Essenz des Heute
Mit der S3 kommt man weit in Hamburg: Für 2,60 Euro geht die gut einstündige Fahrt von Neugraben im Südwesten zum Hauptbahnhof, dann weiter durch St. Pauli und Altona bis in die Außenbezirke. Ziel- und Endbahnhof: Pinneberg, schon in Schleswig-Holstein. Normalerweise fährt Hamburg nicht hier hinaus, auch wenn Tim Mälzer immer mal Werbung für seine Heimatstadt macht.
Doch heute, an einem Sonntag im August, ist die Bahn erstaunlich voll, weil die Hives in der Kreisstadt spielen. T-Mobile lädt auf der hiesigen Wasserski-Anlage zu den „Extreme Playgrounds“, einem Trendsport-Event. Die Sportler sind offenbar prominent und fahren Ski auf dem Wasser sowie BMX in der Halfpipe. Die Hives, die den musikalischen Teil des Tages nach Konzerten von den Ohrbooten und den Donots beschließen, passen gut hierher- nicht, weil sie Trendsportmusik machten, sondern weil sie allgemeingültig sind. Schon seit dem Debüt geht es den Schweden ja um eine Suche nach der Grundform – die holzschnittartigen Bewegungen, die bis zum Anschlag gedrehten Riffs, die strenge Energie, das alles ist eine Art Ikonografie des Garage Rock. Deshalb sind die Hives auch und vor allem für solche Menschen gut, die nur die Essenz und Zuspitzung der hier angebotenen Stilgriffe und Attitüden haben wollen.
Und das ist auch der Grund, warum Nike bei den Hives ein Werbelied bestellt und Timbaland um eine Kollaboration bittet —für ihr neues Album bot sich gar Pharrell Williams als Produzent an. „Er hatte vorher kaum mit Bands gearbeitet“, erinnert sich Sänger Pelle Almqvist, „bei jedem Riff und bei jeder Bassdrum geriet er völlig aus dem Häuschen.“
Mehr als zwei Songs sollten es trotzdem nicht sein, weil die Hives für ihr neues Werk, „The Black And White Album“, einen Plan geschmiedet hatten. Viele Produzenten sollten viele verschiedene Sounds machen und so die Platte am Ende wie ein Best-Of-Album klingen lassen – so als würde das Repertoire aus ganz verschiedenen Jahren stammen. „Wir haben mit ‚Tyrannosaurus Hives‘ ja eine Art Konzeptalbum gemacht – jeder Song und jeder Sound waren an einem genau festgelegten Platz. Diesmal wollten wir das Gegenteil: Wir wollten wie eine Band klingen, die im Lauf ihrer Karriere viel ausprobiert und sich in verschiedene Richtungen entwickelt hat.“
Neben Pharrell Williams haben die Hives unter anderem mit Jackknife Lee (U2, Green Day) und Dennis Herring (Modest Mouse) gearbeitet. Almqvist erzählt von Terminproblemen und einem insgesamt (zu) langen Prozess, der am Ende allen Beteiligten ein bisschen auf die Nerven gegangen sei. „Wir hätten ja von 1000 Rock’n’Roll-Produzenten jeden haben können, und wir hätten die Platte auch in zwei Wochen machen können, ohne dass sich jemand beschwert hätte“, sagt Almqvist, übrigens ein klarer Kopf, der die Dinge ausrechnet und die Zügel nicht aus der Hand gibt. „Aber wir hatten halt eine Vision, und die war gar nicht so leicht umzusetzen — du willst ja, dass es wie simpler Rock’n’Roll klingt, aber es ist schwer, etwas simpel klingen zu lassen, das 50 Jahre Geschichte mit sich herum trägt. Und es ist doch so: Bei jeder Produktion läuft irgendwann eine Krise ab. Wenn nicht, hast du dich nicht genug konzentriert.“ Zudem habe die Band nach der letzten Welttournee mit Erschöpfung zu tun gehabt, sagt Almqvist und deutet interne Probleme an, darunter mindestens ein Fall von psychischer Krankheit in der Familie sowie Alkoholprobleme. In der Band? „Vielleicht“, sagt Almqvist, versichert aber, das jetzt alles in Ordnung sei.
Den mit dem letzten Album vollzogenen Wechsel zum Major-Label wertet Almqvist übrigens als Glücksfall. „Beim Indie-Label nennen sie dich einen Kumpel, wenn du gut verkaufst, aber einen Vertragspartner, wenn es schlecht läuft. Das ist eine unglückliche Verquickung. Ich hab’s gern eindeutiger.“