikers als der eines typischen Filmemachers“, erklärte er einmal in einem Interview. „So wie ich etwa eine Gitarre zur Hand nehme und improvisierend darauf herumklimpere, nähere ich mich auch meinen Filmen. Die Charaktere sind mir dabei wichtiger als die eigentliche Handlung. Die Schauspieler sind die Instrumente des Films, die den emotionalen Gehalt transportieren. Die Story bewerte ich als eher nachrangig.“ Schon während des Schreibens habe er ein Repertoire an Musikstücken im Kopf, das die Atmosphäre des jeweiligen Films widerspiegle. Manchmal, so Jarmusch, entwickle sich der jeweilige Film sogar erst erst aus der Musik.

Vermutlich musste dieser Regisseur, der sich seinen Stoffen stets nähert, als wolle er ein Mixtape zusammenstellen, irgendwann auf den Musiker treffen, der in den besten Momenten seiner Karriere das Songformat gegen das Breitwandepos tauschte: Neil Young.

Jarmusch, seit seinen Jugendtagen ein großer Fan des Kanadiers, bat sein Idol, den Soundtrack zu seinem Film „Dead Man“ zu schreiben. Doch Young – selbst ein Filmfreak, der unter dem Namen Bernard Shakey schon als Regisseur obskurer psychedelischer Werke in Erscheinung trat – hatte zunächst abgelehnt. „Ich dachte immer, Filmmusik zu machen, bedeute, dass man die Sekunden zählt, die eine Szene dauert – und dann Musik schreibt, die da genau hineinpasst“, so Young. „Ich konnte mir nichts Langweiligeres vorstellen.“

Erst als Jarmusch ihm einen Rohschnitt von „Dead Man“ zeigte, den er mit „Cortez The Killer“ unterlegt hatte, willigte Young ein, ließ in einem New Yorker Tonstudio eine Leinwand aufziehen und spielte dann live zu den Bildern. „Ich habe einige Dinge übers Filmemachen gelernt, als ich Neil Young dabei zusah, wie er Musik machte“, erinnerte sich Jarmusch später. „Zum Beispiel, dass man Intuition und eine rein emotionale Reaktion mehr respektieren sollte. Ich glaube Neil hat eine fast schamanische Art, sich das zu bewahren.“

Auch Young muss von seinem Fan beeindruckt gewesen sein, als er sah, wie sehr sich dessen Bilder und seine Gitarrenspur in der fertigen Fassung des Films ergänzten, und bat daraufhin Jarmusch, einen Videoclip zu seinem neuen Song „Big Time“ (vom Album „Broken Arrow“) zu drehen. Wenig später lud er ihn spontan ein, die folgende Europa-Tournee filmisch zu begleiten. Dabei entstand „Year Of The Horse“ – nicht wirklich eine Dokumentation, eher eine Collage, eine Annäherung.

Jarmusch ist kein besonders enger Freund der Band, weiß nicht, wie sie funktioniert, hat keine intimen Einblicke zu bieten. Er ist für „Year Of The Horse“ in die Rolle geschlüpft, die er in seinen Spielfilmen den Protagonisten zuschreibt. Er ist der Fremde, der Eindringling. Die Musiker beäugen ihn skeptisch, stehen der Sprache mindestens genauso misstrauisch gegenüber wie er selbst und glauben nicht, dass man das Geheimnis dieser Band mit ein paar Interviews entschlüsseln kann. Gitarrist Frank Sampedro, Jarmuschs größter Antipode in diesem Film, wehrt sich nach Kräften: „Wenn ich sehe, dass dieser Film entsteht, wird mir ganz anders. Jetzt machen sich die Leute aufgrund dessen, was Billy, Ralph oder ich sagen, ihr Bild von Crazy Horse. Wir haben so viele Veränderungen erlebt… Wir haben uns geliebt und gehasst und all das. Und dann kommt so’n Typ daher a hip trendy New York kind of artsy fartsy film-producer… entschuldige… Filmregisseur… entschuldige (lacht) Autor und Regisseur…“

Young, Bassist Billy Talbot, der stille Schlagzeuger Ralph Molina, Manager Elliot Roberts und Youngs Vater Scott sind da kooperativer, doch außer ein paar Fakten aus der Bandhistorie können auch sie nicht allzu viel beitragen. Der einzige, der alle Geheimnisse kannte, war der ein Jahr zuvor verstorbene Produzent David Briggs.

Jim Jarmusch lässt die ahnungslosen Überlebenden trotzdem reden, denn sie spielen ihm in die Karten. Die Wahrheit sucht er – wie immer – auf einem anderen Weg: über die Musik und seine Bilder. Er dreht auf Super-8,16mm-Film und Hi8-Video, was dem Film unterschiedliche Texturen und den Bildern eine amateurhafte Unscharfe verleiht, die tatsächlich mit dem gestochen scharfen Soundtrack zu korrespondieren scheinen. Er schneidet zudem zehn, zwanzig Jahre altes Archivmaterial zwischen seine Aufnahmen, so dass man sieht, wie die Musiker altern – und hört, wie die Songs sich verändern.

So wie „Dead Man“ mindestens so sehr ein Neil-Young-Film war wie einer von Jim Jarmusch, ist „Year Of The Horse“ mindestens so sehr ein Porträt des Regisseurs und seiner Obsessionen wie ein Film über eine Rockband. Das hochreferenzielle, intellektuelle Werk des Filmemachers und die zutiefst naive Kunst des Songwriters, Gitarristen und Schamanen scheinen sich auf eine magische Art ineinander zu spiegeln.

Gegen Ende von „Year Of The Horse“ setzt sich Jarmusch in einer Schlüsselszene selbst ins Bild. Er sitzt mit den Musikern im Tourbus und liest eine Bibelstelle vor. Young lehnt sich interessiert zu ihm herüber: „The bible is quite a book, isn’t it? Hab noch nie so richtig drin gelesen. Das Alte Testament und das Neue Testament stehen in Beziehung zueinander… Was ist der Unterschied? Was ist das Alte Testament?“

Jarmusch: Das Alte Testament ist vor Christus. Young: Vor Christus? Jarmusch: Ja, Moses und das ganze Zeug. Als Gott die ganze Zeit stinksauer war.

Er liest eine besonders blutrünstige Stelle aus dem alten Testament. Young: Wow. Ist Gott so sauer, weil er den Menschen geschaffen hat und die Menschen sich schließlich als Menschen erwiesen?

Jarmusch: Ja, als fuck-ups. Deshalb tötet er sie immer mit Seuchen. (Liest:) „Und ich werde dich auf das Land werfen, werde dich auf das freie Feld schleudern; und ich werde machen, dass alle Vögel des Himmels sich auf dir niederlassen und die Tiere der ganzen Erde sich von dir sättigen. Und ich werde dein Fleisch auf die Berge bringen und die Täler mit deinem Aase füllen. Und ich werde das Land bis an die Berge mit den Strömen deines Blutes tränken, und die Gründe sollen von dir angefüllt werden.“ Das ist Gottes Stimme, die zu Hesekiel spricht.

Young: Wow, Gott ist wie… Hm, ich glaub… Ich überlege gerade, was ich getan habe. Ich habe ein paar Bäume gepflanzt, und als die nicht so wuchsen, wie sie sollten, habe ich sie alle abgehackt.

Jarmusch: Für wen hältst du dich? Für Gott? Young: Yeah, right. Wenn man Neil Young und Crazy Horse kurz darauf in Stroboskopgewittern auf der Bühne stehen sieht, hört, wie das donnernde Schlagzeug, die elektrisierten, aufheulenden Gitarren und der mächtige Bass sich zu „Like A Hurricane“ zusammenrotten, wie sich die Band im Gegenschnitt 1976 an dem gleichen Stück in einen Rausch spielt und wie das Feedback von dort wieder zurückschwappt in die Gegenwart, dann versteht man Youngs Analogie. Diese Bilder und Sounds sagen mehr als alle Worte.

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