Zimmermanns Erben
Mit den Feiice Brothers ist im vergangenen Jahr ein bisschen zu viel Mythenbildung betrieben worden. Wahlweise erschienen einem die drei Brüder plus Zusatzmusiker wie die Waltons, eine Gruppe Outlaws aus dem Sezessionskrieg oder ein paar musizierende Landstreicher. Natürlich hat man das gern gelesen, wollte hören, wie die Feiice Brothers ihre Musik auf der front porch des Elternhauses in den Catskill Mountains erfanden, im Freien schliefen und dann — gegen Brot und gute Worte – in den U-Bahnschächten New Yorks auftraten, immer auf der Hut vor der Polizei. Man hat das gern gelesen, weil die Geschichten die Musik so gut illustrierten. Und weil man in Zeiten der obszönen Öffentlichkeit dringend Musiker braucht, die sich ihr Geheimnis bewahren.
Die gute Nachricht: Auch wenn James Feiice in unserem Gespräch anlässlich des zweiten offiziellen Albums, „The Felice Brothers“, ein vollständigeres Bild malt, bleibt seine Bandeine besondere, andersartige, irgendwie aus der Zeit gefallene.
Hausmusik
Die Feiice Brothers haben sich tatsächlich auf der heimatlichen front porch zu einer Band zusammengefunden. Kein Wunder! Schließlich haben sie dort gewohnt. Der Vater, ein Zimmermann, sorgte für die richtige musikalische Sozialisation seiner Kinder, vor allem an „Slow Train Coming“ kann James Feiice sich erinnern. Übrigens gibt es insgesamt sieben Kinder im Hause Feiice, alle spielen ein Instrument. „Music and food —- that’s what our family is about“, sagt Feiice und lacht kurz auf. „Es ist nicht wichtig für die Leute da draußen, ob wir auf unserer Veranda Musik gemacht haben oder nicht, aber für mich und meine Brüder hat es eine große Bedeutung. Für uns ist Familie alles, unser Fundament, unsere Identität. Wir tragen das mit uns herum, wenn wir unsere Musik jetzt an so vielen anderen Orten spielen.“
Dass die anderen Orte zunächst Bürgersteige, country fairs und die besagten U-Bahnschächte waren, will Felice nicht als Aussteigertum oder romantische Landstreicherei verstehen. „Wir sind Söhne eines einfachen Zimmermanns- wir sind auf die Straße gegangen, weil wir als Musiker lernen wollten, aber auch, um ein bisschen Geld zu verdienen. In den Catskill Mountains ist das nichts Besonderes; viele Bluegrass und Folk-Bands fangen so an.“ Dass die die Bühnen jetzt größer werden und neulich in der Radio City Music Hall im Vorprogramm von Bright Eycs sogar öooo zusahen, schreckt ihn nicht. „Wir stellen uns immer eng zusammen, dann ist das wie zu Hause.“
Zweispuraufnahmen
Es wird hier und da berichtet, dass die Felice Brothers sowohl ihre (fast) nur bei Konzerten erhältliche Platte „The Adventures Of The Feiice Brothers Vol. I“ als auch ihr neues, selbstbetiteltes Album in irgendeinem Hühnerstall behelfsmäßig auf ein Zweispurtonband aufgenommen hätten – ein Unsinn, der einem beim Hören der sauber produzierten und an Overdubs nicht eben armen Platte gleich als solcher auffällt. Vielleicht hat der eine oder andere Bruder dieses Missverständnis billigend in Kauf genommen, der Mythenbildung wegen. Die Wahrheit, die Feiice gern erklärt, ist die: Der Hühnerstall liegt nicht an irgendeiner Landstraße, sondern hinter dem Haus der Brüder, und aufgenommen wurde während diverser Sessions im üblichen Mehrspurverfahren digital auf ProTools. Erst die fertige Platte wurde auf ein Tonband überspielt, der analogen Klangwärme wegen. Alles ganz normal. „Wir hatten wirklich sehr wenig Geld und mussten das Beste draus machen. Vielleicht reicht’s ja beim nächsten Mal für eine richtige Bandmaschine“, sagt Felice fast entschuldigend.
Folklore
James Felice mag das neue Album seiner Band, bemängelt aber, dass die Songs zu fragmentarisch nebeneinander stünden. „Ich hätte gern ein gemeinsames Thema und mehr Homogenität gehabt. Aber das ist schon okay, die Platte ist fertig, und jetzt geht’s weiter. Wir nehmen uns immer vor, die Dinge besser zu machen als vorher.“ Tatsächlich klingt das Vorgängeralbum, „Tonight At The Arizona“, homogener, doch das ist Klagen auf hohem Niveau, denn „The Felice Brothers“ besticht wiederum mit sehr gelungenen Liedern und traditioneller Americana, wegen der die Felice Brothers ja ständig mit Bob Dylan und The Band verglichen werden. Nicht zu Unrecht. „Es stimmt, dass unsere Musik der von Bob Dylan und The Band ähnlich ist, aber doch nicht insofern, als wir sie nachmachen würden. Wir folgen einfach derselben Tradition amerikanischer Folkmusik, deren prominentester Vertreter nun mal Dylan ist. Wir gehen zu derselben Quelle.“
An American Band
Was soll nun eigentlich dieser Rückwärtsbezug, die Beschwörung amerikanischer Wurzeln und der ewige Staffellauf der Volksmusik? Natürlich sind die Staubmäntel und Bürgerkriegsgeschichten der Felice Brothers eine Art Eskapismus, aber ein identitätsstiftender, bewahrender. Denn die Felice Brothers, versichert James, seien wohl keine politische Band, wohl aber eine amerikanische, und das mit Haut und Haaren. „Wir sind Amerikaner, das ist uns eingepflanzt und untrennbar mit unserer Identität verbunden. Alles, was ich sehe und denke, sehe ich von hier aus, von dieser Landschaft, von den Menschen hier. Bis vor kurzem bin ich ja noch nie außerhalb des Landes gewesen! Bist du nicht auch so? Stolz auf dein Land? Es geht dabei ja gar nicht um das tolle, mächtige Amerika, sondern genauso um die Armen und Gescheiterten, die wir beobachten und von denen wir lernen. Wenn für euch da drüben darin ein archaisches Amerika deutlich wird, bitte für uns ist es nicht archaisch, sondern der Ausdruck dessen, was wir sehen, fühlen und denken. Wir bemühen uns ja nicht, irgendwie gestrig zu sein!“
Naja, ein bisschen schon. Schließlich thematisieren die Felice Brothers nicht das Jobsterben in Chicago und den Krieg im Irak, sondern erzählen Geschichten ihrer Großväter aus der Großen Depression, von Männern mit Revolvern und der Gastfreundschaft der Armen. Und das ist gut so, denn es schwingt viel Identität und Integrität in der Musik der Felice Brothers mit. „Musik ist eine universelle Sprache“, fasst Felice zusammen, „deshalb haben wir in anderen Ländern kein Verständigungsproblem. Die Leute begreifen, worum es geht-um Herkunft, Mitgefühl und einen Platz, an den man gehört.“