R.E.M.: Jung trotz ihrer Jahre
Beim ersten Open-Air-Konzert der Deutschland-Tournee überzeugten gut gelaunte R.E.M. 10.000 Zuhörer mit Standards - und einigen Überraschungen
DRESDEN, ELBUFER. Die Mücken und Motten fliegen tief an diesem Abend am Fluss. Sie umkreisen in Scharen die Scheinwerfer, die – wie alle Augen meistens auf Michael Stipe gerichtet sind. Dabei traut sich heute sogar Peter Bück ganz nah an den Bühnenrand, wo sich Mike Mills sowieso immer wohlfühlt. Es wird ein prächtiger Auftakt für die Deutschlandtournee, das merkt man Sofort. Gut gelaunt beginnen R.E.M. mit „These Days“, und die beherzten Zeilen „We are young despite the years/ We are hope despite the times“ geben das Motto der nächsten zwei Stunden vor.
Zu Beginn gefällt sich Stipe wieder einmal in unterhaltsamen Posen, er turnt für die Fotografen und lächelt für das Publikum. Es wirkt nicht aufgesetzt, sondern char-mant, manchmal auch ein bisschen linkisch. Er trägt jetzt kein Make-up mehr, hinter dem er sich verstecken könnte, und als ihm bei „Electrolite“ die theatralischen Handbewegungen ausgehen, muss er selbst lachen. Der Ernsthaftigkeit und Kraft der Songs tut diese Leichtigkeit keinen Abbruch: Wenn Stipe anfängt zu singen, treten alle Mätzchen in den Hintergrund. Fast könnte man übersehen, wie selbstverständlich und einträchtig das Trio nach den Querelen der letzten Zeit wieder zusammenspielt, natürlich auch diesmal verstärkt durch Schlagzeuger Bill Rieflin und Keyboarder, Gitarrist und Launebär Scott McCaughey.
Gleich acht neue Stücke von „Accelerate“ spielen sie, aber weil die so knackig kurz sind, ist noch viel Platz für Überraschungen. Selbst in der ersten Reihe vor der Bühne ist man sich nicht einig, wann man „Little America“ überhaupt einmal live gehört hat. Auch „Disturbance At The Heron House“ zaubern sie wieder hervor – und, zum Thema „zerrüttete Heimat“ passend, schließlich noch „Ignoreland“. Später versammeln sich alle mit Akustikgitarren ums Piano, an dem zur Abwechslung Bück statt Mills sitzt, und verwandeln das einst eher krachige „Let Me In“ in eine wütende Ballade. Michael Stipe dreht dem Publikum den Rücken zu, fast wie in den alten Zeiten. Kurz darauf gibt er wieder den galanten Gastgeber und grüßt sogar die neugierigen Zaungäste auf der Eibbrücke, die gar kein Ticket haben.
Zur Zugabe – nach dem gefeierten „Supernatural Superserious“ und dem unvermeidlichen „Losing My Religion“ – ein Lied, dass sie, so Stipe, bei Festivals nie spielen, „weil die Leute, die R.E.M. nicht kennen, es nicht mögen“. Es ist der innigste und doch mächtigste Song des Abends, „Country Feedback“. Danach kann sogar „Man On The Moon“ keine Steigerung mehr sein.
Ich schwöre es: Sogar die Motten schweben aus Ehrfurcht für einen Moment still.