Der Versager im Spiegel
Seme Rolle in „The Wrestler" begreift der ewige Rebell Mickey Rourke zu Recht als letzte Chance. Von Roland Huschke
Es stand schlimm um Mickey Rourke. So schlimm gar, dass er sich irgendwann in einem Videoclip von Enrique Iglesias verdingen musste, um Arztrechnungen bezahlen zu können. Alle Brücken nach Hollywood schienen abgebrannt, unwirklich wie Dinosaurier wirkten die Erinnerungen an das Charisma und Können, mit dem er in den Achtzigern in „Diner“ oder „Der Pate von Greenwich Village“, in „Angel Heart“ oder „Im Jahr des Drachen“ der attraktivste und aufregendste aller Jungstars war. Doch plötzlich, im Herbst 2008 in London, sitzt er wieder vor einem und zeigt sich in „The Wrestler“ als abgewirtschafteter Showkämpfer —eine Rolle, die ihm schon den Golden Globe gebracht hat.
„The Wrestler“ evoziert zuweilen die Underdog-Romantik des ersten „Rocky“-Streifens, wenn Rourke als angeschlagener Fighter Randy „The Ram“ Robinson gegen jede Vernunft an alte Erfolge anzuknüpfen versucht und mit stoischem Masochismus in groteske Gladiatorenduelle zieht. Doch jenseits des Körperkults und der Ringer-Rituale ist dieser Homunkulus von fast zärtlichem Gemüt, hat sich arrangiert mit seiner Einsamkeit und gibt auch Rourke eine letzte Chance auf eine schutzlose Charakterstudie, die nicht minder gespenstisch nachhallt als Bruce Springsteens trauriger Titelsong. Beim Interview im Londoner Blake Hotel, Rourkes langjährigem Lieblingshotel, dessen Lobby ein Schwarzweiß-Foto des Schauspielers aus besseren Tagen ziert, erkennt man ihn zunächst kaum, so brutale Spuren haben Boxkämpfe, Operationen und Selbstzerstörung in seiner Visage hinterlassen. Doch sein müdes Herz schlägt noch, und die Stimme dieses mit Muskelpaketen sich notdürftig schützenden Mannes klingt sanftmütig, wenn er Interviews therapeutisch nutzt, um mit Aufrichtigkeit wieder in den aufrechten Gang zu finden. Um persönliche Abbitte zu leisten für ein fast verpfuschtes Leben und das schmerzliche Verschleudern von Talent.
In „The Wrestler“ spielen Sie einen Show-Ringkämpfer, der seine besten Tage fingst hinter sich hat- und vereinsamt versucht, letzte Chancen zu ergreifen. Wie autobiografisch ist der Stoff?
Ich schrieb die intimsten und dramatischsten Szenen alle selbst. Einmal sage ich im Film: „Ich weiß, dass ich nicht mehr so hübsch bin wie früher, und ich weiß auch, dass ihr euch vielleicht mehr von mir erhofft hättet – doch ich habe mein Bestes gegeben, und immerhin stehe ich noch aufrecht.“ Genau so fühle ich heute, und diesen Film zu spielen war so emotional, dass ich mir „The Wrestler“ niemals selbst anschauen werde. Ich würde es nicht aushalten.
Auch körperlich haben Sie sich nichts geschenkt und eine Tour de Force geliefert, dass es oft beim bloßen Zusehen schmerzt.
Ein paarmal stand ich dicht davor, alles hinzuschmeißen, doch Regisseur Darren Aronofsky nahm mich immer wieder in die Pflicht, indem er mich an mein Ehrgefühl erinnerte. Also biss ich die Zähne zusammen, legte fast 20 Kilo Muskulatur zu und fand endlich auch einen Arzt, der die Schmerzen in meinem Rücken und in meinen Knien wirksam bekämpfen konnte. Weißt du, ich bin ja kein junger Hüpfer mehr. Und obwohl ich vorher lange geboxt habe, musste ich ein völlig neues Programm beginnen, denn Ringer brauchen ungleich mehr Muskelmasse und komplett andere Bewegungsabläufe. Ich musste meine Ur-Instinkte als Fighter bekämpfen.
Am Anfang unterschätzte ich das, hing nachts in Miami noch in der Disco herum und trat entsprechend zerknittert meinem Trainer unter die Augen, einem israelischen Ex-Militärmann. Der sah mich und sagte nur: ,Fuck you!‘ (lacht,). Das war mir so peinlich, dass ich beschloss, fortan alles zu geben und mich in diese Rolle zu werfen, als hinge mein Leben davon ab. Was irgendwie auch der Wahrheit entspricht, denn noch so eine Chance auf so eine gewaltige Rolle hätte ich wohl kaum bekommen. Wie schaffte Aronofsky es, Sie zu bändigen ?
Der Junge ist so smart, viel smarter als ich, und als er bei unserem ersten Treffen sagte, dass er alles aus mir herausholen wolle und nie Widerspruch dulden würde, hatte ich noch keine Ahnung, wie bedingungslos er das meinte. Er half mir dabei, meinen Weg zu einer Figur zu finden, für die ich zunächst keinerlei Respekt hatte. Ich mochte diesen Wrestler nicht und hielt den Sport für lächerlich, doch Darren wies mich immer wieder auf die Parallelen zu meinem eigenen Leben hin. Manchmal hätte ich umklatschen können.
Er weiß zum Beispiel, dass mir heute nur noch meine Hunde geblieben sind, die ich über alles liebe. In einer Szene werde ich mit meiner Tochter konfrontiert, die ich im Film ihr ganzes Leben vernachlässigt habe. Die Schauspielerin spielte mich an die Wand, bis mir Darren ins Ohr flüsterte, dass ich an meine Hundedame Loki denken solle, die zu der Zeit sehr krank war. Bei jedem anderen wäre ich explodiert -— doch Darren bekam meine endlose Traurigkeit vor die Kamera, die er in der Szene brauchte.
„The Wrestler“ hat einige strukturelle Ähnlichkeiten mit Ihrem Boxerfilm „Homeboy“, zu dem Sie bereits 19SS auch das Drehbuch schrieben.“
Yeah, die Figur wurde von einer vergleichbaren Hoffnungslosigkeit geplagt und wies schon damals autobiografische Bezüge auf. Leider landete ich damals bei einem Produzenten, der der Produktion viel Geld gestohlen hat, statt es in Kopien und Werbung zu stecken. Ein englischer Schwanzlutscher namens Eliott Kastner. Soll ich den Namen buchstabieren (locht)?
Was erhoffen Sie steh jetzt für Ihre Karriere, nachdem Ihr Comeback schon vor einigen Jahren bei „Sin City“ und „Domino“ prognostiziert wurde?
Ich bin noch zu sehr damit beschäftigt, meinen Frieden mit der Vergangenheit zu machen, um über die Zukunft zu spekulieren. Und ich weiß, wie schnell sich der Wind auch wieder drehen kann, das habe ich oft genug am eigenen Leibe erleben müssen, Kumpel. Aber nach einer Therapie habe ich endlich geschnallt, dass dafür niemand anderes als ich verantwortlich ist. Mein schlechtes Benehmen in all den Jahren war Folge der Unsicherheit. Arroganz und der latenten Gewaltbereitschaft, mit der ich meine Scham maskieren wollte.
Wofür schämten Sie sich?
Ich hatte eine gewalttätige Jugend, die ich nicht besser als mit Gegengewalt zu kompensieren wusste. Ganz egal, wie erfolgreich ich in meinen guten Jahren wurde: Ich fühlte mich unbedeutend und klein, weil ich diese Verletzungen aus meiner Jugend mit mir herumtrug. Ich war kein Mann, sondern ein wandernder Scherbenhaufen, ohne eine Ahnung zu haben, wie ich die Brüche wieder reparieren sollte. Erst 14 Jahre mit einem Seelenklempner halfen mir zu erkennen, dass meine Härte nach außen bloß der Versuch war, Verletzungen mit falschem Stolz zu verstecken. Inzwischen kann ich darüber sprechen und das wilde Biest in mir endlich unter Kontrolle halten. Doch lange Jahre fühlte ich mich wie ein Versager. Haben Sie inzwischen Ihren Frieden mit der Vergangenheit gemacht?
Absolut – und Frieden ist genau das richtige Wort, denn ich fühlte mich wie im Krieg, seit ich zehn Jahre alt war. Als Kind war ich ruhig und schüchtern, doch das änderte sich, als ich meine Mutter einen gewalttätigen Mann in unseren Haushalt ließ. Ich erinnere noch genau, dass ich bis dahin in der Schule immer von einem älteren Jungen verdroschen worden war und mich vor Furcht zurückgezogen hatte. Doch eines Tages, ich war erst elf Jahre alt und hatte zu Hause furchtbaren Jähzorn miterleben müssen, stand ich auf und schlug diesen anderen Schüler zusammen. An diesem Tag schwor ich mir, mich nie wieder von jemandem demütigen zu lassen — ohne zu merken, dass ich selbst eine ständige Aggression aufbaute, die ich für Jahrzehnte nach außen trug. Wie ist der Widerspruch Ihres privaten Macho-Verhaltens zu der Verletzlichst vieler Ihrer Filmfiguren in den 80er Jahren zu erklären?
Die Kamera war nicht mein Feind. Ganz im Gegenteil hatte ich vor der Schauspielerei ebenso wie für das Boxen, meine zweite Passion, viel zu viel Respekt, um dort den Schutzmechanismus persönlicher Härte zu nutzen. Es war befreiend, weinen und auch mal, klein, sein zu können, und ich liebte es, beim Arbeiten den Panzer abfallen lassen zu können. Die Probleme begannen allesamt abseits der Kamera. Bei den Managern und Agenten, den Finanziers und den anderen Schauspielern, von denen die meisten prima Politiker abgegeben hätten, so sehr jagten sie der Macht hinterher und so gut verstanden sie sich auf das Verkaufen ihrer selbst. Ich konnte und wollte dieses Spiel nicht mitspielen und ließ es auch jeden wissen, verdammt. Doch wer lässt sich schon gern den ganzen Tag mit Verachtung strafen? Es hat mich ja niemand gezwungen, mit Leuten zu drehen, die ich nicht respektiere. „The Nineties sucked“, heißt es einmal in „The Wresder“ – ein autobiografischer Satz?
Darauf können Sie wetten: „My Nineties fucking sucked!“ Aber wie gesagt, man muss irgendwann in den Spiegel schauen und sich darüber klar werden, dass man dort das Arschloch sieht, das die Verantwortung trägt. Niemand hat mich gezwungen, mit Aggression und schlechtem Benehmen zu reagieren, als der Ruhm begann, das Geld nicht mehr zu zählen war und mich die Leute behandelten, als ob ich eine große Nummer wäre. Mich widerte das nur an.
Sie wollen ernsthaft behaupten, dass Sie Ihre goldenen Jahre nie genossen?
Ich hatte kurzfristigen Spaß daran, jederzeit an frische Pussies zu kommen, und es gefiel mir, das Geld zusammen mit meinen Jungs zum Fenster herauszuwerfen. Doch zur gleichen Zeit bereitete ich bereits meinen Untergang vor — und von all den sogenannten Freunden ließ sich kein einziger mehr blicken, als ich es nur mit Hollywood verscherzt hatte und zeitweise nicht wusste, wie ich die Miete meines winzigen Apartments bezahlen sollte. Sie sprechen oft von Ihrem „schlechten Benehmen“ — was ist darunter zu verstehen?
Ich weiß inzwischen, wie wichtig es ist, pünktlich zum Dreh zu erscheinen oder dann am Set nicht Wutanfällen zu erliegen und meinen Wohnwagen zu zerlegen. Zeitweise ritt ich mit 50 Jungs auf Motorrädern ein, was einer reibungslosen Produktion auch nicht sehr förderlich ist (lacht). Aber was das Wichtigste ist: Ich habe gelernt, nur noch mit Regisseuren zu arbeiten, die ich bedingungslos respektiere. Sobald ich heute das Gefühl habe, es mit ahnungslosen kleinen Jungs zu tun zu haben, die mit Erfolgen um jeden Preis ihre Egos polieren wollen und künstlerische Integrität vermissen lassen, mache ich mich besser aus dem Staub. Keine Gage der Welt ist es wert, seine Seele zu verkaufen.
Wer besitzt in der Filmbranche Ihrer Ansicht nach noch dauerhaft Integrität?
Da gibt es nur wenige. Leute wie Francis Ford Coppola oder Sean Penn. Die arbeiten nicht, ohne nicht vollständig mit dem Herzen dabei zu sein, und gaben mir noch dazu kleine Jobs in „Der Regenmacher“ und „Das Versprechen“, als ich unbesetzbar war, weil ich Versicherungen als zu hoher Risikofaktor galt. Auch Aronofsky kämpfte wie ein Löwe um mich, obwohl er Nicolas Cage hätte haben können. Aber gemeinhin bin ich auf Filmtypen nicht gut zu sprechen, die Gesellschaft von Musikern ist mir Lieber. Schauspielerinnen kannst du komplett vergessen, das sind fast alles verwöhnte Diven. Jane Campion wollte mich mal neben Nicole Kidman besetzen — doch die Schlampe lehnte mich ab, weil sie Angst vor nur hatte und nur mit kleinen Jungs drehen kann. Welche Musiker flößen Ihnen Respekt ein?
Axl Rose ist ein alter Freund. Springsteen. Bob.
Ja, wir standen mal in „Masked And Anonymous“ gemeinsam vor der Kamera. Eines Nachts rief er an und wollte Schauspieltipps. Er wollte wissen, was zur Hölle er in Szenen ohne Dialoge anstellen sollte. Seither sind wir Freunde und gehen manchmal miteinander in den Boxring. Er ist noch verdammt fit, aber ich bin mit ihm trotzdem vorsichtig. Ich will nicht der Typ sein, der Bob Dylan aus Versehen die Lichter auspustet.