Die Schlechtgelaunten
Britische Gitarren-Bands wie The Young Knives, The Others, The View, The Holloways verbinden Realismus mit grimmigem Witz
Der spillerige Joe lebte mit seiner Famlie in Burton upon Trent, einer Arbeiterstadt an der englischen Südküste. Am Abendbrotstisch hörte er oft von einem Krieg, der das Land heimgesucht hatte. Vielleicht deshalb gab es so oft Kartoffeln, waren alle immer schlechter Laune. Joe träumte sich in die Welt der Comics; im Schul-Orchester wurde nur noch ein Trommler gebraucht, also lernte er das Paukenspiel. Dann durfte er das Konservatorium in London besuchen, und um Geld zu verdienen, fuhr er jahrelang mit einer Kapelle durch Britannien, um alte Schlager nachzuspielen. Die besoffenen Leute in den Pubs und Diskotheken wollten seinen eigenen Kram partout nicht hören. Als Joe Jackson dann eine Platte aufnehmen durfte, schrieb er Songs mit Titeln wie „Throw It Away“ und „Is She Really Going Out With Him?“. Man hörte Punk – und Joe hatte verstanden. In einem Interview sagte er den schönen Satz: „Scheiß-Bäume und so, ich hasse sie.“ Später schrieb er zwar Orchestermusik und eine Symphonie und lebte in New York, aber Burton upon Trent hatte ihn nie verlassen.
Auch Loughborough muss so ein Ort sein, der einen ewig verfolgt. The Young Knives, ein Trio aus Oxfordshire, besingen den „Loughborough Suicide“ auf ihrem Album „Voices Of Animals And Men“, einem Amalgam aus Gang Of Four, den Talking Heads und dem spröden Sprechgesang von Mark E. Smith, produziert übrigens von Andy Gill (einem von der Gang Of Four). Auf dem Cover ist der „Straw Bear“ abgebildet, der beim „Straw Bear Festival“ in Whittlesey, Cambridgeshire, durch die Straßen paradiert wird. Am Sonntag wird der Bär dann verbrannt. Auch in Walldurn in der Nähe von Frankfurt gibt es angeblich ein Strohbär-Fest. Eine Fotogalerie nebst Glossar im Booklet zeigt auch den „Morris Dancer“, einen „Cumberland and Westmoreland Wrestler“, einen „Beekeeper“ sowie einen „Longbow Archer“. Und wenn einen auch leise das Gefühl beschleicht, all das lustige Brauchtum könnte komplett erfunden sein, so wäre es doch in einem höheren Sinne wahr – als Tradition der Provinz und Tröstung in unbarmherziger Zeit.
So wahr wie der basslastige, verzweifelte, manchmal von Reggae-Infusionen durchschossene Gitarren-Krach von The Others. „They are looking for a product, we don’t fit in that mould“, singen die Männer, und Songs wie „Desolate“ und „Why Should I Try?“ sind Fanale im Britannien der ausgehenden Blair-Regentschaft. The Others heißen so, weil der Bassist Johnny Others heißt. Die nicht mehr ganz jungen Männer blicken in die Kamera wie Typen, die vom Leben geprügelt wurden. „Got No Money“ heißt eines ihrer kunstlosen Stücke, die den Drive eines Dramas von John Osborne haben. Im Schlusslied „Probate“ lärmt das Quartett fast neun Minuten vor sich hin. Sie werden anderes, auch Böses lesen über „Inward Parts“ (ein Herzmuskel ist übrigens auf dem Cover abgebildet) – aber anrührenderen Primitivismus werden Sie kaum finden.
Großbritannien ist seit vier Jahren im Krieg, doch anders als bei Falkland reicht es heute nicht einmal zum Protest. Die britischen Musikzeitschriften widmen sich „Sgt. Pepper“ (40 Jahre), „O.K. Computer“ (10 Jahre) und den schönsten Songs der Smiths. Der Brit-Award geht im Jahr 2007 an Take That. Die Arctic Monkeys brachten für kurze Zeit noch einmal Schwung in die malade Beste-Band-der-Welt-Postille „New Musical Express“, die ihren pubertierenden Lesern schon amerikanische Furz-Rock-Bands wie Limp Bizkit und 3 Doors Down empfehlen musste.
Nun formiert sich eine neue, fatalistische Übellaunigkeit in Großbritannien, ein Kitchensink-Realismus wie einst im Nachkriegs-Kino. The Holloways fragen „So This is Great Britain?“ und sammeln ein, was von lan Dury, The Jam und Madness übrig geblieben ist – mit den alten Madness-Produzenten Clive Langer und Alan Winstanley. „In a land of hope and glory, do we really rule the waves? The truth is a different story, we’re all just a bunch of slaves.“
Und in „Happiness And Penniless“ heißt es: „He’s never had so much tun/ All of his money is gone.“ In „Fuck Ups“ ärgern sich die Holloways über die rituellen Lamentos der Verlierer in den Pubs: „If your life is going wrong/ You better sing along.“
Die erfolgreichste junge Band ist The View, deren Debüt „Hats Off To The Buskers“ angesichts des Gesamt-Britpop-Programms den ersten Platz der britischen Charts erreichte. In hedonistischen Liedern wie „Same Jeans“ blödeln die Burschen: „Everybody’s dressing up, I’m dressing down.“ Aber auch hier erklingen mit „Wasteland“ defätistische Töne, wie sie Bloc Party auf „A Weekend In The City“ verbreiten, einem Album, das nicht weniger als den Bankrott des zeitgenösssischen Stadtlebens diagnostiziert. Neo-Realisten wie The Streets und Jamie T. berichten von Existenzen zwischen Alkoholismus und Drogen, enthemmtem Party-Treiben und Depression.
Die knuffigste Nachwuchs-Truppe ist Little Man Tate. Das Cover zeigt die Jungs in einem Plattenladen, der natürlich Vinyl verkauft. Auf „About What Ton Know“ geht es um Mädchen, Weiber, Girls: In „Down On Mary“ etwa muss der Erzähler gegen eine lesbische Konkurrentin antreten, weil die Begehrte plötzlich bisexuell geworden ist.
Natürlich sind all diese desillusionierten Twentysomethings keine politischen Denker und keine Punks; sie sind zu träge, um sich zu Protestliedern aufzuschwingen. Vor zehn Jahren feierte man „Cool Britannia“ und Tony Blair als Wundermann, der die bleiernen Jahre beendet hatte. Berichte aus Britannien waren trotzdem immer mit „Der englische Patient“ überschrieben. Jetzt gibt es Arbeit, sogar die Queen gilt als cool, die Nachbarn sind Muslime, und Bryan Ferry jammert über die autofreie Zone in London.
Es scheint so. als braute sich etwas zusammen.