Zwei Eigenbrötler
Andere wollen perfekte Welten erschaffen in ihren Songs, versuchen sich als Architekten großartiger Gebilde, bei denen jedes Detail durchdacht und genau an der Stelle platziert ist, wo es hingehört. Raz Ohara gibt sich hingegen mit Skizzen zufrieden. Impressionen zieht der Berliner Songwriter hyperrealistischen Szenarien vor. „Leute, die man gemeinhin als Songwriter bezeichnet, schreiben ja oft Lieder, an denen sie mitunter Jahre lang herumgefeilt haben“, sagt er, „Sowas liegt mir aber gar nicht. Ich schreibe bloß einfache Lieder, die Stimmungen einfangen, und denke mir ansonsten meistens nicht viel dabei.“
Gut, dass er jetzt einen gefunden hat, der seine Ideen zu Ende denkt: Der Belgier Oliver Doerell ist wie der Däne Ohara irgendwann in den Neunzigern nach Berlin gezogen und jetzt beim Duoprojekt Raz Ohrara & The Odd Orchestra dafür zuständig, aus Oharas Skizzen Lieder zu machen, die sich mit so viel Atmosphäre vollgesogen haben, dass es gleich für mehrere Welten reichen würde. „Happy Song“ zum Beispiel – wahrscheinlich eine der traurigsten Nummern, die je das Wort „Happy“ im Titel trugen. Doerell hat Oharas Songidee mit so viel wohlig warmen Soundeffekten und Streichern angereichert, dass man kaum glauben will, dass die Gitarre und der Gesang der fertigen Fassung noch von der Demoversion übrig sind, die Ohara Doerell zum Herumprobieren zukommen ließ. Wer aufpasst, hört sogar, wie Doerell mit dem Textblatt herumraschelt. „Wir haben häufig die Anfangsskizze von Raz als Endversion genommen“, erklärt Doerell. „weil wir oft festgestellt haben, dass der Gesang bei der Rohfassung viel stärker, viel intensiver war, als bei späteren Aufnahmen.“
Bis zu den intensiven elektroakustischen Songsensationen des Debüts von Raz Ohara & The Odd Orchestra war es ein langer Weg. Ohara, der eigentlich Patrick Rasmussen heißt, verliebte sich nach seinem Umzug nach Berlin zunächst in die Clubszene. 1999 erschien das elektronische Album „R&iltimc Voycur“. Nach dem Tod seines Vaters, eines Frachterkapitäns, der bei einem Sturm im Atlantik ums Leben kam. entdeckte Ohara die Gitarre wieder, begann einfache Songs zu schreiben und veröffentlichte schließlich 2001 das akustisch geprägte melancholische Meisterwerk „The Last Legend“. Obwohl „Reality“ sogar ein kleiner Hit wurde, hatte Ohara den Eindruck, nicht weiterzukommen: „Ich wollte immer alles allein hinkriegen“, sagt er, „undes hat ein bisschen gedauert, bis ich gemerkt habe, dass mir das gut tut, mit anderen Leuten zu arbeiten.“
Nachdem Ohara bereits mit dem Technoproduzenten Alexander Kowalskigearbeitet hatte, lief er schließlich zufällig in Kreuzberg dem experimentellen Elektronikmusiker Doerell (Dietaphone. Swod) über den Weg. Seit drei Jahren machen sie nun schon gemeinsame Sache. Davon, Raz Ohara & The Odd Orchestra als Band zu bezeichnen, sind die beiden jedoch weit entfernt. „Ich bin beim Arbeiten ein ziemlicher Eigenbrötler“, gesteht Doerell. „Deshalb gab es nie so etwas wie ein Bandfeeling, sondern nur so ein Lass-uns-auf-dem-Sofa-sitzen-und-Tec-trinken-Gefühl.“
Das heißt, man hat zwar munter Ideen ausgetauscht, aber eigentlich nie gemeinsam Musik gemacht. „Manche Bands müssen im Proberaum ejidlos diskutieren. Wir brauchen so was nicht“, so Ohara. „Ich habe Oliver einfach eine meiner Skizzen in die Hand gedrückt, und ihn das Ding dann zu einem Ende bringen lassen.“
Oharas elektronisch aufgeladenen Songs, in denen meistens ein akustisches Herz schlägt, überwältigen einen zwar schwermütig – die Jungs, von denen Ohara erzählt, sind vereinsamt, trauen sich nicht raus, können sich nicht auf andere einlassen doch das hält er eher für Zufall: „Ich hab mir da vorher eigentlich nie Gedanken darüber gemacht“, sagt Ohara. „Erst in den ganzen Interviews, die ich jetzt gebe, fällt mir auf, dass es bei mir immer wieder um Trennung, um Verlust geht, darum, das etwas endet und etwas neu anfängt.“