Inszenierte Emotion – Bei der Vorstellung des neuen Albums empfahlen sich die Dresdner für den ZDF-Sommergarten
Berlin, Admiralspalast
Einer dieser Fälle, in denen man nicht so genau weiß, ob die Künstler sich wirklich so sehr verändert haben, wie es den Eindruck macht, oder ob man sie einfach nur falsch verstanden hatte. Irgendwas ist jedenfalls passiert mit dieser Band: Zur Zeit ihres selbstbetitelten Debüts waren Polarkreis 18 ein Haufen verhuschter Dachboden-Frickler aus Dresden, die man bald lieb gewonnen hatte. Der Sänger Felix Räuber sang extra undeutlich wegen seiner schlechten Englisch-Kenntnisse, die Konzerte waren deutlich Orft-Zirkel-konnotiert. Polarkreis 18 waren in diesem Setting aber einige entrückt schwebende Lieder gelungen, die die vermeintliche Tristesse Dresdner Häuserfronten, die Verlorenheit in den Städten, auf eine international gültige Art illustrierten. Mit jenem Album war der Band ein beachtlicher Überraschungserfolg gelungen.
Knapp 18 Monate später springen die sechs Musiker in einheitliches Weiß gehüllt auf eine Nebenbühne des Admiralspalasts. Vom ersten Moment an wird offensiv der direkte Kontakt zum Publikum gesucht, Installationen flimmern über die Leinwand, alles ist rund, alles ist perfekt – die totale Inszenierung. Mit den rätselhaften Fabelwesen von Sigur Ròs wird sie hiernach keiner mehr vergleichen wollen.
Polarkreis 18 stellen heute die Songs ihrer neuen Platte „The Colour Of Snow“ vor. Aufgenommen haben sie das Album mit dem langjährigen Notwist-Produzenten Mario Thaler in dessen Weilheimer Studio, was man aber nicht hört: Der introspektive Post-Rock mit Shoegazer-Anleihen ist überwiegend einem kitschigen Eso-Trash-Pop mit Waldhörnern und Enigma-Keyboards gewichen. Mitunter erinnern Polarkreis 18 an den britischen 8os-Popper Howard Jones oder, in den besseren Momenten, an A-ha.
Insbesondere gestützt wird dieser Eindruck durch die erste Single .Allein Allein“, die sie sicher schon gehört haben. Ein fast pervers aufdringlicher Song von Inszenierte Emotion Wagneriamschem Bombast und mit Orchesterbegleitung, der leider überhaupt nicht nach Alleinsein klingt, sondern nach Bierzelt oder ZDF-Sommergarten. Im Publikum wird jetzt gestampft, man spricht wohl von einem Abräumer. Allerdings transportiert eben dieses Lied das Anliegen der Musiker nahezu perfekt. Eine international gültige Hymne habe man schaffen wollen, erklärt Räuber, die das gemeinsame Schicksal aller
Erdenbewohner thematisieren sollte, allein geboren zu werden und ebenso zu sterben. Wahrscheinlich hat man gedacht, gemeinsam besungen sei das Alleinsein nicht ganz so schlimm. Dabei wäre man jetzt im Admiralspalast ziemlich gerne allein, jedenfalls ohne dieses Lied.
Das Konzert gerät zunehmend zu einem Inferno. Die neuen Stücke haben Polarkreise 18 zwar groß gedacht und entsprechend umsetzen wollen, aber oft camouflieren das allgegenwärtige, heute freilich aus der Konserve kommende Orchester und die larger-than-life-Produktion auch nur die Ideenarmut einiger Songs. Bei der Plattenfirma glaubt man, hier ein großes, auch international vermarktbares Talent gefunden zu haben, und tatsächlich häufen sich die Anfragen aus dem Ausland. Bereit wären Polarkreis 18: Wie sie jetzt „Dreamdancer“ aufführen, das hat eine Routine wie nach 2000 Konzerten. Insbesondere Räuber gebärdet sich als roboterhaft zuckender Frontmann mit deutlichen Camp-Bezügen. Als Sänger hat der Knabe fraglos einen Riesensatz gemacht: Einmal legt er gar das Mikro weg, die Band setzt aus und Räuber singt — allein, allein und unverstärkt! – auf einer Monitorbox stehend eine Sequenz ins gebannt lauschende Auditorium. Hätte der Bengel sich früher nie getraut.
Auf dem Screen rattern jetzt Züge vorbei, und sie spielen „Tourist“, das eröffnende Stück des neuen Albums. Aber dieser Tourist ist nicht, wie bei Radiohead. ein Reisender im Tal der Verzweiflung, sondern es drängt ihn erhobenen Kopfes hinaus. Er will die Welt erobern.
Ganz zum Schluss spielen sie schließlich das Stroboskop-zuckende Abgrundszenario „Look“, und man hofft, dass sie irgendwann wieder zurückfinden zu dieser magischen Entrücktheit der Anfangzeit.