Finns Tonspuren
Selbst im Werk von Wim Wenders, der in seinen Filmen an entscheidenden Stellen häufig Popsongs einsetzt, nimmt der Soundtrack zu "„Palermo Shooting" eine Sonderstellung ein.
Schon in seinen frühen Kurzfilmen gehörten Musik und Bilder bei Wim Wenders eng zusammen. Doch während es meist die Bilder waren, die die Wahl der Songs inspirierten, war es dieses Mal umgekehrt. Am Anfang standen die Musik und die Idee, über Songs einen Blick ins Innere des Protagonisten Finn zu erlangen. Der Ausgangspunkt für „Palermo Shooting“ dürfte „Some Kinda Love“ von The Velvet Underground gewesen sein – ein Song, der auch für Wenders selbst große Bedeutung hat. Daneben spielen in der Geschichte seines Protagonisten Finn nun Stücke von Iron & Wine, Calexico, Portishead, Beth Gibbons & Rustin Man und Beirut, vor allem aber Bonnie „Prince“ Billys „Death To Everyone“ eine große Rolle. „Jetzt gibt es den Film und den Soundtrack, aber ich bin mir nicht sicher, ob es ,Der Soundtrack zum Film‘ ist oder,Der Film zum Soundtrack'“, schrieb Wenders in der Ankündigung der CD zu „Palermo Shooting“.
Nicht alle Songs, die diesen Film nun antreiben, existierten bereits, als Wenders mit den Arbeiten begann. Wie schon bei „Bis ans Ende der Welt“ hat er einige seiner Lieblingskünstler gebeten, Lieder für den Film zu schreiben. Nick Cave steuerte mit Grinderman ebenso wie Konstantin Gropper alias Get Well Soon gleich zwei neue Stücke bei. Ausserdem gibt es Neues von Monta, Bonnie „Prince“ Billy und dem ehemaligen Vivid-Sänger Thomas Hanreich alias Thom, der bereits auf dem Soundtrack zu „Land Of Plenty“ von 2004 vertreten war. „Der Thom hat direkt auf die Szene draufkomponiert“, so Wenders. „Dem habe ich das erste Fotoshooting gegeben, und er hat die komplette Szene im Feinschnitt gehabt. Die anderen Musiker haben zum Teil eine Rohfassung einer Szene bekommen.“ Auch die in den USA lebende deutsche Songwriterin Sibylle Baier, die nun für „Palermo Shooting“ den Song „Let Us Know“ geschrieben hat, kennt man schon aus einem anderen Wenders-Film. Sie war 1974 in „Alice in den Städten“ in einer kleinen Rolle zu sehen. Dort steht sie mit ihrem Sohn auf einer Rheinfähre und singt einen Song von ihrem Debütalbum „Colour Green“, das – obwohl schon Anfang der 70er Jahre aufgenommen erst 2006 nach Vermittlung von Dinosaur Jr-Sänger J. Mascis erschien.
Die Score-Musik für „Palermo Shooting“ hat ebenfalls ein Musiker komponiert, der bereits auf dem Soundtrack von bei „Alice in den Städten“ zu hören war: der ehemalige Can-Keyboarder Irmin Schmidt. Er kennt Wenders noch aus der Zeit, als der in München Film studierte und er dort Musik fürs Residenz-Theater machte. Peter Przybolla, seit „Summer In The City“ Cutter der meisten Wenders-Filme, machte die beiden miteinander bekannt.
Mit Can spielte Schmidt dann Musik für „Alice in den Städten“ ein. „Der Wim kam an und sagte: Morgen ist die Mischung. Könnt ihr mir nicht noch ein bisschen Musik machen?“, erinnert er sich. „Wim hat dann im Studio gesessen, während Michael (Karoli-Can-Gitarrist) und ich gespielt haben. Wir waren also nur zu zweit, weil das alles so schnell gehen musste. Ich habe in erster Linie auf den Seiten im Klavier gezupft, und Michael hat Gitarre gespielt. Das ist also keine typisch rockige Can-Musik.“ Auch für „Bis ans Ende der Welt“ steuerten Can fast 20 Jahre später ein neues Stück bei: „Last Night Sleep“.
„,Palermo Shooting‘ ist nun allerdings mit Abstand größtes gemeinsames Projekt“, so Schmidt. „Der Film ist ja in der Cannes-Fassung zwei Stunden lang. Eine Stunde dauern in etwa da ins Ohr knallt, und die andere Stunde ist Filmmusik von mir.“
Auf dem nun erscheinenden Soundtrack kann man aus Schmidts Score nur drei kleine Ausschnitte hören, die Arie „Erbarme dich“ aus Bachs „Matthäus Passion“ basieren. Diese Musik umspielt die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Finn und Flavia. Zusätzlich vertonte Schmidt noch die vielen surrealen Traumsequenzen in „Palermo Shooting“ mit pulsierenden Streichersamples und Elektronik. Die Score-Musik will er bald auf seiner Website www.irminschmidt.com zugänglich machen. Außerdem plant er bei Mute Records eine neue Filmmusik-Anthologie, die wohl Anfang nächsten Jahres erscheinen wird.
Auf seine Arbeit an „Palermo Shooting“ ist er sehr stolz. „Wim hat mir ein wunderschönes Bild geschenkt, ein riesiges Foto“, schwärmt der in Südfrankreich lebende Schmidt. „Und sowas macht man ja – glaube ich – nur, wenn man glücklich darüber ist, was man bekommen hat. Und dieser Riesen-Schinken passt sehr gut über die Tür zu meinem Studio. Das Bild zeigt einen verlassenen Friedhof in Montana. Unter einem außerordentlich dramatischen Himmel. Man sieht darauf den Grabstein von einem Mann, der Traveling Wolf hieß. Ein Indianer offensichtlich. Der Name passt aber auch irgendwie zu Wim. Er ist ja auch ein leidenschaftlicher Traveller.“