Jenseits der Banane – Andy Warhols vergessene Cover-Kunst
Sein gesamtes CEuvre wurde dokumentiert und durchleuchtet - doch der Cover-Gestalter Warhol blieb weit- gehend unbekannt. Erst ein Zufall brachte nun die gesammelten Artefakte wieder zurück ans Licht der Öffentlichkeit.
„Seine frühen Cover“, so Biograf Wayne Koestenbaum, „haben enormen Schwung und Eleganz und eine doppelbödige Linearität – wie ein Cocteau mit einer Bewegungsstörung. Die gestrichelten Linien erzeugen einen nervösen, sprunghaften Rhythmus, der den ansonsten kohärenten Zeichenfluss konterkariert – wie ein Alkoholiker ohne Alkohol.“
Die Idee kam ihm in einem Plattenladen in Montreal. Als Paul Marechal, Kurator eines kanadischen Museums, durch die Kästen mit Second-Hand-Vinylplatten stöberte, fiel ihm das Album „The Painter“ von Paul Anka aus dem Jahre 1976 in die Hand. Das Artwork stammte offensichtlich von Andy Warhol oder jemandem, der ihn dreist kopiert hatte. Natürlich kannte Marechal Warhols berühmtes Bananen-Cover für Velvet Underground, ebenso „Sticky Fingers“ von den Rolling Stones und einige andere, halbwegs bekannte Warhol-Cover. Die Tatsache, dass Warhol offensichtlich diverse Plattenhüllen gestaltet hatte, die allesamt aus dem öffentlichen Bewusstsein entschwunden waren, ließ ihn nicht mehr los. Er kontaktierte das Andy Warhol Museum in Pittsburgh – und erfuhr, dass dort nur 23 Cover dokumentiert seien.
Zwölf Jahre später hatte Marechal 28 weitere Cover aufgetrieben – und selbst nachdem er einen opulenten Katalog zusammengestellt hatte („Andy Warhol – Les Pochettes De Disques 1949 – 1987“, Prestel), meldeten sich andere Sammler, die noch von weiteren verschollenen Werken wussten, beispielsweise einem Album der schwedischen Band Rat Fab aus dem Jahre 1984, das Warhol nur deshalb gestaltet hatte, weil er mit dem Vater des Band-Gitarristen befreundet war.
Als Warhol 1949, frisch von der Kunstschule, nach New York kam, war die Vinyl-LP gerade auf den Markt gekommen. Warhol war fasziniert und bot mehreren Plattenflrmen seine Dienste an.
Der erste Auftrag kam vom Columbia-Label, für das er die Hülle zu“A Program of Mexican Music“ malte. Weitere Label wie RCA, Epic und Blue Note folgten, und selbst als Warhol 1957 mit seiner Werbekampagne für die Schuhfirma I.Miller mit dem „Art Directors Club“-Preis ausgezeichnet wurde und einen Karriereschub bekam, blieb er der Gestaltung von Plattencovern treu.
„Jeder Grafiker“, so Marechal, „träumte damals davon, irgendwann im Laufe seiner Karriere einmal ein Cover zu gestalten. Erst seit 1938 wurde ja überhaupt mit illustrierten Covern experimentiert – und irgendwann waren die Columbia-Bosse wohl überzeugt, dass man mit bunten Hüllen mehr Platten verkaufen konnte. Für Warhol war es ganz sicher nicht ein Nebenjob, um ,die Miete zu zahlen‘. Ein Album zu gestalten, ist ja in der Tat eine Herausforderung: Man muss den musikalischen Inhalt des Albums suggerieren, ohne ihn mit der grafischen Vision zu vergewaltigen. Man möchte dem Hörer durch die visuelle Assoziation die Möglichkeit geben, im Kopf seine eigene Welt zu kreieren. Überspitzt gesagt: Man muss Musik wirklich zeichnen.“
Und zeichnen konnte der junge Warhol. „Seine frühen Cover“, so Biograf Wayne Koestenbaum, „haben enormen Schwung und Eleganz und eine doppelbödige Linearität, wie ein Cocteau mit einer Bewegungsstörung. Die gestrichelten Linien erzeugen einen nervösen, emotional sprunghaften Rhythmus, der den ansonsten kohärenten Zeichenfluss konterkariert – wie ein Alkoholiker ohne Alkohol.“
Warhol war schon am Anfang seiner Karriere wohl bewusst, dass die Album-Cover ein ideales Vehikel waren, um ein neues Publikum jenseits der Galerien und Museen zu finden. Paul Marechal: „Hörer von Klassik, Jazz und Weltmusik, aber auch Hörer von Radiohörspielen, ,Spoken Words‘-Platten, Dokumentationen – sie alle konnte er erreichen. Er sprach ein Publikum an, das er normalerweise nie erreicht hätte. Ich glaube, dass er in dieser Zeit sein gesellschaftliches Radarsystem enorm verfeinerte. Wenn man sich sein gesamtes Werk anschaut, wird einem bewusst, wie unglaublich effizient er war, wenn es darum ging, genau das wieder nach außen auszustrahlen, was er aus seiner Umgebung aufnahm, vor allem was den Konsumismus und die Faszination mit Prominenten betrifft.
Ein anderer Aspekt, der sich in seinen frühen Arbeiten manifestiert, ist die Beschreibung von Bewegung; Warhol malte Hände, die ein Instrument spielen, Tänzer, die tanzen, Trompeten spielende Engel – immer war es mit Bewegung verbunden. Er konnte lebendige Figuren malen – durchaus im Gegensatz zu vielen seiner zeitgenössischen Kollegen, die Stilleben zeichneten oder statische Modelle. Die Beschäftigung mit Bewegung ist sicher eine Vorstufe zu seiner späteren Faszination mit dem Film.“
Auf die Frage, was Warhol speziell an Musik faszinierte, glaubt Marechal auch eine Antwort zu haben. Auf der amerikanischen Website „Figment“ gab er folgende Theorie zu Protokoll: „Er hat vermutlich schon sehr früh realisiert, dass Popmusik irgendwann Teil der Bildenden Kunst werden würde. Schon 1956 malte er ein Bild, das er ,Rock ’n’Roll‘ nannte; das Bild ist zwar verschollen, aber es existiert ein Foto davon. Mit Elvis und den Beatles im Hinterkopf, hatte er die Überzeugung, dass sich die Kultur einem neuen Jugendmarkt öffnen werde – so wie das mit der Popmusik schon geschehen war. Musik wurde Pop, also musste die Bildende Kunst früher oder später eine ähnliche Entwicklung nehmen. Ich denke, so kann man Warhols Gedanken zur damaligen Zeit sicher zusammenfassen.
Musik war definitiv äußerst präsent in seinem täglichen Leben. Wenn er malte, hörte er Rockmusik in ohrenbetäubender Lautstärke, während gleichzeitig noch das Fernsehen lief, allerdings ohne Sound. Er hörte Kunst, während er Kunst kreierte. Er übersetzte das, was er hörte, in sein eigenes Schaffen.“ Im Laufe seiner zwölfjährigen Recherche hat Marechal natürlich auch persönliche Präferenzen entwickelt. Was ist für ihn das gelungenste – und was das misslungenste Cover seiner Warhol-Kollektion?
„Wenn ich nur ein Cover auf die einsame Insel mitnehmen dürfte, wäre es wohl das erste Kenny Burrell-Cover von 1956. Die Bewegung der Gitarre spielenden Hände, auch die ganz eigene Perspektive von unten deuten auf einen Künstler, der künftig die Stilmittel von Fotografie und Film intensiv einsetzen wird.
Irgendwie mag ich aber auch das postume Lennon-Cover ,Menlove Ave‘ das er 1986 gestaltete. Man spürt eine Intimität zwischen Künstler und Modell. Die Wahl der Farben ist sehr aufschlussreich: Der schwarze Hintergrund und die gelb-orangenen Farbnuancen erinnern mich an die zahlreichen Gedenkfeiern mit Kerzen, die nach den Lennon-Attentat damals stattfanden, während das Pink und Blau auf der Rückseite Lennons Peace-Aktivitäten zu reflektieren scheinen.
Am unbefriedigsten ist für mich das Paul-Anka-Cover, weil es nicht von Warhol selbst gestaltet wurde. Es wurde zusammengesetzt aus zwei von vier Porträts, die Anka 1976 bei Warhol in Auftrag gegeben hatte. Wenig später ließ Anka dann anfragen, ob er die Porträts für ein Album-Cover nutzen können. Warhol stimmte, gegen Zahlung einer substanziellen Summe, zu. Anders als bei 95 Prozent seiner Cover-Arbeiten war dies also nicht ein Design, das Warhol speziell für ein Cover gemacht hatte. Ich nenne das gerne ,recycled artwork‘, weil es ursprünglich nicht für ein Album gestaltet wurde. Warhol war damit einverstanden, also konnte er offensichtlich damit leben. Immerhin war es dieses Cover, auf das ich zufällig in dem Plattenladen in Montreal stieß – und das meine Suche nach anderen Warhol-Covern auslöste.“
Dass Marechal mit seiner zwölfjährigen Spurensuche einen weißen Fleck der Warhol-Rezeption erforscht hat, steht außer Frage. Anders gesagt: Die Cover-Kunst von Andy Warhol wurde von der Wissenschaft bislang sträflich vernachlässigt. „Gewöhnlich teilt man ja sein Schaffen in folgende Phasen ein: Gebrauchs-Grafiker von 1949 bis 1963, Maler von I960 bis 1963 und dann später noch einmal von 1972 bis 1987, er war Filmemacher von 1963 bis 1972, und zwischendurch war er auch Bildhauer (man denke an die ,Brillo‘-Boxen), Musikproduzent, Herausgeber des ,Interview‘-Magazins, Buchautor, Show-Designer und so weiter. Plattencover illustrierte er aber von 1949 bis 1987, also während seiner gesamten Laufbahn; noch kurz vor seinem Tod gestaltete er sogar das erste digitale Cover mit Debbie Harry. Ich glaube, das sagt alles.“