Drei-Minuten-Stiefel
Die chaotischen Disco-Könige vom Berliner Jeans Team haben den Pop entdeckt - und präsentieren das unstete Prekariats-Leben als vogelfreie Wanderschaft
Wenn man im Berliner Wedding von der Prinzenallee aus durch zwei Hinterhöfe geht und dann im Nebengebäude eine Holztreppe hinaufsteigt, steht man im Boheme-Biotop. Überall Instrumente, Kabel, merkwürdige Requisiten, Computer, großformatige Bilder einer ebenfalls hier arbeitenden Künstlerin – und natürlich die namensgebende Neonreklame: Jeans Team. In der Küche sitzen Franz Schütte und Reimo Herfort, die Keimzelle der Band. Mit Henning Watkinson, dem Dritten, haben sie hier, im neu bezogenen „Nadel Eins Studio“, ihr drittes und bestes Album aufgenommen: „Kopf auf“. „Das Aussteigen und die Verweigerung gegenüber der Gesellschaft sind dann ein wichtiges Thema“, sagt Schütte. „Die Single ,Das Zelt‘ ist schon fast so etwas wie ein Volkslied, das von Vagabundentum, Ausbrechen, Anarchie und Freiheit handelt.“ Das ist allerdings untertrieben, denn der von Tobias Levin produzierte Song ist vor allem ein kleines Pop-Wunder, dessen musikalische Brillanz mit messerscharfen Bläsersätzen und einer Leichtigkeit daherkommt, die an Haircut 100 erinnert.
Schon von Anfang an, als sich Jeans Team noch beim legendären Club „galerie berlintokyo“ engagierten, spielten die Musiker mit verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von avanciertem Achtziger-Pop, experimentellem Techno und Weiße-Jungen-Funk. Der bisher größte Hit hieß zwar „Keine Melodien“, doch in der Praxis hielt man es eher mit dem Gegenteil. „Kopf auf“ sprudelt nun fast über vor Vielseitigkeit und Liedern zum Mitsingen: Da gibt es den heiter schrammelnden Folkrock des Titelsongs, den süffigen „Toiletten-House“ von „T.Y.T.T.S.“, die perfekte Kraftwerk-Parodie „Silizium“ und das grandiose Verweigerungsstück „Segel dein Schiff mit der provokanten Zeile: „Segel dein Schiff in einen sicheren Hafen/ Das Schönste, was du machen kannst im Leben, ist Schlafen.“ Für Schütte, das Nachttier, das am Interviewmorgen erst um sechs Uhr ins Bett kam, ist Schlafen eindeutig eine subversive Anti-Haltung: „Es ist das Gegenteil von Wachsein-Müssen, von Arbeiten-Müssen…“-….. und sich um Geld kümmern zu müssen“, ergänzt Herfort, der heute eine gewaltige Hornbrille (-12 Dioptrien) trägt. Franz ist mit -5 Dioptrien weitsichtig dagegen.
Als im langweiligen Bremen geborene Erz-Verweigerer glauben die beiden Jeans-Teamer natürlich mehr an Parties als an Parteien. Musikalischer Protest ist ihnen ein Gräuel: „Songwritertum mit erhobenem Zeigefinger, da waren wir schon immer dagegen“, tönt Schütte, der Dada liebt und vom Berlin der 20er Jahre schwärmt. „Es gibt zu viele Musiker, die einem ganz genau erzählen wollen, was los ist. Ich denke dann immer: Schreib doch ein Buch!“ Oberflächlichen Pop, „wo es nur um Sexgeschichten geht“, mögen die drei allerdings auch nicht. Ihnen geht es um verrätselte, subjektive Geschichten, wie in dem klaustrophobisch suizidalen Song „Wandern“.
Nach all den Jahren als Inbegriff der hippen Berliner Szeneband – Herfort ist bereits 1999 in Kanada mit Peaches zusammen aufgetreten – hat das Jeans Team nun ein Album gemacht, das sagt: Berlin ist nicht genug! Und „Kopf auf“ ist eine der hinreißendsten Pop-Platten des zurückliegenden Jahres – ihre Schlüsselzeile sollte am besten überall gesungen werden: „Kein Gott, kein Staat, keine Arbeit, kein Geld/ Mein Zuhause ist die Welt“