Skandinavisch, aber cool
Für sein drittes Album war Anders Wendin alias Moneybrother in Los Angeles, ist dann aber doch nach Schweden zurückgekehrt. In Amerika fehlte dem gewieften Songschreiber das nötige kreative Chaos
Anders Wendin sitzt in einem Münchner Hinterhof in der Sonne und liest. Hütchen auf dem Kopf, barfuß in den abgetreten Schuhen, freundlich lächelnd. Er sieht aus wie einer, den keine einzige Sorge quält, aber schon seine Lektüre widerlegt diese erste Einschätzung. Das Taschenbuch „Montecore (Ein Tiger auf zwei Beinen)“ stammt von Jonas Hassen Khemiri, der in Wendins Heimat Schweden längst ein Bestseller-Autor ist. Wendin kennt ihn seit langem und dachte immer: Naja, der sieht sehr gut aus, aber wenn er sonst nichts kann… „Und dann das, shit! Aber ich habe meine erste Single veröffentlicht, bevor er mit seinem ersten Buch rauskam, also ist es schon okay.“ Wie sprach der Philosoph Morrissey? We hate it when our friends become successful. Wendin hat dazu keinen Grund, jetzt schon gar nicht mehr.
In seinem Leben als Songschreiber heißt er Moneybrother, und dessen drittes Album „Mount Pleasure“ erscheint am 24. August. Wenn bis dahin nicht alle Menschen, die Rockmusik mögen, komplett unzurechnungsfähig geworden sind, muss das der entscheidende Durchbruch auch außerhalb Skandinaviens werden. Wendin hat jedenfalls alles dafür getan: die schönsten, sehnsüchtigsten Melodien gefunden, ein paar unwiderstehlich Ohrwürmer dazu – und das, obwohl er nicht gerade der Fleißigste ist: „Ich schreibe vielleicht ein gutes Lied pro Monat, leider nicht mehr. Deshalb nehme ich auch nie Angebote an, für andere zu komponieren. Ich brauche alles für Moneybrother.“ Seit vor zwei Jahren „To Die Ahne“ herauskam, hat er noch ein Album gemacht, „Pengabrorsan“, auf dem er allerdings nur ein paar seiner Lieblingslieder ins Schwedische übersetzte. Freunde hatten ihn auf die Idee gebracht, und nebenbei konnte er so gleich verschiedene Sounds für das neue Werk ausprobieren.
Weil er so ein großer Fan von Jackson Browne und Randy Newman ist, dachte Wendin, er könnte diesmal in Los Angeles aufnehmen. Die Stadt fand er dann auch toll, die Studiobedingungen nicht so: „Im Roosevelt-Hotel aufwachen, im Sonnenschein zum Studio fahren – ich fühlte mich wie eine Million Dollar. Der erste Mensch, den ich trat, kaum dass ich die Studiotürgeöffnet hatte, war Joe Cocker. Kurz darauf sagte der Produzent: Du kannst doch noch besser singen! Du stehst genau dort, wo Robert Plant ,Stairway To Heaven‘ gesungen hat! Und ich dachte, ich hätte mein Lungenvolumen schon voll ausgereizt. „Das war alles cool, aber ich konnte nicht meine eigenen Musiker mitbringen. Dieser superprofessionelle Schlagzeuger trommelte dann besser, als ich je einen trommeln gehört habe. Der Gitarrist kam gerade von einer Tour mit Sting zurück, er war natürlich auch exzellent. Aber mir hat irgendwas gefehlt. Ich mag etwas Chaos. Die Moneybrother-Musik braucht das, zu traditionell soll es auch nicht werden.“ Nächstes Mal nimmt er vielleicht seine Kumpel mit nach L.A. – wenn gerade genug Geld übrig ist.
Wendin bezeichnet sich selbst gern als „old school“, und dazu gehört für ihn unbedingt, dass ein Album aus zehn Songs bestehen muss – „fünf plus fünf, wie früher auf den Platten“. 40 Minuten, maximal. Und „Mount Pleasure“ gibt ihm Recht, auch den Spannungsbogen hat er genau richtig ausgearbeitet. Das Album beginnt mit dem so albernen wie unwiderstehlichen „Guess Who’s Gonna Get Some Tonight“ und dem schwungvollen „Down At The R“, später kommen dann die traurigeren Liebeslieder, deren Titel wie „No, Damn! I Don’t Love You“ schon viel verraten. Ein bisschen Soul, ein Quentchen Pop, immer wieder Bruce-Springsteen-Verweise und schön viel 70er-Jahre-Rock – daraus macht Moneybrother sein ganz eigenes Wunderwerk: „Ein Album zu machen ist für mich, als würde man ein Mixtape für einen Freund machen, der sich gar nicht so sehr für Musik interessiert. Man will Van Morrison draufpacken, aber man fängt nicht mit,Ballerina 1 an, sondern vielleicht mit ,Brown Eyed Girl‘. Am Ende kann man dann ,Madame George‘ bringen, aber erst, wenn er schon begeistert ist von dieser Musik.“
Seine hübschen Geschichten vom Verlust der jugendlichen Euphorie und dem ewigen Festhalten an der Liebe klingen wie leicht hingeworfen, sind aber das Ergebnis harter Arbeit: „Die Musik ist pure Freude, die Texte sind ein Kampf. Ich werde immer panisch, wenn ich ins Studio muss, und ein Text ist noch nicht ganz fertig. Die Lyrics handeln ja immer von mir – oder von dem Menschen, der ich gern wäre. Und wenn man weiß, dass man diese Songs jetzt wahrscheinlich zwei Jahre lang singen wird – dann muss man schon was schreiben, was einem wirklich viel bedeutet.“ Er gibt zu, dass er eigentlich fast nur Liebeslieder schreibt, er kann nicht anders. Eins davon, „It Might As Well Be Now“, ist ein Duett mit der Norwegerin Ane Brun, die ihn das Fürchten lehrte: „Ich habe sechs Monate für den Song gebraucht, dann noch mal sechs Monate für den Text – und dann noch mal sechs Monate, um es richtig zu singen. Sie kam für 20 Minuten ms Studio, und es war perfekt.“ Worum Wendin sich allerdings nicht bemüht, ist, englisch oder amerikanisch zu klingen. „Es soll schon skandinavisch sein, aber cool. Und wie soll das gehen?“ Er lacht laut auf – wahrscheinlich, weil er weiß, dass er die Antwort längst gefunden hat. „Für mich ist der Gesang auf einem Album das Gleiche wie für David Beckham das WM-Finale. Man freut sich darauf, man hat Angst davor, und man will unbedingt die beste Leistung bringen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man nicht trifft, ist sehr groß. Und wenn man’s versaut, verfolgt einen das ewig.“ Darüber muss er sich vorerst allerdings keine Sorgen machen.