Mister Oberkrainer
Manchmal ist die Realität nicht mehr als ein Ort, dem es zu entfliehen gilt. In Emir Kusturicas Film „Arizona Dreaming“ zum Beispiel strandet Johnny Depp in einem staubigen Wüstenkaff. Langeweile und kleinliche Konflikte machen den Alltag öde und banal. Was bleibt, sind Träume und die Hoffung, sie eines Tages zu verwirklichen.
Bis vor einem Jahr lebte auch Zach Condon in der Wüste. Albuquerque ist zwar ein eher großes staubiges Nest, doch auch der heute 20-jährige Musiker flüchtete sich in eine fiktive Parallelwelt. Condon interessierte sich schon früh für die Filme des aus Sarajewo stammenden Regisseurs Kusturica . Dunkle, komplizierte Botschaften aus einer anderen Welt, und das alte Europa blies hier aus den blechernen Tuben und Trompeten des Orchesters von Goran Bregovic: dröhnende Hochzeitsmärsche, die nach betrunkenen Dorffesten klangen. Sehnsuchtsvolle Weisen, so sentimental wie ein heimwehkranker Rumäne in der Fremde an Heiligabend. „Ich bin mir sicher, dass sich jeder Jugendliche über seine Heimatstadt beschwert“, sagt Condon. „Doch wenn man eine Stadt als öde empfindet, fühlt man sich ziemlich isoliert. Das ist vermutlich der Grund, warum ich angefangen habe, diese Musik zu spielen.“
Sein phänomenales Debütalbum „GulagOrkestar“ hat er unter dem Namen Beirut weitgehend allein eingespielt. „Ich nehme gerne die ersten Takes einer Aufnahme, denn das sind meistens die besseren – obwohl es oft anders klingt als ursprünglich geplant“. Zach Condon, der seit einem Jahr in Brooklyn wohnt, ist ein echter Bedroom-Producer: Trompete, Ukulele, Piano, Orgel, Mandoline, Akkordeon und Percussion spielt er auf „Gulag Orkestar“ selber. Freunde wie der Schlagzeuger Jeremy Barnes oder die Violinistin Heather Trost haben ihre Parts erst nachträglich im Studio gespielt. Condon revanchierte sich übrigens und blies auf dem neuen Album von Barnes und Trosts eigener Band A Hawk And A Hacksaw die Trompete. Auch wenn er schon früh sein Herz für osteuropäische Folklore entdeckte, war der Auslöser für Condons Begeisterung eine Europareise, die er vor einigen Jahren zusammen mit seinem älteren Bruder unternahm. „In Paris habe ich Kids getroffen, deren Lieblingsalbum ,Moon Safari‘ von Air war. Gleichzeitig besaßen sie aber auch CDs des Boban Markovic Orkestar. Für sie war beides irgendwie Popmusik.“
Auch die Songs von Beirut sind eher ein globaler Mash-up als sogenannte Weltmusik. „Die Leute suchen nach etwas Neuem“, behauptet der bekennende Highschool-Dropout. „Viele sind es leid, immer nur Gitarre-Bass-Schlagzeug-Musik zu hören. Andererseits werden wohl nur wenige nach den Quellen meiner Musik suchen. Ich hoffe trotzdem, dass sie das bald tun.“
Condon hat jedenfalls weiter geforscht. Die Songs von „GulagOrkestar“ tragen Titel wie „Brandenburg“, „Rhineland (Heartland)“ oder „Prenzlauerberg“, doch es geht darin nicht um Glatzen oder rheinische Fröhlichkeit: Beirut besingt einen Traum von Europa, nicht die Realität. Alte Bilder waren prägender als aktuelle Reiseerinnerungen. Und die beiden Mädchen auf dem Cover sind weder Models noch Freundinnen: Condon hat das Foto in einer Leipziger Bibliothek entdeckt und kurzentschlossen aus dem Buch herausgerissen. Genauso funktioniert die Musik von Beirut. „Ich plane nicht, diesen Sound aufzugeben, aber genauso wenig habe ich vor, ewig das gleiche Album aufzunehmen. Mein Geschmack ist so eklektizistisch, dass ich es gar nicht aushalten würde, mich einem einzigen Stil zu verschreiben.“
Der Junge aus New Mexico gilt indes schon als mega hipper „Blogsphere Star“: „Die MP3S verbreiten die Musik weltweit. Das hat Vorteile: Als wir neulich nach Moskau flogen, hatte ich große Angst. Ich glaubte, die Kids würden typisch amerikanische Rockmusik erwarten. Doch als ich dann mit eiskalten Fingern auf der Bühne stand, in Moskau, am anderen Ende der Welt, da war alles ganz anders. Die Leute waren total begeistert, viele sangen sogar ,Postcards From Italy‘ aus voller Kehle mit. Davon hatte ich nicht einmal geträumt.“