Die Chefin fliegt selbst
Wie sollte man diese Frau bloß dem Wachtmeister beschreiben? Wir wollen zwar kein allzu großes Thema daraus machen, aber jedes Mal, auf jedem Premierenparty-an-geblitzt-Foto, in jedem Film hat die Schauspielerin Franka Potente andere Haare. An den roten Koboldschnitt aus „Lola rennt“ erinnern sich alle, den konnte sie auf keinen Fall wieder tragen. In „Anatomie“ war die Frisur dunkelbraun und kurz, in „Blow“ (wo sie Johnny Depp küsste) war sie blond und halblang, in „Elementarteilchen“ (wo sie Christian Ulmen küsste) blond und ganz lang. Franka Potente begann „The Bourne Identity“ schulterlang, rotbraun mit hellen Strähnchen, wechselte dann nach ungefähr einer Stunde zu schwarz und burschenkurz – wie ihr Matt Dämon in einem Pariser Hotelzimmer, auf der Flucht vor der Polizei, die Haare stumm und zärtlich umfärbte und schnitt und sich daraus, in langsamer zentrischer Streckung, der erste Kuss des Pärchens ergab, das war sogar die schönste Szene überhaupt.
Bitte kein Missverständnis: Für eine Schauspielerin – und Franka Potente selbst wird einem nichts anderes erzählen, wenn man sie danach fragt – ist es schon vom Berufsbild her völlig normal, ständig anders auszusehen. Trotzdem kommt es erstaunlich selten vor, dass es jemandem im Film- und Bildergeschäft so egal zu sein scheint, ob er gleich wiedererkannt wird oder nicht.
Der Kontinuität von Franka Potentes Karriere hat die Sache mit den Haaren sicher nicht geschadet. Man glaubt ja kaum, dass ihre allererste Vorstellung in Hans-Christian Schmids wunderbarem „Nach fünf im Urwald“ erst zehn Jahre alt sein soll, so selbstverständlich gehört Potente heute, mit 32, zum Ensemble des deutschen Kinos, so selten hat sie seither die typischen Teenager- und Coming-of-Age-Rollen gespielt, die manche Leute ja noch mit 30 annehmen.
Die Standardwerke mit dem Regisseur und damaligem Boyfriend Tom Tykwer, „Lola rennt“ (1998) natürlich und „Der Krieger und die Kaiserin“ (2000), und der Massen-Hit „Anatomie“ (1998) von Stefan Ruzowitzky sind allerdings auch schon länger her. Ihre vielen Filmpreise hat sie alle noch in den Neunzigern gewonnen, mit dem Frische-Bonus, den eine Newcomerin hat. Die letzten großen Rollen spielte sie in weniger tollen Filmen, in der Klon-Schnulze „Blueprint“, im U-Bahn-Horror „Creep“. Und während Tykwer gerade ebenfür50 Millionen „Das Parfüm“ drehen durfte, hat man das komische Gefühl, dass Franka Potente acht Jahre nach „Lola“ eigentlich auch schon irgendwo anders sein müsste, irgendwo da oben. Als europäische Natalie Portman in Hollywood, als Muse eines Autorenfllmers oder als offizielle Hauptdarstellerin des deutschen Dramas. Nur so ein Gefühl, wie gesagt, aber: Ist da nicht doch was schiefgelaufen?
Den richtigen Einstieg ins Arthaus hat Franka Potente nun jedenfalls ganz allein geschafft: Ihr neuer Film „Der die Tollkirsche ausgräbt“, der bei der letzten Berlinale in der Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ lief und Ende des Monats startet, ist ein 43-minütiger Schwarzweiß-Stummfilm, eine abenteuerliche, hoch stilisierte Vision über die moralische Erschütterung am Ende der deutschen Kaiserzeit. Potente hat zum ersten Mal selbst ein Script geschrieben und an zwölf Drehtagen, finanziert durch die einst von Tykwer mitgegründete Produktionsfirma X Filme, ihr Regiedebüt geleistet. In ganzer Unerfahrenheit, gewissermaßen ihr Abschlussfilm, obwohl hier nichts abgeschlossen wurde. Mitgespielt hat sie nicht. „Was Regie angeht, habe ich bestimmt viel von Tom (Tykwer, d. Red.) gelernt, aber ich könnte jetzt nicht konkret sagen: Das und das hab ich mir von ihm abgeguckt“, sagt Franka Potente an einem dieser hektischen, heißen Tage, an dem ihr die Interviewer durchs Hotelzimmer getrieben werden und sie trotzdem extrem unverschwitzt dasitzt und über alles, was ihren Film betrifft, sehr gerne zu sprechen scheint. „Wir sind ja alle nur eine Summe aus Erfahrungen, die wir repetieren. Das war in diesem Fall sicher auch so. Aber man ist ja auch immer, wie soll ich sagen: das Ergebnis einer Reflexion dessen, was von einem verlangt wird. Also was mein Team gebraucht hat, was meine Schauspieler gebraucht haben. Das hab ich zu erfüllen versucht.“
Die Geschichte, angesetzt im Sommer 1918: Die junge Cecilie soll den reichen Alfred heiraten, weil ihr Vater durch Weltkriegs-Anleihen sein Geld verloren hat. Am Tag vor der Hochzeit passieren seltsame Dinge. Die Nachricht, dass der Kaiser ins Exil gegangen und die Monarchie vorbei ist, trifft ein. Und im Garten des Hauses gräbt der Hund eine Mumie aus, die sich als lebendiger, rückwärts durch die Zeit gereister Punk entpuppt. Was erst wie ein alberner Dampfhammer-Stilbruch wirkt, ist dann doch ein schicker Kunstgriff, mit dem die Regisseurin den Einbruch der politischen, kreativen und sexuellen Freiheit meint, der die 20er Jahre ausgezeichnet haben soll. Um den Punk als Geliebten zu gewinnen, vollführt die Tochter einen heidnischen Vollmondzauber, und an der Stelle driftet der kleine Film vom Männer-ohne-Nerven-Klamauk ins zutiefst Expressionistische.
Davon abgesehen, dass sie bei den Produzenten einen Stein im Brett hatte, könnte man glauben, Franka Potente hätte sich für die erste Regie eine absichtlich hohe Hürde gesetzt. Wochenlang studierte sie alte Stummfilm-Originale von Georges Melies und Chaplin, überzeugte wie eine Filmhochschülerin die befreundeten Schauspieler, ohne Gage zu arbeiten. Das Team hielt sich an alle Bedingungen des authentischen Schwarzweißfilms, nestelte am Set die richtigen Farbkombinationen zusammen, übte Choreographien ein, weil die Gesichter und Handflächen der Darsteller als Reflektoren für das wenige Licht gebraucht wurden. Franka Potente fand nicht mal mehr Zeit für die Zwischendurch-Zigarette. Am Ende war sie so gezeichnet vom Low-Budget-Filmen, dass sie sich bei den Edel-Dreharbeiten zu Oskar Roehlers „Elementarteilchen“ dabei erwischte, wie sie am Set Vorschläge zum Geldsparen machte. „Was einen als Schauspieler in Bezug auf den Regisseur am meisten nervt, das ist, wenn man das Gefühl hat, es wird einem nicht richtig erklärt, warum man jetzt dies und jenes tun soll“, sagt Franka Potente, verrät natürlich keine Namen, schwingt sich in eine kleine Tirade. „Oder es wird über deinen Kopf hinweg irgendwas entschieden, und die Kommunikation stimmt nicht. Das sind immer die Sachen, die mich bei einem Dreh ärgern, weil so der Inhalt verloren geht und es keinen Spaß macht. Und natürlich wollte ich diese Fehler nicht machen. Ich weiß nicht, ob ich erfolgreich war in meinem Bestreben, den Schauspielern vollste Aufmerksamkeit zu geben und ihnen auch zuzuhören. Viele Regisseure können das ja gar nicht, was aber vielleicht auch an dem ganzen anderen Stress liegt. Ich hab mich wirklich bemüht.“
Plötzlich sieht Franka Potente einen Rest angedeuteter Scheinheiligkeit in dem, was sie eben so ehrlich erklärt hat, und sagt noch: „Ich musste mich ja bemühen, denn ich wollte auch ganz egoistisch meine Ergebnisse haben.“
Ach ja, die Haare. Circa kinnlang, helles Haselnussbraun. Ansonsten ist Frank Potente ganz in Schwarz da, Gesichtsfarbe beneidenswert gesund, vielleicht von den Dreharbeiten in den USA und in Australien, wo sie während des letzten deutschen Sommers die regionalen Kältemonate erlebte – sie habe 2006 einen sehr, sehr langen Winter gehabt, und sie lächelt leicht. Immerhin. Franka Potente kommt aus dem Münsterland, war in München und New York auf der Schauspielschule, lebt jetzt in Berlin, aber hat beim Sprechen nicht mal den leisesten Akzent, was einen beim Zuhören sehr beunruhigen kann. Wie überhaupt ihre ganze Ernsthaftigkeit.
Im Universitäts-Horror „Anatomie“ war sie damals die streberhafte, kopfgesteuertc und in TV-Kommissarinnen-Manier hölzerne Medizinstudentin, während Co-Darstellerin Anna Loos auf dem Seziertisch einen ausgelassenen Striptease tanzte, und obwohl das natürlich ebenso nur eine Rolle war wie die mauerblümchenhafte Bibliothekarin in „Elementarteilchen“, entspricht es genau dem, was die Leute so über Franka Potente denken. Die vernünftige junge Frau, gutherzig, für die „Bild“-Zeitung uninteressant, hübsch, aber als Sexsymbol nicht denkbar. Die aus offenbar bitterer Erfahrung weiß, wie sehr es die Schauspieler bei der Arbeit brauchen, dass man ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Man kann sich entfernt vorstellen, wie sehr sie sich über all die nicht genannten Regisseure geärgert hat. In einer Branche, in der alle immer nur sagen, wie wahnsinnig toll es sich anfühlt, zusammen zu arbeiten könne.
„Ich gehe gar nicht immer so viel weg in Berlin“, sagt sie. „Ich bin nicht so jemand, der das sucht, immer in die gleiche Kneipe zu gehen: Ach hallo, ja, wie immer… Diesen hohen Wiedererkennungswert von Orten und Menschen – das habe ich sowieso schon aufgrund meines Berufs, und deshalb finde ich das eher abturnend. Ich bin auch zur Not mal unhöflich, wenn mir jemand stundenlang was aufquatschen will oder sich in ein Gespräch drängelt. Ich mache das alles ja auch schon elf Jahre. Ich fühle mich nicht mehr verpflichtet, für die anderen eine Show zu reißen.“ Ob sie im Vergleich zu anderen Schauspielern zurückgezogen lebe? „Keine Ahnung“, sagt Franka Potente. „Ich kenne nicht so viele Schauspieler.“
Es war vor gut vier Jahren, als Beobachter kurz glauben konnten, in Potentes Karriere hätte sich die nächste Stufe gezündet. Nach den für US-Studios gedrehten Filmen „Blow“ und „The Bourne Identity“ sowie der privaten Trennung von Tykwer zog sie im Sommer 2002 ganz nach Hollywood. In der Presse klang das, als habe sie den Fußballverein gewechselt. Von der Mischung aus deutschem Stolz und Neid, die ihr zum Abschied hinterhergepfiffen hatte, wurde sie dann auch begrüßt, als sie ein Jahr später wieder heimkehrte und nach Berlin ging.
Der Eindruck, Franka Potente sei in Hollywood gescheitert, hat sich festgesetzt. Außer dem zweiten „Bourne“-Film mit Matt Damon war bei dem Abenteuer ja auch nicht viel Sichtbares herausgesprungen. Und dass die Sache von vornherein nur als Ausflug geplant war, weil Potente heute sowieso in der ganzen Welt dreht und genau so gut in den rumänischen Karpaten wohnen könnte, verstand keiner. Das Buch „Los Angeles-Berlin“, das 2005 herauskam, half dem Anliegen weniger. Im Briefwechsel mit Schauspielerfreund Max Urlacher – der jetzt im „Tollkirsche“-Film den reichen Bräutigam spielt – kam Franka Potente als typische Lehrerstochter aus Europa rüber, der Amerika viel zu amerikanisch ist. Die gerne über den Golfkrieg diskutieren will und keine Leute findet, die dagegen sind. Aber so war es wohl.
2008 soll Steven Soderberghs Che-Film „Guerrilla“ kommen, in dem Franka Potente die Guevara-Gefährtin Tamara Bunke spielt – vielleicht dauert trotz des legendären „Lola“-Sprintstarts einfach alles noch länger. Man würde Potente auch nicht unterstellen, dass sie jetzt den Tollkirschen-Film gemacht hätte, um erwachsen und kunstsinnig zu wirken. Da geht es mehr um das Gefühl, als Schauspielerin nicht auf Dauer von der Willkür der Regisseure abhängig sein zu wollen. Und: Von Komödien hatte sie sich seit dem Debakel „Die drei Mädels von der Tankstelle“ von 1997 eigentlich fern gehalten.
„Ich glaube, dass ich durchaus sehr amüsant sein kann!“ sagt sie energisch. „Aber gute Komödien liegen nicht herum, und man kriegt die auch als Frau nicht unbedingt angeboten. Oder wann hast du denn die letzte gute Komödie aus Deutschland gesehen? Vielleicht .Kleine Haie‘ oder so. Bei meinem Film ist das etwas anderes. Ein Stummfilm hat eine ähnliche Qualität wie ein Cartoon. Du bist als Zuschauer viel eher bereit, es für möglich zu halten, dass da etwas Absurdes, Ulkiges passiert. Wenn ich darüber nachdenke, etwas zu schreiben, dann geht das immer eher in solche Richtungen. Ein Stoff, der vielleicht eine Verankerung in der Geschichte hat, der aber eher abstrakt und surreal ist, weil es da am wenigsten Einschränkungen gibt. Aber eine gute Komödie zu schreiben, die in der Realität angesiedelt ist oder in die Screwball-Richtung geht, so narrativ-realistisch, das ist unheimlich schwierig.“
Bill Murrays letzte Filme haben ihr gut gefallen, „Lost In Translation“ und „Broken Flowers“, „das sind ja eigentlich Mood-Filme, in denen der verlorene Mensch fast malerisch gezeigt wird und 90 Minuten lang an der Darstellung eines Gefühls gearbeitet wird. Da scheint es eine Sehnsucht danach zu geben“. Und so will Franka Potente ihr nächstes Drehbuch, langsam, aber beharrlich und speziell für den Kollegen Justus von Dohnanyi schreiben, der in der „Tollkirsche“ den Vater spielt. „Komischerweise landet der sonst immer in so Nazi-Rollen, aber das ist für mich der deutsche Jim Carrey. Ich würde das gerne viel öfter von ihm sehen. Und deshalb versuche ich, ihm wieder etwas zu schreiben.“
Da klingt Franka Potente plötzlich wie eine echte Autorenfilmerin. Wie eine, die sich kümmern will, weil sie jetzt weiß, wie viel Gleichgültigkeit da draußen herumschlurft. Es wird ihre brave, bald auch farbige Rache sein.