Ein kapitaler Künstler
Der Mittelsmann bestellt mich ins Hotel „Reichshof‘ gleich neben dem Hamburger Schauspielhaus, wo Peter Licht seine Bonsai-Deutschlandtour beginnt. „Am besten, du setzt dich ins Foyer. Peter Licht kommt dann runter.“— „Und wie erkenne ich ihn?“ Die Frage ist berechtigt, denn der Künstler ist ein Schemen. Er hat es bisher rigide untersagt, sein Konterfei ablichten zu lassen, und bis zum Erscheinen des dritten, gefeierten Albums „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ und dem Buch zur Platte, „Wir werden siegen“, hat er auch keine Konzerte oder Lesungen gegeben. Aber der Mittelsmann beruhigt mich. „Ihr könnte euch gar nicht verfehlen, ihr seid die Einzigen unter 60.“ Und da hat er recht.
Aus dem Aufzug kommt ein pueriler, schmalschultriger, mittelgroßer Mann mit blondem, nicht mehr ganz vollem Haupthaar und einer eckigen Hornbrille, nicht die Streber-, sondern die Pop-Intellektuellen-Ausführung. Sieht aus, als hätte er was dazubezahlt. Nein, in Köln geboren sei er nicht, räumt er auf Anfrage ein, mehr private Details will er nicht verraten. Während des einstündigen Gesprächs, in dem es dann ausschließlich ums literarische und musikalische Werk geht, verliert er diese Scheu nicht ganz. Er bricht seine Sätze bisweilen mittendrin ab mit einem schulterzuckenden „ja“, als müsse er sich ermahnen, nicht zu viel preis zu geben.
Wir reden über seinen spektakulären Auftritt beim diesjährigen Bachmann-Preislesen in Klagenfurt, wo er mit seiner komischen, sprachspielerischen Alltags-Apokalypse „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ gleich zwei Preise kassierte und dem live sendenden Fernsehen immerhin erlaubte, seinen genialisch-feurigen Hinterkopf zu filmen. Peter Lichts Beitrag ist ein die Klagenfurter Vortragsbedingungen klug kalkulierender, pointenreicher Hörtext, der auf dem Papier längst nicht so viel hermacht, aber fünf der sieben Juroren jubeln ließ – und die anderen beiden wollten offenbar keine Spielverderber sein. „Doch, doch, das war schon gut“, sagt er. „Ich hätte eher damit gerechnet, dass
es einen auf die Krawatte gibt. Und ich war auch überrascht, wie viel gelacht wurde.“
Juror Klaus Nüchtern sprach gleich von „Jazz im Helge Schneiderschen Sinne“, den man hier zu hören bekommen habe, aber das kann falscher gar nicht sein. Während Schneider die Komik von ihren weltlichen Pflichten erlöst und zum Selbstzweck macht, stellt Peter Licht sie ja weiterhin in den Dienst der guten antikapitalistischen Sache. Wenn auch in seinen Songs noch konkreter und eindeutiger als in seinen surrealen, grotesken und eher an Eugner Egner, Bons Vian oder Richard Brautigan erinnernden Prosaskizzen.
Entsprechend hat man die „Lieder vom Ende des Kapitalismus“, diese leicht händige Melange aus Elektropop, Schlager und Liedermacher-Folk, mit gutem Recht in die Diskurspop-Tradition von Blumfeld und Fehlfarben eingereiht. Peter Licht spielt ja auch mit Agit-Prop-Slogans, bricht ihre glatte Funktionalität und Vereinnahmbarkeit dann auch gleich wieder. Aber von Ironie will er nichts wissen. „Das ist eher der Versuch, mal ganz stumpf zu sagen, was hier eigentlich abgeht. Das ist ein holzschnittartiger Zugriff auf die Dinge, und der kann meinetwegen ironische Wirkung haben. Aber damit wird nichts zurückgenommen. Da steckt mein Herzblut drin.“
Und trotzdem muss man lachen, changiert die Botschaft ständig zwischen Ernst und Unernst. „Aber so empfinde ich das Leben. Davon handelt im Grunde auch der Klagenfurt-Text. Es ist für mich enorm schwer zu beschreiben: Was fühle ich hier eigentlich – oder was ist die Wahrheit? Ich finde es unmöglich, eine Aussage zu treffen wie ‚Der Kapitalismus ist scheiße‘. Der Kapitalismus nährt mich ja auch, und er macht mich zugleich ganz fertig.“
Nährt er ihn wenigstens gut? Oder ist seine kreative Diversifikation in Richtung Theater und Literatur auch der Tatsache geschuldet, dass er, wie das bedürftige Ich in seiner Klagenfurt-Geschichte, „im Minusgeld geschwommen“ ist?
„Die Situation ist doch jedem klar. Und wenn man dann noch wie ich eine ziemlich brennaffine Zielgruppe hat… Das ist ein ziemliches Gewurschtel. Aber auch grundsätzlich, dass Musik auf einmal so ein frei flottierendes Allgemeingut ist, das kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Ich finde es gut, wenn man eine Sache macht, und dafür wird man bezahlt, und man wird nur genau für diese Sache bezahlt. Das ist ein klares und faires Geben und Nehmen, und wenn sich das auflöst, finde ich das schwierig.“
Dann muss er los. Drei Stunden später steht Peter Licht auf der Bühne des ziemlich ausverkauften Schauspielhauses, liest eine Passage aus dem Klagenfurt-Manuskript, um dann mit seiner kleinen Begleitband den schwerelosen Pop-Preziosen vor allem seines letzten Albums Erdung zu verleihen. Peter Licht tanzt dazu, dann liest er wieder ein Stück, verteilt Textblätter für den Mitsingteil und setzt sich an die Sitar. Und man fragt sich die ganze Zeit, wohin eigentlich seine Scheu vor der Öffentlichkeit diffundiert ist. „Es gibt einen geraden Weg!“