Hey Chef, schäm dich!
Keiner spielt die Peinlichkeiten des Lebens so treffend wie Ricky Gervais - in England ist er so zum Popstar geworden
Es ist nicht der Tanz, es ist „der Tanz“. In der vorletzten Folge der TV-Serie „The Office“, die Ricky Gervais mit seinem Comedy-Partner Stephen Merchant für die BBC geschrieben hatte. Und in der Gervais selbst den Büroboss David Brent spielt, einen Abteilungsleiter im Papiervertrieb. In der besagten Folge ist Wohltätigkeits-Aktionstag – eben hat Brents Stockwerkrivale mit einer tollen Travolta-Imitation viel Applaus und Spenden gesammelt. Er könne auch tanzen, muffelt Brent da: eine Mischung aus „Flashdance“ und „MO Hammer-Shit“! Und auf allgemeines Drängen – eigentlich wollte er sich ja nur verbal wichtigmachen — beißt Brent sich auf die Unterlippe, verfällt in Zuckungen, schlackert zu imaginärer Musik wild mit den Armen, wirft die Beine in die Luft. Der Gipfel der Peinlichkeit. Plötzlich wird es sehr, sehr still im Korridor.
Ricky Gervais, 46, einer der erfolgreichsten, höchstprämierten und tatsächlich großartigsten britischen Komiker zur Zeit, weiß nicht mehr, wie oft er in den letzten fünf Jahren gefragt wurde, ob er „den Tanz“ nochmal machen könne. „Ich könnte nicht mal, wenn ich wollte“, hat er der Zeitschrift „Q“ geantwortet. „Ich habe keinerlei Erinnerung an die Szene. Ich bin einfach ausgetickt. Anders hätte ich es auch nicht geschafft, mich so zu erniedrigen.“
Es kommt ja öfter vor, dass der Erfolg einen Radiokomiker vor die Kamera treibt, auch wenn er weder gut noch lustig aussieht. Gervais, der 1998 zum ersten Mal in TV-Sketchen auf „Channel 4“ auftauchte, baut in seine Drehbücher oft Witze ein, die andere über seine plumpe Informatiker-Gestalt reißen, schmerzhafte Witze. In Gervais‘ letzter Serie „Extras“ – deren Finale Ende Dezember 2007 in Großbritannien eine Einschaltquote von 23 Prozent hatte – singt David Bowie persönlich ein Spottlied über ihn. Da trifft Andy Millman, ein glückloser Schauspieler, in einer Bar auf Bowie und klagt ihm sein Leid über die Branche. Statt ihm guten Rat zu geben, hebt Bowie zu singen an, improvisiert einen Song: „Little fat man who sold his soul…“ Wieder ersterben die Gespräche, alle hören zu. Peinlich.
Der von Ricky Gervais erfundene Simplizissimus-Typ ist freilich komplexer. Redliche Charaktere sind das im Grunde, die ihrer Kulturgut
grauen Umwelt mit dem festen Vorsatz begegnen, Spaß und Sinn zu verbreiten – allerdings nur, weil sie den Applaus dafür wollen. Wer die Lächerlichkeit übermotivierter Führungskräfte erlebt hat, wird niemals die „Office“-Szene vergessen, in der Gervais als Brent die Mitarbeiter, die sich in ihrer Büroschlaf-Apathie extrem wohlfühlen, mit dem Spontan-Vortrag von Songs seiner alten Classic-Rock-Band aufheitern will. Eines der Lieder – „Free Love On The Free Love Freeway“ — hat Gervais später mit Noel Gallagher zusammen aufgenommen. Bei Popstars ist der Komiker so beliebt, dass sich sogar Chris Martin zu einem Cameo in „Extras“ überreden ließ, obwohl Gervais ihn in einem gemeinsamen Interview aufs Übelste verspottet hatte.
„The Office“ – klar, das ist „Stromberg“ aus dem Pro-Sieben-Nachtprogramm. Das Original dazu, viel trockener und Ingmar-Bergman-esker. Ricky Gervais hat zwar auch amerikanische Preise wie Golden Globe und Emmy bekommen, doch sogar für die USA wurde „Office“ mit anderen Schauspielern und Skripts neu produziert- aus sonderbaren Gründen gilt seine Comedy als nicht exportfähig. In Deutschland gibt es die „Office“-DVDs – Gervais dreht nie mehr als zwei kurze Staffeln einer Serie, um nichts zu überspannen — immerhin mit Untertiteln, „Extras“ muss man sich importieren, und zwar unbedingt.
Über die wahre Person des Ricky Gervais wird gerätselt. Mitschauspieler berichten in den offiziellen Making-ofs, wie er sie beim Drehen durch bösartiges Grimassieren und körperliche Angriffe gezielt aus dem Konzept bringt. Sein irres, kreischendes Lachen in verpatzten Szenen passt nicht ganz zu dem krankhaften Ehrgeiz, den ihm Leute attestieren, die ihn bei abgeschalteter Kamera getroffen haben. Frühe Versuche als Eighties-Popstar und Manager der Gruppe Suede hatten nichts gebracht, heute wertet Gervais seine Erfolgsperson in Stand-up-Tourneen, Podcasts, Kinderbüchern, als „Simpsons“-Gastautor und gelegentlich in Kinofilmen aus. Der einzige Faux-pas passierte ihm im Juli 2007 ausgerechnet beim „Concert For Diana“, wo er eine Technikpanne spontan überbrücken sollte und ihm nichts Gescheites einfiel.
Da tanzte er dann doch noch mal den berühmten Tanz. Die Kritiker fanden es doof. Dabei war Ricky Gervais nie näher dran am echten David Brent als da.