Mein Neffe, der Pop-Star
Er ist der Onkel von Thomas Mars, der bei Phoenix spielt. Was das mit der Familie Coppola und Wein zu tun hat, erzählt unser Autor Hellmuth Karasek.
Im „Boulevard de la Reine“ in Versailles, der auf einen Nebeneingang des Parks von Versailles zuführt, liegt, nahe am Hotel „Trianon“ auf der Schlossseite, ein Stadtpalais hinter einer schweren Mauer mit einem schweren Garagentor. Hinter dem Haus ist ein karger, oder soll man besser sagen: ein streng französischer Garten, hinter dem man, nur über eine Hecke, in den Park der Marie Antoinette blickt.
Mein französischer Schwager, Jean-Louis, ist hier als kleiner Junge, Sohn einfacher Versailler Bürger, über den Zaun geklettert, wurde erwischt und vom Besitzer oder dessen Gärtner beim Schlafittchen gepackt und auf die Straße befördert. Während dieser Kränkung hat er sich geschworen, das Haus nebst Garten später zu erwerben. Es hatte eine bewegte junge Geschichte. Im Vichy-Frankreich, während der deutschen Okkupation, sollte es der Sitz der Kollaborationsregierung werden. Nach dem Krieg war es die Residenz General Eisenhowers, des Befreiers von Paris, der, um die französische Gloire nicht zu kränken, de Gaulle den Vortritt beim umjubelten Einmarsch ließ.
1994 heiratete meine Schwester Jean-Louis, mit dem sie schon seit über 20 Jahren zusammen lebte. Alle Verwand‘ ten, auch die Familie meiner Schwester, waren dabei, saßen im warmen Garten, und es spielte die Band des damals 18-jährigen Thomas, die noch nicht Phoenix hieß und der sich noch nicht Thomas Mars nannte – wohl nicht nach dem Kriegsgott, sondern nach dem Schokoladenriegel, ich habe später immer vergessen, ihn danach zu fragen.
Nur mein Vater und Bruder Horst fehlten. Horst war erst im Jahr zuvor gestorben. Thomas und Phoenix haben ihm später ihr Album gewidmet. Meine Schwester hatte ein erfolgreiches Marketing-Unternehmen mit einer Filiale in Frankfurt; mein Schwager Restaurants und Firmenbeteiligungen. Im Keller von Versailles, den sie mit Eierpappe schallsicher gemacht hatten, lärmte Thomas am Schlagzeug mit seinen Versailler Freunden, von denen zwei Brüder auch eine deutsche Mutter hatten. Meine Tochter, die damals in Paris zur Schule ging, war mit den Jungs befreundet, später ihr Propaganda-Fan in Berlin, mit einem, dem Bassisten Fred, so sehr, dass ich ihn Ostern bei mir zu Hause beim Mittagessen bewunderte, wie er deutschen weißen Spargel kunstvoll mit der Gabel in feine Streifen schnitt, zwischen die er Zitrone träufelte. Deutsch konnte er kaum; auf Partys pustete er stattdessen verlegen in eine leere Colaflasche.
Ich hatte in Frankreich immer pflichtschuldigst als alter Onkel einen wohlwollend grinsenden Blick in den Keller geworfen: Weiter so, Jungs! Allez, la enfants! Bei der Hochzeit sagte ich jovial: „Du, die Jungs können wirklich was!“ Und meine Schwester, die das längst wusste, sagte mit einem glücklichen Lächeln: „Findest du?“
Ich habe die Gruppe dann auf ihren Stationen und bei ihren Konzerten begleitet. Und sie sehr beneidet. Für ihren unauffälligen Versailler Chic ebenso wie für ihre (für mich) beatlige Rockmusik. Sie waren schlank, leise, bei allem Selbstbewusstsein zurückhaltend. Sie blieben eine verschworene, aber nie verbiesterte Clique, sie tranken Cola, blieben schlank und liebenswürdig – aber es war schon komisch, dass Thomas, der oft als Kind bei seiner geliebten Frankfurter Oma war, und ich, der ich oft Frankreich besuchte, am besten Englisch sprachen. Ein Englisch, das ich in den „Alice im Wunderland“-Texten seiner Songs wiedererkannt habe. Wir beide: „Lost in Translation“. Die Phoenix-Musiker sind alle auf eine unaufdringliche Weise stylish, wie es auch ihre Musik ist, für mich eine schöne französisch-amerikanische moderne Fortschreibung des weißen Beatles-Albums.
Mächtig stolz war ich, als ich den Konzerttriumph meines Neffen im Pariser Olympia erlebte, dem Parnass der Chanson- und Popmusik in Frankreich. Neben mir saß die Mutter von Sofia Coppola, während er sich in die Arme seiner Fans von der Bühne herab warf. Auch die Amerikanerin liebte seine Texte, die sie auch nicht verstand.
In Versailles, so schließt sich der Kreis, hat er das erste Popkonzert im Trianon-Park gegeben. In Sofia Coppolas Film über Marie Antoinette, der schon allein in seinen Farben (die Pink- und Weiß-Conhserie etwa) ein neues Stil- und Modegefühl in Frankreich auslöste, spielten Phoenix in Rokoko-Kostümen auf.
Und noch eins: Mein Schwager und meine Schwester haben inzwischen ihr Leben hauptsächlich nach Südfrankreich ins Var verlegt, wo sie herrlichen Wein anbauen. Francis Coppola, der das gleiche in Kalifornien macht, und mein Schwager reden natürlich über ihr Metier, über den Wein, den sie dazu auch anerkennend probieren. Die Phoenix-Musiker trinken noch immer eigentlich nur Coca-Cola. Da habe ich’s bei meiner Schwester besser.