Es gibt kein Entkommen
Der Hochsommer ist ohne Zweifel die beste Zeit, um Schluss zu machen mit unserem rechteckigen Freund, dem Fernseher. Wir fragten Oliver Kalkofe, wie das geht
Die Idee war folgende: Ich treffe den schamlosesten Fernsehkritiker des Landes und frage ihn, was man tun kann. Statt Fernsehen. Schließlich ist Sommer, das Topmodel und der Superstar sind längst gefunden, ja, mittlerweile sind auch die Bilder des neuen Fußballeuropameisters in alle Köpfe übertragen worden. Was spräche also dagegen, den Flachbildschirm in die Waagerechte zu drehen und für den Rest des Jahres ausschließlich als Coffee Table zu verwenden? Die Olympischen Spiele? Sie belieben zu scherzen.
Die Gelegenheit ist günstig: Oliver Kalkofe dreht gerade die letzten Folgen für die neue Staffel seiner „Mattscheibe“, die Ende Juni auf Proy startet, zudem ist gerade ein Buch mit seinen Kolumnen für die „TV Spielfilm“ erschienen („Geschafft! Wir sind blöd!“, Lapban, 12,95). Er dürfte also die Schnauze gestrichen voll haben vom Fernsehen.
Es ist ein heißer Tag, und wir treffen uns in einer leeren, klimatisierten Bar. Der Rest der Welt sitzt in der Sonne und langweilt sich. Also, Herr Kalkofe, gibt es wirklich eine Welt außerhalb des Fernsehens? Und was können wir da tun? „Man kann doch nicht sagen, man nimmt ein Buch, weil das Fernsehen so Scheiße ist“, schüttelt Kalkofe den Kopf. „Lesen sollte man so oder so. Aber das ist eine ganz eigene Geschichte. Man kann ja auch einem Übergewichtigen nicht sagen: Dann iss doch nichts mehr. Geh doch mal an die Luft oder ließ ein Kochbuch. Totaler Quatsch.“
Ja. Mit der Antwort hätte ich ja rechnen müssen, werden Sie sagen. Fernsehkritiker sind wie Homophobe – eigentlich heben sie, was sie zu hassen vorgeben. Somit ist Kalkofe natürlich einer der größten Fernsehmaniacs des Landes. „Ich war halt in meiner Kindheit auf das Unterhaltungsmedium Fernsehen angewiesen“, entschuldigt er sich. „Einfach aufgrund der ereignislosen Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Erst in Engelbostel, einer kleinen Reihenhaussiedlung bei Hannover, später in Peine. Das Fernsehen war mein bester Freund. Später kam noch der Videorekorder dazu – das war dann eine schöne Dreierbeziehung.“
Er ist in den Siebzigern und frühen Achtzigern aufgewachsen, als es noch kein Privatternsehen gab und Fernsehunterhaltung noch ein rares Gut war. Einmal die Woche kam ein Krimi, zweimal die Woche eine große Show. Und am späten Abend war einfach irgendwann Sendeschluss. Aus! Vorbei! Flimmern! Da standen keine spärlich bekleideten Menschen vor Flipcharts, um Rätselstunden für Menschen zu veranstalteten, die — um Kalkofes eigene Worte zu paraphrasieren – nur am betreuten Wohnen vorbeigekommen sind, weil sie es bisher geschafft haben, sich um einen Arztbesuch zu drücken.
Man dürfe die Gefahren des Fernsehens nicht unterschätzen, warnt der 42-jährige abgebrochene Publizistik-Student. Es diene nicht nur dazu, Bekloppte von den Straßen zu holen und ruhig zu stellen, es habe auch ziemlich reale Auswirkungen auf die Wirklichkeit. „Derjenige, für den der Fernseher das Fenster zur Welt ist, denkt doch: Mein Gott, ich bin noch nicht von meinem Stiefvater vergewaltigt worden, ich hatte keinen Sex mit Tieren, ich habe kein Intim-Piercing, ich hab mich noch nicht ins Koma gesoffen – ich bin pervers, ich bin nicht normal. So hat das Fernsehen zu einer Verschlimmerung der Realität beigetragen. Wir haben uns zum Teil diese Idioten herangezüchtet, die wir vorher als Fiktion behauptet haben.“
Also doch: Fernseher verbieten, Umerziehungsprogramme starten? Kalkofe schüttelt mitleidig den Kopf. „Der größte Teil der Bevölkerung steht morgens auf, arbeitet, kommt abends nach Hause und ist weder finanziell, noch intellektuell, noch körperlich in der Lage, sich selber ein Programm zusammen zu stellen und was ganz anderes zu tun“, so Kalkofe. „Der hat die Erwartung: Ich mach den Fernseher an und werde informiert und unterhalten. Und ich werde nicht betrogen, und die hassen mich nicht. Das ist doch eigentlich auch das Gefühl, das man eigentlich haben sollte.“
Vor allem von den Öffentlich‘ Rechtlichen, für die er auch mal drei Sendungen produzierte, die aber später in den Giftschrank wanderten, fühlt er sich betrogen: „Ich finde, die sollten sich wirklich was schämen. Statt irgendwelcher Spots, in denen sie fragen, ob man schon die GEZ-Gebühren gezahlt hat, sollten sie kleine Entschuldigungsspots senden: Es tut uns leid, wir kriegen es im Moment einfach nicht besser hin.“
Privat schaue er praktisch überhaupt kein Fernsehen mehr, sagt Kalkofe. Er bediene sich lieber aus der Konserve. „Wenn man sich auf DVD oder im Internet die Sachen zusammensucht, findet man wieder Spaß an Fernsehen, an Fiktion und an Geschichten. Wenn man sich etwa anschaut, was seit einigen Jahren aus England und Amerika an Serien kommt, das ist wirklich gigantisch. Besser als Kino.
Das sind zum Teil Stoffe, die von der Komplexität her mit großer Literatur vergleichbar sind. Die .Sopranos‘ oder ,Six Feet Under‘ oder ,Deadwood‘ – das ist einfach toll!“
Zusammen mit seinem Agenten Jörg Strombach und Kollegen wie Oliver Welke, Bastian Pastewka und Benjamin von Stuckrad-Barre veranstaltet Kalkofe in Berlin nun den „Gernsehclub“
(Infos unter www.gernsehcldub.de), in dem noch einmal klassische Serien aus der guten alten Fernsehzeit gezeigt werden sollen. In einem kleinen Club mit kuscheligen Sitzecken. Eine Art Public Viewing der glorreichen Taten aus der TV-Vergangenheit.
Er wird seine große Liebe also wohl niemals aufgebeben. Egal, was Oliver Kalkofe macht, er kommt nicht los vom Fernsehen. Auch wenn er es immer mal wieder versucht. „Wenn ich in Urlaub fahre, will ich absolute Ruhe. Mein erklärtes Ziel ist: Ich will nichts erleben. Ich bin kein Sonnenanbeter, aber die drei Wochen möchte ich Sonne haben, Meer, wenn’s geht. Ich schaue gern aufs Meer, weil das so schön ruhig ist.“ Und es rauscht fast so schön wie früher die Flimmerkiste nach Sendeschluss.