Licht der Vorstadt
Der 20-jährige Lad Jamie T kreiert vor den Toren Londons in Wimbledon einen fantastischen neuen suburbanen Sound
Das neue brutzelndheiße Ding wurde in einem schlecht belüfteten Vorstadt-Jugendzimmer ausgebrütet. Zwischen Pubs, Pints und Panikattacken hat der 20-jährige Jamie Treays alias Jamie T den Sound Of Wimbledon erfunden. Einen auf liebenswerte Weise sprachlos machenden Bastard, der laut plärrt: „Bang, bang, anglo saxons at the disco!“ und wie nebenbei jeden englischen Musikstil der letzten 40 Jahre ausschlachtet. Beim ersten Hören erinnert das an den ultimativen Mix aus The Streets und Squeeze. Wegen Jamies breiten Cockney-Dialekts und des kecken Pop-Appeal.
Doch da ist auch noch die alkohol- und nikotingeschwängerte Folk-Komponente: „Als ich 15 war, begann ich in Pubs aufzutreten“, sagt Jamie T und grinst, weil er eigentlich meistens grinst, wenn er nicht gerade redet oder rülpst. „In dieser Bar in Putney, gerade um die Ecke, gab es einmal die Woche eine Acoustic-Night. Vier Monate lang bin ich regelmäßig dort hinmarschiert, bis ich endlich den Mut hatte, aufzustehen und etwas zu spielen.“
Bei Solo-Konzerten begleitet sich Jamie mit einer akustischen Bassgitarre. Weil er früher in einer Band Bass gespielt hat, und weil vier Saiten leichter zu bedienen sind als sechs. „Irgendwann gab mir ein Freund seinen akustischen Bass, und das klang ziemlich cool. Wie eine Mischung aus Gitarre und Bass.“
Jamie T hat etwas sympathisch Provozierendes, so wie der junge Robert De Niro in „Mean Streets“. Ein dünner, hyperaktiver Kerl im verwaschenen“Goonies“-T-Shirt, engen Wrangler-Jeans und weißen Allerwelts-Turnschuhen.
Beim Konzert in Berlin gibt er einen großartigen Conferencier ab. Er witzelt zwischen den Songs, reicht die Whiskey-Flasche ins Publikum und fordert sie selbstbewusst zurück, als die Berliner zu gierig daran nuckeln. Die Songs des fantastischen Debütalbums „Panic Prevention“ spielt die vierköpfige Band anders als auf Platte: atemloser, punkiger, wie ein von Beck produziertes Update der Specials.
In London hat Jamie T seine eigene Club-Nacht namens „Panic Prevention“. Wie der Albumtitel bezieht sich der Name auf die Panikattacken, die ihn regelmäßig heimsuchen: „Ich kann das glücklicherweise halbwegs gut kontrollieren – wenn ich darauf aufpasse. Deswegen nehme ich auch keine Drogen“, behauptet der Arbeitersohn ziemlich vollmundig. Doch einen zweifelnden Blick später murmelt er: „Bis auf Alkohol natürlich.“ Und wieder gehen seine Mundwinkel steil nach oben.
Jamie ist ein Bilderbuch-Lad und Vorstadt-Casanova, der es sich sogar leisten kann, ein Duett mit der angesagten Lily Allen erst mal nicht zu veröffentlichen. Seine Texte sind meist brüllend komisch, exzellent beobachtet und geradezu boshaft treffend: „Das sind lauter bits and pieces, die aus den verschiedensten Quellen stammen. Ich schreibe viel über meine Freunde – oder sagen wir: Wenn ich einen Song schreibe, denke ich an ganz bestimmte Leute (lacht boshaft). Ich schreibe aber auch gerne über Dinge, die tatsächlich passiert sind. Was immer mir gefällt, landet früher oder später in einem Song.“
Musikalisch funktioniert „Panic Prevention“ ähnlich wie die Alben der Vorbilder von The Clash: ein wildes, aber dabei überraschend harmonisches Patchwork der unterschiedlichsten Genres: „Das passiert einfach, wenn man sich für viele unterschiedliche Musikstile interessiert. Punk und Reggae sind ohnehin nicht weit voneinander entfernt. Durch die vielen ethnischen Einwanderer gibt es an einem multikulturellen Ort wie London immer wieder neue Musik von anderen Plätzen.“
Nur eins stört Jamie an dieser Stadt: „In London gibt es eine Menge angeberischer Arschlöcher. Wenn man dort zu einer tollen Band geht, kann es passieren, dass das Publikum ausschließlich aus echt schlimmen Vollidioten besteht. Blasierte Ärsche, die mit verschränkten Armen vor der Bühne stehen: ‚Impress me!‘ Der Hauptaspekt bei ‚Panic Prevention‘ war, so weit wie möglich davon wegzukommen.“ Das ist Jamie T so gut gelungen wie keinem Vorstadtjungen seit den Members.