Der existenzialistische Gangsterfilm

John Boormans Filmvorlage und „"Sons of Lee Marvin"

Nach seinen Inspirationen für „The Limits Of Control“ gefragt, nannte Jim Jarmusch unter anderem die Gangsterfilme des italienischen Regisseurs Francesco Rosi als Einfluss. Stilistisch allerdings sei vor allem John Boormans „Point Blank“ von 1967 von großer Bedeutung gewesen. „Nicht so sehr wegen seines Rhythmus‘, sondern wegen seiner stilistischen Eigenheiten: Rahmen innerhalb weiterer Rahmungen, Objekte, die von Türen, Fenstern oder Bögen umrahmt werden, Einstellungen, die bewusst darüber Verwirrung stiften, ob sie innen oder außen aufgenommen wurden.“ Es seien die Wechsel zwischen symmetrischen und vollkommen asymmetrischen Kamera-Einstellungen, die diese beiden Filme verbinden. „Zudem gibt es eine Menge Wiederholungen in ‚Point Blank'“, so Jarmusch. „Und bei der Arbeit an ,The Limits Of Control‘ waren Variationen sehr wichtig. Der ganze Film baut eigentlich auf Variationen von gleichen Dingen auf, die immer wieder passieren.“

„Point Blank“ basiert auf einem Thriller des vor einem halben Jahr verstorbenen amerikanischen Autors Donald E. Westlake, der eine Reihe von Büchern unter dem Namen Richard Stark veröffentlichte, in denen jeweils ein Protagonist namens Parker die Hauptrolle spielt. „Parker ist ein professioneller Gangster, der sich sehr kontrolliert verhält“, so Jarmusch. „Wenn er einen Job zu erledigen hat, lässt er sich weder durch Sex, Alkohol oder andere Verlockungen von seinem Vorhaben ablenken. Was aber in diesen Geschichten unweigerlich passiert, ist, dass Parker von anderen Personen in vollkommen chaotische Situationen gebracht wird, die zu seiner peniblen, akribischen und sehr planvollen Vorgehensweise eine starke Antithese bilden. Mich fasziniert dieser Parker ungemein, so dass diese Bücher auf mich stets einen großen Einfluss ausübten.“

In Boormans Film heißt Parker aus rechtlichen Gründen Walker. Der Film erzählt, wie Walker von seiner eigenen Ehefrau und seinem Komplizen bei einem Raub auf der Gefängnisinsel Alcatraz hinters Licht geführt, angeschossen und sterbend zurückgelassen wird. Doch es gelingt ihm, sich in die Fluten zu stürzen und zu entkommen. Er überlebt und kehrt zurück, um sich an seinem Komplizen, der sich mittlerweile in eine große Verbrechensorganisation eingekauft hat, zu rächen. Walker wird von Lee Marvin verkörpert, zu dem Jarmusch schon lange Zeit ein besonderes Verhältnis hat. Sowohl Boorman als auch Sam Füller hätten ihm gesagt, er habe eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit Marvin, so Jarmusch. Daraus entwickelte sich für ihn eine Art Obsession.

Während der Dreharbeiten zu „Down By Law“ entstand die Idee, einen Film zu drehen, in dem Tom Waits, John Lurie und Jarmusch selbst die zerstrittenen Söhne eines von Lee Marvin verkörperten trunksüchtigen Farmers spielen sollten. Als Marvin schließlich 1987 starb, gründeten die drei dann die Geheimorganisation „The Sons of Lee Marvin“, zu der nur männliche Mitglieder zugelassen sind, die rein vom Äußeren Marvins Söhne sein könnten. Der im Februar diesen Jahres verstorbene Schriftsteller Richard Boes wurde ebenso in diesen erlesenen Club aufgenommen wie Nick Cave, „Point Blank“-Regisseur John Boorman erhielt eine Ehrenmitgliedschaft und auch Neil Young, Thurston Moore und Iggy Pop sollen mittlerweile dazugehören. Angeblich treffen sich die „Sons of Lee Marvin“ einmal im Jahr, um sich alte Marvin-Filme anzuschauen. Vor allem Jarmusch und Waits werden in Interviews immer wieder auf die Geheimorganisation angesprochen und geben meist launige Anekdoten zum besten. So erzählte Jarmusch der amerikanischen Zeitschrift „Film Comment“, wie Tom Waits in einer Bar im nordkalifornischen Sonoma County von einem Barkeeper angesprochen wurde. „Du bist doch Tom Waits, oder? Da vorne ist ein Typ, der mit dir sprechen will.“ Tatsächlich saß in einer dunklen Ecke ein Mann, der mit finstrem Blick in Waits‘ Richtung schaute. „Setz dich zu mir, ich will mit dir reden.“ Der verduzte Waits setzte sich, und der Fremde fuhr fort. „Was soll dieser Bullshit mit den ,Sons of Lee Marvin'“, fragte er. „Das ist eine Geheimorganisation, und ich darf nicht darüber reden“, antwortete Waits. „Ich mag das nicht“, so der Fremde, „denn ich bin Lee Marvins Sohn.“ „Er dachte, wir würden ihn beleidigen“, so Jarmusch, „dabei sind wir voller Hochachtung für Marvin.“

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