Der Zauber der Verzweiflung
Weshalb die aufwendigen Box-Sets und Sonder-Editionen so ärgerlich - und so verführerisch sind
Man blickt durch das Glas in der kleinen, kreisrunden Öffnung ins Innere des Kartons, von außen dreht man an einem Rad und erblickt Jim Morrison oder Ray Manzarek, Robbie Krieger oder John Densmore. Diese verblüffende Optik ist die spektakulärste Neuerung an dem Box-Set „Perception“, in dem noch einmal – zum dritten Mal wohl – die Studio-Alben der Doors versammelt sind nebst einigen alternativen Takes der berühmten Songs und einigen DVD-Schnipseln, die man freilich auch auf separaten DVDs kaufen kann. „Perception“, edel nostalgisch ausgestattet mit Tür zum Werk der Doors, bedingt leider keine andere Wahrnehmung dieser Platten, dieser Songs, dieser Band, dieses Morrison. Auch in den beiliegenden Aufsätzen wird nichts vermeldet, was die Chronisten und Exegeten nicht bereits festgestellt hatten. Aber es ist 40 Jahre her, seit das Debüt-Album der Doors erschien, und Weihnachten steht vor den Türen, sozusagen.
Während die einen sich den Wonnen des körperlosen Download hingeben und keine Kapazitätsprobleme in ihrer Behausung kennen, schätzt der Connaisseur und Haptiker seit Jahren die noblen, voluminösen und kostbaren Sammel-Boxen, Preziosen mit Gesamtwerken, Sonder-Editionen, Deluxe Editions, Expanded Editions, Legacy Editions, Sammler-Stücken, inklusive SACD, DVD Audio, Videos und Konzerten auf DVD. Vielgestaltig sind die Erscheinungsformen – ein Marshall-Verstärker mit Oasis-Singles, eine Federtasche mit den Singles von Blur, ein Koffer mit Maxis der Smashing Pumpkins, die Schuber mit allen Singles von The Jam und Elvis Costello, die Blechbüchse mit den Hits von Abba. Es ist stets eine Freude, denn neben dem bloßen Hinstellen und Bewundern erfüllen solche Editionen vor allem den schönen Zweck, eine Abgeschlossenheit vorzutäuschen, obwohl man doch mit dem Werk von Gene Vincent oder Duane Eddy niemals fertig werden wird. Weil man die alten Singles damals nicht erlebt hat, weshalb man auch die Bedeutung des einzelnen Songs nicht erfassen kann wie ein Käufer dazumals. Und wenn man nicht die heruntergehörte LP mit den Eselsohren an der Plattenhülle besitzt, hat man wahrscheinlich auch „Blonde On Blonde“ nicht richtig begriffen – jedenfalls war man damals nicht dabei. Das Gesamtwerk des Hank Williams in einer repräsentativen Schachtel – das hat auch etwas von Völlerei und Anmaßung. Und vor lauter Songs hört man das einzelne Stück nicht mehr. Aber der Gedanke der Komplettheit, des Hermetischen, des der allgemeinen Kontingenz Entgegengesetzten hat einen unwiderstehlichen Zauber. Box-Sets sind in gar keiner Weise dem Pop verpflichtet, sondern dem Antiquarischen, dem Enzyklopädischen. Es gibt ja diese Käuze, die alte Uhren, Radios oder Wartburgs sammeln, die belächelt werden und doch in ihrem Universum glückselig sind. Freilich bleibt die Jagd, die Sehnsucht nach einem noch größeren Coup. Darüber sterben die Jäger dann, den Nachgeborenen nichts als mehr oder minder wertvollen Ramsch hinterlassend.
Das entscheidende Problem bei derlei Museums- und Ausstellungsstücken ist das eigentliche Hören, das Einlegen, das Auspacken. Booklets sind eingeklebt oder kunstvoll integriert, oft auch so umfänglich wie ein ganzes Buch, und die Fotos will man nicht beschmutzen oder zerknicken. Die antiquarische Box verhindert gerade die akribische Erforschung des Gegenstands, weil sie auf Ambiente und Überdauern angelegt ist.
Die „American Land Edition“ von Bruce Springsteens letzter Platte erschien nur wenige Monate nach Erscheinen der „Seeger Sessions“, jetzt mit ein paar Liedern und einigen Konzertmitschnitten auf der DVD mehr. Was der Fan hassen muss, das becirct den Sammler. Oft genug also: dieselbe verzückte, verzweifelte Person.