Stimmenfänger
Costello-Keyboarder Steve Nieve und seine Lebensgefährtin Muriel Teodori inszenieren ein Singspiel mit großer Besetzung
Das Werk, um das es hier gehen soll – es heißt „Welcome To The Voice“ -, ist ein von einem Rock’n’Roll-Pianisten und einer Psychoanalytikerin und feministischen Filmemacherin komponiertes Singspiel, das sich musikalisch wie inhaltlich mit der Dialektik von klassischer und populärer Musik, also dem Entertainment des Großbürgertums und der unteren Klassen – im hegelschen Sinne also von Herr und Knecht – beschäftigt.
Nanu? Sie sind ja immer noch da! Interessiert Sie das wirklich? Wollen sie tatsächlich weiter lesen? Auch, wenn ich Ihnen sage, dass die Hauptrolle vom streberhaften C.G.-Jung-Leser und Lauten-Aficionado Sting gesungen wird? Also gut.
Die Geschichte von und um „Welcome To The Voice“ ist auch längst nicht so zerebral und halbbildungsbürgerlich, wie es zunächst den Anschein hat. Alles begann mit einer Verführung. Steve Nieve, Keyboarder von Elvis Costellos Begleitbands The Attractions und The lmposters, lernte Mitte der Neunziger die Autorin und Filmemacherin Muriel Teodori kennen. „Ich wusste, dass sie eng mit Filmen und Theater verbunden war und wollte einen Grund haben, mit ihr zu arbeiten“, erklärt Nieve lächelnd. „Also habe ich ihr ein Tape mit meiner Musik geschickt und gesagt: Lass uns zusammen versuchen, daraus was zu machen.“
Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit können sich sehen lassen: eine Liebesbeziehung und ein Stück Musik, das diese unwahrscheinliche Begegnung der französischen Intellektuellen Teorodi mit dem englischen Ex-Punk Nieve in jeder Bewegung zu reflektieren scheint, ohne dabei reine Konzept-Kunst zu sein. Auch „Welcome To The Voice“ ist eine Annäherung zweier Welten: Der Stahlarbeiter Dionysos lernt durch Zufall die klassische Musik kennen und verfällt der Stimme einer Opern-Diva. Er macht sich auf, sie zu finden, doch sein bester Freund und seine Kollegen halten ihn zurück, wollen ihn davon abhalten, das Proletariat für die aussichtslose Liebe zu einer Vertreterin einer großbürgerlichen Kunstform zu verraten. „So many convictions ruined for a few notes.“ Die Geister der tragischen Opern-Heldinnen Carmen, Norma und Madame Butterfly führen ihm die Unmöglichkeit seines Verlangens vor Augen, ein Polizeichef versucht, ihn von der göttlichen Diva fernzuhalten. Doch am Ende singen die beiden glücklich vereint im Duett. „Klar, dass sie trotzdem niemals heiraten werden“, lacht „Ulysses“-Fan Teodori, die die Story schrieb und – wie jedes ihrer Werke – mit einem optimistischen ,Ja“ beendete. „Dafür sind sie einfach zu verschieden.
Aber vielleicht wird es irgendwann mal ein „Welcome To The Voice – The Return“ geben, und man wird sehen, ob sie Kinder haben oder – wie das sonst in Opern ja immer am Ende geschieht – sich gegenseitig umgebracht haben.“ Abgeschlossen ist die Geschichte von „Welcome To The Voice“ jedenfalls noch lange nicht. In den sieben Jahren seit der ersten öffentlichen Aufführung in der „Town Hall“ in New York und der nun vorliegenden Aufnahme für die Deutsche Grammophon hat sich die Geschichte um einige Stränge und Charaktere erweitert. Und auch jetzt schreiben Nieve und Teodori für eine offiziell noch nicht bestätigte Aufführung an neuen Parts für ihre Figuren. „Das Stück verändert sich ständig“, sagt Teodori, „so wie ein gutes Popkonzert von, sagen wir: Elvis Costello. Jede Show ist anders. Dieser Musik wohnt eine Melancholie inne, weil man weiß, dass sie flüchtig und nicht – wie ein klassisches Werk – in Stein gemeißelt ist.“
Elvis Costello ist der einzige Sänger auf dem Album „Welcome To The Voice“, der schon bei der Aufführung in der „Town Hall“ dabei war. Damals sang er die Rolle des Dionysos, jetzt übernimmt er den kleinen Part des Polizeichefs. „Wenn ich die Hauptrolle gesungen hätte, hätte es so ausgesehen, als wäre dieses Projekt nur einer Ausweitung der gemeinsamen Tourneen, die Steve und ich seit einigen Jahren als Duo zusammen machen“, erklärt Costello seinen Rollenwechsel. „Man hätte ‚Welcome To The Voice‘ meinem Katalog zugeordnet, aber es ist das Werk von Muriel und Steve. Außerdem macht Sting seine Sache als Dionysos sehr gut. Ich meine, wir hatten einige Schwierigkeiten über die Jahre, und ich habe mich bestimmt nicht immer positiv zu seiner Musik geäußert (flucht). Aber wir kommen gut miteinander zurecht.“
Immerhin saßen Costello und seine Attractions bei der Feier ihrer Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall of Farne 2003 mit den ebenfalls geehrten The Police an einem Tisch. „Da habe ich Sting ohne Hintergedanken von unserem Projekt erzählt“, berichtet Nieve, „und er war sofort interessiert.“
Es hat auch eine gewisse Komik, den Tantra-Jünger Sting als Figur zu besetzen, die den Namen des griechischen Gottes des Rausches und der Sexualität trägt. Die anderen Rollen sind ähnlich humorvoll besetzt: Costello, der neben seinen Popalben immer wieder Ausflüge in die klassische Musik unternimmt, gibt den Polizeichef, der die Vermischung von E- und U-Musik verhindern will, und der englische Sozialist Robert Wyatt spielt als bester Freund der Hauptfigur das klassenbewusste Gewissen.
Es sind aber vor allem die Stimmen, die Teodori und Nieve zu dieser Besetzung gebracht haben. Die markanten Organe von Sting und Costello, die Melancholie Wyatts, der Sopran von Barbara Bonney in der Rolle der Operndiva. So ist „Welcome To The Voice“ vor allem eine Liebeserklärung an die menschliche Stimme. „Ich komme aus der Psychoanalyse, das hat mich geprägt“, so Teodori, die in Paris bei Jacques Lacan das Unbewusste studierte. „Wir haben die Möglichkeit, unser Leiden mit unserer Stimme zu beenden. Das ist die Katharsis. Wenn wir von etwas ergriffen sind und es aussprechen, kann das sehr befreiend sein. Die Stimme kann uns erlösen von Schmerz, von Hass, von Dummheit…“ – „Du bist vor allem an den Worten interessiert“, wirft der Musiker Nieve ein, „aber die Stimme drückt auch jenseits der Worte eine Wahrheit aus. Man kann in der Stimme etwas hören, was vollkommen unabhängig ist von dem, was gesagt wird.“ – „Stimmt“, so Teodori, „auch wenn Robert Wyatt nur 1-2-3-4-5-6-7 singt, drückt er mit seiner Stimme ein Gefühl aus, das ich mit Worten nicht beschreiben könnte. Aber seine Emotion zusammen mit den Worten, die er hier singt, macht mich glücklich“ Ja.