Pop-Mysterikerin – Shara Worden alias My Brightest Diamond vereint sensibles Songwriting und große Oper mit tiefer Spiritualität
Wenn man in einer sternenklaren Vollmond-Nacht die guten Eigenschaften von Kate Bush, Björk und PJ Harvey in einen großen dampfenden Messingkessel verrührt, müsste bei Sonnenaufgang eigentlich Shara Worden vor einem stehen. Unter dem Namen My Brightest Diamond hat die ausgebildete Opernsängerin und Multi-Instrumentalistin aus Brooklyn jetzt ihr zweites Album fertiggestellt. „A Thousand Shark’s Teeth“ vereint auf eigenwillige Weise dramatischen Art-Rock, große Oper und sensibles Songwriting. Während der Vorgänger „Bring Me The Workhorse“ noch klar im Rock wurzelte, naschen wir nun die Früchte eines deutlich komplexeren Werks. Sechs Jahre hat die 33-jährige Worden an den Songs gearbeitet, die ursprünglich zusammen mit dem Debüt ein Doppelalbum bilden sollten: „Es ging mir um die Spannung zwischen der Schroffheit des Rock’n’Roll und den klassischen Instrumenten“, erzählt die zierliche Musikerin, die eine exzentrische Langhaarfrisur und schrill neonfarbene Socken trägt und auch sonst nicht wie eine beflissene Künstlerin wirkt.
Schon vor ihrem Debüt hatte sie acht Songs mit einem Streich-Quartett aufgenommen. Doch das selbstgewählte Korsett wurde Shara Worden irgendwann zu eng: „Ich nahm bald auch noch Gitarren, Fagott und Marimba dazu. Irgendwann hatte ich ein ziemliches Durcheinander angerichtet, deshalb spielte ich die Stücke im Herbst 2007 noch einmal komplett neu ein. Der Song ,Goodbye Forever‘ ist als einziger übrig geblieben. Es gibt darin eine Zeile, ,Prickling like a thousand sharks teeth‘, die dem Album seinen Titel gab. Der Song handelt von der Intimität in menschlichen Beziehungen und parallel dazu von unser Beziehung zur Sonne.“ Das hört sich jetzt etwas anstrengend an, ist aber eher die musikalische Entsprechung eines Traums.
Scheinbar mühelos gleiten die Instrumente in den hochkomplexen Arrangements ineinander, und die voluminöse Stimme der Sängerin nervt nie durch divenhafte Kapriolen. Musiker von Air, Antony & The Johnsons, Meshell Ndegeocello und dem Neue-Klassik-Ensemble Bang On A Can haben an „A Thousand Shark’s Teeth“ mitgewirkt.
Worden selbst ist schon seit einigen Jahren Mitglied in der Live-Band von Sufjan Stevens, ein Nebenprojekt namens AwRY hat sie auch noch: ,Je mehr man spielt und auftritt, desto mehr Musiker lernt man kennen — das ist einer der schönsten Aspekte in meinem Leben.“ Trotzdem steht sie manchmal aber auch ganz allein auf der Bühne, mit einer Fender-Stratocaster und ein paar originellen Klein-Instrumenten. Dann spielt sie als Zugabe gerne eine minimalistische Version von einem der schönsten Prince-Songs überhaupt „When Doves Cry“.
Aber die Songs von My Brightest Diamonds leben nicht nur in der reinen Form. Die Eltern der Sängerin, die schon im Alter von 14 Jahren mit einem Klassik-Chor durch Europa tourte, waren beide Kirchenmusiker: „Mein Vater hat seine anderen Jobs recht oft gewechselt, und wenn es mit dem Verkauf von Versicherungen nicht mehr lief, landeten wir eben wieder bei Jesus“, sagt sie und muss selber lachen über diese amerikanische Art von Frömmigkeit.
Worden beschäftigt sich auf „A Thousand Sharps Teeth“ mit einer anderen, sehr persönlichen Form von Spiritualität: „Ich versuche Zu verstehen, welcher Sinn hinter all dem steckt, in welcher Beziehung wir zueinander und zum Universum stehen. Da, wo ich herkomme, hieß es immer: Du musst so sein, du musst eine bestimmte Botschaft verbreiten. Doch mein Leben ist zu kompliziert für Dogmen. Ich bin eher eine Person, die mit Gott ringt — bei aller Liebe. Das verbindet mich mit Anselm Kiefer, dessen Kunst einen starken Einfluss auf meinen Glauben und auch auf meine Songs hatte.“ Auch das Cover, das Worden auf einer hohen Leiter sitzend zeigt, ist eine Referenz an den deutschen Mystiker. So tief wie My Brightest Diamond träumt und grübelt in diesem Sommer kein anderer Pop-Künstler. Wer sich darauf einlässt, erlebt pure Schönheit.