Bitterer Spaß
Der Liedermacher Rainald Grebe kennt sich mit deutschen Befindlichkeiten ebenso gut aus wie mit eigenwilliger Poesie
Ein Mann mit nacktem Oberkörper sitzt am Klavier und trägt mit knurriger Miene ein Lied über Thüringen vor. Er hat sich Indianerschmuck auf den Kopf gesetzt und grantelt: „Thüringen, das grüne Herz Deutschlands/ Seit wann sind Herzen grün?“ Das Publikum ist dann schnell in Schenkelklopf-Stimmung, doch dabei bleibt es nicht. Beispielsweise dann, wenn der störrische Kindskopf einen wehmütig-misanthropischen Blick auf die Abgestellten und Außenseiter wirft, wenn er die traurigsten Schicksale und Situationen mit seiner bisweilen elegischen Stimme kekstrocken beschreibt. Das macht Grebe ziemlich oft – und nur selten, ohne die eine oder andere Sottise einzustreuen. Was der bisweilen verunsicherten Zuhörerschaft, die sich zwischen Lachen und Erschütterung entscheiden muss, dann doch wieder einen kleinen Ausweg bietet. Und im nächsten Song setzt es fix ein spöttisches Lied auf die „Stiftung Warentest“, die das Leben so einfach macht und alles in Kategorien von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ einteilt. Kann man persiflieren, musste wohl mal kommentiert werden, doch so ein Thema isst der Sänger vermutlich bereits zum Frühstück. Aber keine Frage: Rainald Grebe, Jahrgang 1971, ist unser zuverlässiger Mann für die Befindlichkeiten. Der die Zwischenräume behutsam ausleuchtet, durch Deutschland reist, sich dann gerne an unpopulären Orten aufhält, darüber grübelt und seine Gedanken in eine eigenwillige Poesie übersetzt. Ein spöttischer Conferencier und begnadeter Songschreiber, der textlich manchmal wie eine Mischung aus Ludwig Hirsch und Erwin Grosche wirkt. Der gebürtige Kölner, laut der offiziellen Biografie bereits seit 1989 als „Autor, Comedian und Liedersänger“ tätig, studierte zunächst an der berühmten Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin und diplomierte 1997 im Fach „Puppenspiel“. Es folgten erste Auftritte in Thomas Hermanns „Quatsch Comedy Club“ und 2000 ein festes Engagement am Jenaer Theaterhaus. Es habe, erzählte Grebe mal in einem Interview, zwar durch das Dach geregnet, aber Der Songschreiber als Indianerhäuptling und seine neue „Volksmusik“ (r.) „wir konnten machen, was wir wollten. Das Haus war immer voll.“ In diesem kreativen Umfeld konnten seine Ideen und Charaktere entsprechend reifen. „Die Comedy und die Lieder sind ja nur ein Teil meiner Arbeit“, sagt Grebe. „Ich habe zehn Jahre ausschließlich am Theater gearbeitet; als Schauspieler, Regisseur und Dramaturg. Ich kann mir vieles vorstellen, und manches davon mache ich auch: Alles ansaugen und die Form dazu finden.“
Auch deshalb enthalten Grebes Konzerte häufig Improvisationen und sehr spontan umgesetzte Weiterentwicklungen der Sujets, sein Mimenspiel ist dabei oftmals schon die halbe Miete. Und wie auch Funny van Dannen neigt er bisweilen dazu, sich während des Vortrags über die eigenen Pointen und Wendungen köstlich zu amüsieren. Bei den mittlerweile legendären Auftritten in der Comedy-Show „Nightwash“ brachte er den bemitleidenswerten Knacki Deuser damit ein ums andere Mal in arge Verlegenheit – nachzusehen bei YouTube.
Noch 2001 konnten Grebe-Anhänger seines Materials nur in Form einer selbstgebrannten CD habhaft werden, die direkt bei ihm bestellt werden musste. Solo am Piano war er zu hören, und diese nicht mehr erhältliche Platte gehört zum Besten, was Grebe bislang gemacht hat: Lieder über eine vermuffte Linke namens Dörte („Sie kam im Schneidersitz zur Welt“), die magersüchtige Pia, eigenwillige Menschenschläge („Wortkarger Wolfram“) oder das bittere Nachtlied „Es ist gut“.
Zwischenzeitlich veröffentlichte der Tausendsassa mit dem Hang zu unmodischen Schuhen noch den Roman „Global Fish“, an dem er fast zehn Jahre gearbeitet hatte. Seit 2005 hat Grebe zudem ausgebaut und mit Martin Brauer und Marcus Baumgart die „Kapelle der Versöhnung“ gegründet. „Ich habe lange nur allein am Klavier gesessen. Das hat schon Witz, mit 35 plötzlich mit Strom zu spielen und aus der Bänkelecke rauszukommen. Heavy Metal mit Geheimratsecken.“ Auch die neue Platte „Volksmusik“, die auf Grebes eigenem Label Versöhnungsrecords erscheint, geht mit auf das Konto seiner sympathischen Kapelle.
„Das Album spielt mit dem traditionellen Volkslied und den Liedermachern der 60er und 70er Jahre. Lieder zum Aufstehen, zum Wandern, zum Lieben, zum Beten, zum Essen, zum Blödeln.“ Die dann doch wieder überwiegend nach Art des Hauses ausgefallen sind. Und mit „Doreen aus Mecklenburg“ gibt es auch ein weiteres Kapitel in Grebes beliebter deutscher Länderkunde. Denn neben Thüringen verfasste er auch schon eine brillante Hymne auf Brandenburg. Textprobe: „In Brandenburg ist neulich wieder jemand voll in die Allee gegurkt/ Was soll man auch machen/ Mit 17,18 in Brandenburg.“ So viel bitterer Spaß kommt an: 2003 wurde Grebe mit dem Prix Pantheon ausgezeichnet, beim Kleinkunstfestival der Wühlmäuse in Berlin erhielt er sowohl den Jury- als auch den Publikumspreis. Erschafft es zudem, bei Stefan Raab mit Würde zu bestehen und gleichzeitig von der selbstverliebten Humor-Task-Force der Satirezeitschrift „Titanic“ durchgewunken zu werden.
Und so wird der in der Tat komische Vogel wohl noch lange in seinem ganz eigenen Nationaltheater machen, was immer er will. Einen zuverlässigen Berichterstatter wie den „Dada-Rilke“ Grebe können wir auch gut brauchen.