Wir sind gemeint
Wir sind doch gemeint, oder? Ich bin unsicher, weil sich an uns eigentlich keine Popsongs richten. Wir sind gemeint, wenn im Nachrichtenfernsehen von „dem Steuerzahler“ die Rede ist. Wenn ein Forscher mitgezählt hat, wieviel mal in der Woche der Durchschnittsdeutsche sexuell verkehrt, dann murmeln wir ein „Gelogen!“ in uns hinein. Wir laden uns immer noch Informationen runter, indem wir in der Zeitung lesen. Wir würden unseren Müll mitnehmen, wenn wir im Park gesessen haben. Dort sitzen wir aber nicht, denn wir haben einen Garten. Oder mindestens eine Terrasse, die mit Terrakottatöpfen bewaldet ist. Ich stehe auch gerne an Großbaustellen und beobachte das Geschehen. Selbstverständlich weiß ich, dass das einige Bekannte ebenfalls gerne tun. Nur reden möchten sie darüber lieber nicht.
Mit dem Hitparadengeschehen – allein der Begriff hängt mir schon das Leichenkärtchen an den Zeh – haben wir nichts zu tun. Stefanie Kloß von Silbermond anzustarren ist noch viel schöner, als Baustellen anzugucken. Aber ihre Musik richtet sich eindeutig an Klassenzimmer. Oder an unseren Beschützerinstinkt. Der uns motivieren würde, ihr das Old-School-Stofftaschentuch zu reichen, damit sie sich die Augen abtupft und dann bitte aufhört zu klagen.
Bei Peter Fox ist das etwas ganz anderes. Von ihm fühle ich mich schon lange nicht nur gemeint, sondern auch ermahnt. Als er mit Seeed in „Riddim No. 1“ rief: „Zieh’n Stock aus’m Arsch und dann ergib dich dem Fieber“ war ich am Tanzflächenrand ertappt. Und alsbald in Bewegung. Oder, wieder Seeed: „Du hast das Leben verpennt, du bist’n lebendes Hemd“ in „What You Deserve is What You Get“. Eine so stramm vorgetragene Attacke, dass es mir das eigentlich sicher stehende Bügelbrett umwarf.
„Stadtaffe“ hilft aber noch viel mehr. Ich hatte es im vergangenen Frühherbst zuerst hastig runtergeladen. Auch wenn man das nicht mehr macht, kaufte ich dann auch noch die CD. Als Hoffnungstonträger zum Anfassen. Die kantigen Streicher in „Alles neu“ treiben mich auf meiner faden Joggingrunde. Ich stampfe nicht mehr meine Kilometer herunter. Stattdessen setze ich die Schritte mit neuer Würde. Ohne neues Ziel, wie bei Rundläufen nun mal üblich. Aber mit pathetischer Entschlossenheit, etwas zu erreichen, was ich noch nicht kenne.
Peter Fox darf alles, auch das eigentlich Verbotene. Der „Ingenieur für Baggertechnik“ in „Zucker“ strahlt nicht viel heller als ein Reisebusfahrer-Kalauer. Aber wenn er ein paar Takte später seiner Duett-Partnerin droht: „Mach mal nicht auf Drama hier, ich knack‘ dich wie ein Schalentier“, dann bewundere ich seinen durchtrainierten Beimmuskel. Die Schwüle des Songs passt verblüffend gut zu der ausgedünnten Haar-Savanne auf meinem Schädeldach, und ich halte Ausschau nach einer Frau Gamba, der ich kühn kommen könnte.
Und natürlich das „Haus am See“. Die Sehnsuchtsimmobilie, auch in diesem Sommer. Steht nirgends, gibt es nicht zu kaufen, alle wollen sie haben. Mit den Kindern, der schönen Frau und den durchgefeierten Nächten im Mondschein.
Er rappelt uns aber ganz schnell wieder hoch, aus dem Seeschilf mitten in der Fata Morgana. Sachte, leise, zart, wie ein Beziehungsgespräch, das leider sein muss, klingt „Ich Steine, Du Steine“. Wieder dieses idiotisch bestätigende Nicken bei mir. Selbstverständlich ist das partnerschaftliche Leben an der Seite der zauberhaftesten Fee manchmal nur das Durchqueren eine Geröllwüste. In der man nichts anderes möchte, als einfach die Flinte in den Kies werfen. Aber wer über die vollen drei Minuten geht, wird sich nicht verabschieden. „Ich kann nicht mit und nicht ohne dich“, singt der sanfte Fox über Streichern, deswegen bleibt er, deswegen bleibt sie, immer wieder. Weil es diesen Song gibt, müssen wir auch nie wieder unbewaffnet auf Hochzeiten.
Weil er uns den Wunschzettel schreibt, den wir nicht hätten formulieren können, deswegen fühlen wir uns von Peter Fox gemeint. Weil er uns Stellen zeigt, an denen wir kitzlig sind, die wir aber bisher nicht kannten. Das „wir“ ist nicht übertrieben. Denn ich kenne mehrere Frauen und Männer, die sich damit abgefunden hatten, dass für sie abseits von Achtziger-Parties vor allem Leonard Cohen musiziert. Der Klangteppich für die „Ach,Mist“-Momente, in denen man vor dem halbleeren Glas hockt. „Stadtaffe“ hat sie hochgerappelt. Lässt Lust auf unverbissenen Angriff aufkommen. Pöbelt Berlin in unserem Namen so liebevoll an, wie es die hässliche Stadt verdient hat.
Wir sind viele. Offenbar zur Verblüffung des Künstlers. Als er für ein Kölner Konzert wegen der riesigen Nachfrage in die KölnArena umziehen musste, war die Riesenkuppel im Nu voll bis unters Dach. Es soll ihn gerührt haben. Könnte also gut sein, dass wir wirklich gemeint sind.