Don’t play it again, Sam
Neulich in der „Daily Show“: Bruce Springsteen ist zu Gast, und nachdem ihn Gastgeber Jon Stewart artig gebauchpinselt hat, lässt Bruce sich nicht lumpen und greift generös zur Gitarre. Das blanke Gestell auf der Brust – einer Nacken-Prothese fürs Schädeltrauma nicht unähnlich – bestätigt die Befürchtung, dass Bruce uns gleich auch einen blasen wird. Und schon flutschen die Lippen von links nach rechts und von rechts nach links – und es trötet und tutet so erbärmlich, dass man zu ahnen beginnt, warum die M. im bairischen Volksmund auch gerne „der Fotzenhobel“ genannt wird.
Es bleibt nicht nur beim ästhetischen Missvergnügen. Warum werden in der populären Musik des 21. Jahrhunderts eigentlich noch immer die gleichen antiquierten Floskeln bemüht, die gleichen Pausenfüller zwischen den Strophen, die gleichen sinnentleerten Phrasen, die musikalisch so substanziell sind wie der Tusch bei der Karnevalssitzung? Anders gefragt: Wäre es nicht endlich an der Zeit, die M. – diesen Musik-evolutionären Blinddarm – operativ zu entfernen?
Um Gottes Willen, werden die Gralshüter jetzt lauthals lamentieren. Little Walter, Junior Wells – die authentische Kraft des Blues! Fünf Sterne! Mindestens! Und Toots Thielemans! Stevie Wonder! Virtuosen auf dem Instrument! Mag ja sein, doch dummerweise assoziiere ich mit dem Klang der M. etwas gänzlich anderes, nämlich Pfadfinder, Cowboys, Lagerfeuer, heimwehkranke Seeleute, Bernd Klüwer und – nicht zu vergessen – das „RTL-Supertalent“ Michael Hirte, „der Mann mit der Mundharmonika“, der sogar einen zynischen alten Knochen wie Dieter Bohlen zu Tränen rührte.
Nun mag man verstehen, warum ein „Bruce“ oder ein „Bob“ dieses seltsame Instrument auch weiterhin traktiert (auch wenn Letzterer es dankenswerterweise immer seltener bemüht). Sie stehen nun mal in den Fußstapfen von Blues und Folk, und in der Entstehungszeit dieser Genres war die M. eins der wenigen verfügbaren Instrumente. Ein Piano war für die arbeitende Bevölkerung praktisch unerschwinglich, die Gitarre oder Geige für viele auch. Die M. – die Mitte des 19. Jahrhunderts von deutschen Emigranten nach Amerika importiert wurde und dort als „Blues Harp Siegeszug sondergleichen antrat – war „das Instrument des armen Mannes“, ob in den Baumwollfeldern des Südens oder in den pietistischen Appalachen. Rührend die Anekdote von Junior Wells, der sich die zwei Dollar für den Kauf einer M. nicht leisten konnte (er hatte nur 1 Dollar 50 ansparen können), sie klaute und prompt vor den Kadi kam, der aber so verständnisvoll war, dass er nach einer offensichtlich überzeugenden Kostprobe von Wells‘ Können die fehlenden 50 Cent selbst auf den Tisch legte und die Anklage fallen ließ.
Mit der Renaissance von Blues und Folk In den Sechzigern wurde das Gespann von Gitarre und M. zum unverzichtbaren Handwerkszeug eines jeden Singer/Songwriters. „I got some boots and a harmonica rack“, spöttelte Loudon Wainwright über die Jahre, als er als „neuer Dylan“ vermarktet werden sollte, „a D-21 and I was on the right track.“ (Die D-21 war die gefragteste Akustik-Gitarre der Firma Martin und als Requisite für jeden Folkie ebenfalls Pflicht.) Zum ästhetischen Super-GAU wird der Einsatz der M. allerdings, wenn er in einem stilistischen Umfeld stattfindet, das von Blues und Folk durch Millionen von Baumwoll-Galaxien getrennt ist. Ich erinnere mich mit Schrecken an den ersten Auftritt von Coldplay in Deutschland (im Rahmen der „Rolling Stone Roadshow“), als ein gerade mal 20-jähriger Chris Martin – nach einigen Songs zu Gitarren- und Piano-Begleitung – doch tatsächlich die Unsägliche herauszieht und wie ein Waldschrat zu blöken beginnt. Woodstock forever.
Die Gefahr, dass naive, orientierungslose Jung-Musiker auf die schiefe Bahn geraten – und musikalische Missbildungen unvermeidlich sind – , liegt auf der Hand. Und spätestens angesichts dieser drohenden Entwicklung sollten sich verantwortungsvolle Zeitgenossen die Frage stellen, ob die unkontrollierte Nutzung der M. wirklich noch gesellschaftlich vertretbar ist. Also: jetzt oder nie! Die Bundestags-Wahlen stehen vor der Tür, und mit einer Familienministerin wie Ursula von der Leyen, die uns schon den famosen FSK-Pflichtsticker („Ab 0 Jahre“) geschenkt hat, sollte ein rigoroser Einschnitt doch eigentlich machbar sein. Auf deutsch: Zusammen mit den „Paintball“-Druckluftgewehren wird die M. ab sofort unter Strafe gestellt!
Die medizinische Anwendung – Asthma-Training! – bleibt natürlich weiterhin frei, doch darüberhinaus wird der öffentliche Einsatz der M. allenfalls für musikhistorische Darbietungen – Kultur-Erbe! – bei Heimatfesten, Folklore-Matinees und anderen Kleinkunst-Veranstaltungen erlaubt. Und wir hätten endlich eine Quelle akustischer Umweltverschmutzung weniger.