Coldplay: Konzertbericht – München, Olympiahalle
Coldplay erwiesen sich erneut als Meister der Großhallen-Unterhaltung
Kein Mensch kennt Albert Hammond Jr. Als der Strokes-Gitarrist in eigener Mission die Bühne betritt und sich mit den Worten „Hi, I’m Albert“ vorstellt, stehen große Teile des Publikums noch in der Einlassschlange. Der Rest begrüßt ihn mit höflichem Applaus, nicht mehr. Vielleicht erkennt ihn auch keiner: Hammonds Kennzeichen, die Strubellocken, sind einer gelgestützten Kurzhaarfrisur gewichen, die ihn zusammen mit dem engen weißen Anzug ein bisschen aussehen lassen wie den frühen Costello. Freilich ohne Brille. Das verschmitzt-schüchterne Grinsen kann er aber immer noch.
Die Band beginnt mit „Spooky Couch“, einem Stück aus seinem zweiten Solo-Album, das auch gut in einen französischen Softporno aus den 70er Jahren gepasst hätte. Sein kurzes Set bringt Hammond Jr. ordentlich über die Bühne, zu beneiden ist er nicht. Die ohnehin gewagte Kombination geht natürlich nicht auf. Einzige Gemeinsamkeit: ein offenkundiges Faible für iberoromanische Sprachen. Hammonds „Como Te Llama?“ (wie heißt du?) kontern Coldplay mit „Viva La Vida“, zu dessen Eröffnungsstück „Life In Technicolor“ sie eben einmarschieren.
Und das Leben lieben sie wohl wirklich – ebenso wie eine bis ins letzte Detail austarierte Bühnenshow. Vor ‚Delacroix‘ Cover-Artwork-erprobter Revolutions-Kulisse stehen die vier Musiker in den bekannten verschlissenen Armeejacken, an der Decke hängen prächtig illuminierte Riesenglühbirnen, selbst die Gitarren sind mit passenden Farben bemalt.
Langsam hebt sich der Gaze-Vorhang. Chris Martin bittet das Publikum, doch bitte für die nächsten zwei Stunden das Oktoberfest zu vergessen, dann unternimmt er einen ersten Ausflug an den Bühnenrand. Die Gitarre hält er dabei wie eine Waffe im Anschlag, und die jetzt wieder raspelkurzen Haare stehen ihm besser als die Boris-Becker-Gedächtnis-Frisur der letzten Monate. Die Hymnik von „Viva La Vida“ erzeugt nun frenetische Beifallsstürme ebenso wie später die anderen Bayern 3-erprobten Singles der letzten beiden Alben – während etwa der Klassiker „Clocks“ großen Teilen der Menge offenbar unbekannt ist. Satz des Abends: „Schatz, sie spielen unser Lied.“
Coldplay haben jetzt auch zwei dieser gigantischen Laufstege, auf denen man 30 Meter in die Menge laufen und dabei Angebersoli spielen kann. Nur dass Gitarrist Johnny Buckland dabei trotz der schicken Uniform so aussieht, als ginge er einen Bahnsteig entlang. Er wirkt alleine, verzagt, verloren. Martin ahnt das wohl und eilt dem alten Freund mit Riesenschritten zur Hilfe.
Manche Leute beschweren sich ja über die permanente Hampelei des Chris Martin, aber ihm fällt halt immer noch allein die Aufgabe zu, diese riesigen Bühnen zu füllen und die lethargische Statik seiner drei Mitstreiter aufzufangen. Weswegen er auch heute derwischartig auf die Klaviertasten einhackt und dabei bedenklich auf seinem Schemel wippt, bevor er wieder und wieder Bühne und Laufstege abmisst, wie es bei dieser Art von Großhallen-Entertainment wohl verlangt wird.
Die Band als eingeschworener Haufen wird ein bisschen überbetont: Ständig sucht Martin den Kontakt zu seinen Mitmusikern. Einmal versammeln sie sich zu viert am vorderen Rand eines der Stege und spielen Easy-Listening-Arrangements von „God Put A Smile On Your Face“ und „Talk“. Vermutlich um zu demonstrieren: Seht her, immer noch alles wie damals in der Londoner Studentenbude. Man kann das penetrant finden. Nach dem gewaltigen „Lost“ steht die Band dann plötzlich direkt hinter uns auf einer in den Rang gebauten Minibühne. Ellbogen an Ellbogen spielen sie „The Scientist“ mit akustischen Gitarren. Und Martin hat seinen Frieden mit dem Oktoberfest gemacht: Er stemmt einen Maßkrug in die Höhe, dessen Inhalt allerdings verdächtig nach Apfelschorle aussieht.
Eine furiose „Yellow“-Version beschließt – erwartungsgemäß – den Abend: „Your skin and bones/ Turn into something beautiful.“
Die Schönheit im Banalen und Gefälligen haben Coldplay furios aufgespürt weit mehr, als man erwartet hatte.