Zwei Abenteurer
Der Admiralspalast ist eine große Baustelle. Mitten in Berlin, an der Friedrichstraße, steht er, von Gerüsten komplett eingerahmt, und drinnen sieht es kaum besser aus. Im großen Saal hängen Kabel aus allen Wänden, viele Stuhlreihen fehlen noch, die Bühne befindet sich im Rohzustand. Und doch kann man schon ahnen, wie prachtvoll das werden wird, wenn es fertig ist. Was in gerade mal vier Wochen sein soll. Am 11.August findet hier die Premiere von Klaus Maria Brandauers Inszenierung der „Dreigroschenoper“ statt, in der Campino den Mackie Messer spielt. Beide wirken erstaunlich gelassen, als sie zum Interview erscheinen, und man merkt sofort: Die verstehen sich. Sie haben nicht nur beide am 22. Juni Geburstag (Brandauer 1943, Campino 1962) und eine schöne Tendenz zum Spott, sie sind vor allem beide bereit, für die Arbeit an ihre Grenzen zu gehen. Den Regisseur jedenfalls schrecken diese knappen vier Wochen nicht: „Das ist nicht viel Zeit, aber sie könnte reichen… Dieses geschichtsträchtige Haus wird schon seit Monaten saniert und hätte im März bereits fertig sein sollen. Es schaut nicht so günstig aus im Moment, aber wir haben alle einen Pfadfindergeist, und Abenteurer sind wir sowieso. Ich bin unglaublich erfreut wegen der Menschen, die da versammelt sind.“
Zehn bis zwölf Stunden täglich arbeitet das Ensemble momentan, und wer jetzt denkt, das ist für einen verwöhnten Rocksänger wie Campino bestimmt manchmal zu viel, der irrt sich gewaltig. Wenn er etwas macht, dann richtig. Er hat sich in diesem Jahr fünf verschiedene Aufführungen der „Dreigroschenoper“angesehen, die Schauspieler genau beobachtet, das neue Terrain für sich entdeckt. Und mittlerweile fühlt sich der Debütant wohl am Theater was natürlich viel mit dem Regisseur zu tun hat: „Die Ängste, die sich normalerweise aufbauen würden, werden mir hier täglich in Einzeltherapiestunden genommen. Wir stellen die Freude in den Vordergrund, das gemeinsame Erlebnis. Ich habe die beste Hilfe, die ich mir vorstellen kann. Das ist im Grunde so, wie wenn ein Kind in den Keller gehen soll. Da ist es dunkel, aber Papa nimmt dich an die Hand…“ Brandauer unterbricht ihn lachend: „Papa steht schon unten!“
Offensichtlich hat Papa einen sehr gut funktionierenden Instinkt, denn mutig ist das ja schon: einen Typen für eine Hauptrolle zu verpflichten, der noch nie Theater gespielt hat.
Doch das sieht Brandauer ganz anders: „Das mit dem Schauspielern sollten wir auflösen. Es geht um Persönlichkeitswerte, die ein Mensch hat. Es ist kein Unterschied feststellbar. Wenn Sie nicht wüssten, dass Campino der Frontman der Toten Hosen ist, würden sie den Unterschied zu den anderen nicht erkennen.“ Was aber doch ein gewisses Talent des Debütanten voraussetzt. Brandauer lächelt schelmisch: „Sehen Sie, ich habe mich – so gescheit bin ich – von vornherein für einen Glücksfall entschieden.“
Der Glücksfall ist wiederum froh, dass er bei dieser Aufführung – die sich an der Urfassung der „Dreigroschenoper“ von 1928 orientiert – den klassischen Mackie Messer geben darf, keinen verwässerten. „Es wäre mir sehr unangenehm gewesen, wenn Herr Brandauer mich in eine Lederjacke gesteckt hätte und versucht hätte, da eine moderne Sache draus zu machen. Ich finde es toll, dass ich mich in diesem klassischen Feld bewegen darf. Und es ist eine große Freude, diese Weill-Kompositionen intensiv zu hören, weil sie einerseits Gassenhauer-Mentalität besitzen, aber bei genauerem Hinhören sehr fein verschachtelt sind.“ Nicht gerade die Ramones-Schule also, aber für den Sänger nicht allzu schwer zu adaptieren.
Zudem entdeckte Campino viele Parallelen zwischen Bertolt Brechts Grundsätzen und seinen eigenen -und zwar schon vor mehr als 20 Jahren. 1983 kam sein Kollege Trini Trimpop mit der „Dreigroschenoper“ an und sagte, das sei Punkrock in Reinkultur und das müsse man unbedingt mal bearbeiten. Was die Hosen dann nicht machten, weil es ihnen damals eine Nummer zu groß war. „Trini war der Erste aus meinem Umfeld, der erkannt hat, dass Brechts Moral und Grundvorstellungen sich sehr mit unseren deckten. London Ende der 70er: das Klassenbewusstsein, die Schere zwischen Arm und Reich – und wer ist eigentlich verbrecherischer: Bürger oder Bandit? Diese Themen findet man doch auch auf jedem Clash-Album wieder.“ Und Campino als aggressiver Bandenchef, der mit seinem Charme alle Mädchen rumkriegt – das ist auch kein so großer Sprung. Die Rolle des Gegenspielers Mr. Peachum, der mit Bettlern sein Geschäft macht, hätte nun sicher auch Brandauer selbst spielen können aber er muss ja nicht überall dabei sein. Es ist nur so, dass man immer denkt: Schön wär’s. Wer den Namen Brandauer hört, denkt doch sofort: „Mephisto“. „Sag niemals nie“. Jenseits von Afrika“. Unvergessliche Rollen. Und dann? War erst einmal Pause in Sachen große Filme. Brandauer erklärt das so: „Es gab eine persönliche Wende in meinem Leben. Da habe ich lange Zeit gedacht, ich würde überhaupt nicht mehr in meinem Beruf arbeiten, und wollte ausschließlich Lehrer sein,am Max-Reinhardt-Seminarin Wien. Komischerweise kam ich über die Musik zurück. Ich habe einen jungen Pianisten getroffen, Lars Vogt, und einen jungen Dirigenten, Thomas Hengelbrock, die mich gelöchert haben, wieder etwas zu tun. Dann haben wir an einem Abend Thomas Mann gelesen, und so kam ich über zwei junge Flitzpiepen wieder dazu, die ersten Arbeiten am Theater zu machen. Und ich mache sehr gern wieder einen Film. Aber ich muss keinen machen. Ich musste das nie.“‚ Das ist keine Arroganz, es ist Hingabe an die eigentliche Berufung. Er war der Romeo am Münchner Staatstheater, der Hamlet am Wiener Burgtheater – schon früh war ihm klar, dass das immer seine bevorzugte Wirkungsstätte sein würde. „Es schaut so aus, als wären Theater und Film miteinander verwandt, so ist es aber gar nicht. Theater ist ein Ereignis. Die Leute sind alle zur gleichen Zeit anwesend.
Beim Film gibt es keine Kommunikation, das ist ein klinischer Fall, klinisch sauber. Am Drehort muss man schauen, dass man sich mit ein paar Bühnenarbeitern ein Publikum aufbaut – oder die Linse ist das Publikum. Aber beim Theater: vier Wände, drei davon sind stumm, die vierte atmet, das ist das Publikum. Das habe ich sehr gern.
Aber ich hätte es mir nicht verziehen – einem Menschen, der im 20. Jahrhundert geboren ist -, wenn ich die technischen Möglichkeiten, die Film, Radio, Schallplatte, Television boten, nicht genutzt hätte. Doch ich bin beruflich mit dem Theater verheiratet und mache Seitensprünge, ohne untreu zu werden. Das, was man sich auch im Privatleben immer erhofft.“ Ein Scherz, natürlich.
Und doch, der nächste Film ist nur eine Frage der Zeit: „Wenn der richtige Stoff da ist, wird es gemacht.“ Momentan arbeitet er an zwei Projekten, das eine muss bloß noch finanziert werden: Er will „Ein anarchistischer Bankier von Fernando Pessoa verfilmen. „Aber ich spiele auch wieder, Sie können sich darauf verlassen. Es gibt noch einen Preis, der in meiner Sammlung fehlt, den will ich noch haben.“ Welchen, verrät er freilich nicht.
Die Frage, ob ihm manchmal nicht alles zu viel wird – am 9. September hat schon seine „Lohengrin“-Inszenierung an der Kölner Oper Premiere, dazwischen gibt es drei Mozart-Abende, und bald ist er auch wieder „Nathan der Weise“ an der Burg -, versteht Brandauer gar nicht: „Was ist denn los? Heute um 16 Uhr treffe ich die Ophelia des Wiener Burgtheaters, die in meiner Hamlet-Inszenierung gespielt hat, es ist Birgit Minichmayr, sie spielt jetzt die Polly. Gottfried John ist ein alter Bekannter von mir. Katrin Sass wollte ich unbedingt dabeihaben. Ebenfalls beim Hamlet in Wien dabei war Maria Happel, sie wird die Jenny sein. Und zu Michael Kind sage ich ein herzliches Willkommen im Club als Tiger-Brown, Londons oberster Sheriff. Jenny Deimling ein neues, junges Berliner Gesicht gibt seine Tochter Lucy. Wir haben uns alle gesucht und gefunden, ich bin ja kein Besetzungsbüro. Das ist doch wirklich schön. Das sind alles wunderbare Möglichkeiten.“ Er lehnt sich nach vorn und sagt ganz eindringlich: „Bitte glauben Sie mir: Ich empfinde meine Arbeit nicht als Strapaze, das habe ich noch nie. In keiner Weise. Der Beruf ist kein Beruf, sondern ein Abfallprodukt meines Lebens. Diesen Satz habe ich schon vier Millionen mal gesagt, er kommt aber immer wieder nicht richtig an, weil er so negativ klingt. Ich meine das ganz positiv.“ Und Campino schickt hinterher: „Mein mutiger Rückschluss ist ja: Wenn alle anderen Figuren so gut besetzt sind, dann wird man sich über mich auch Gedanken gemacht haben.“ Brandauer lacht schallend.
Wenn also der Admiralspalast rechtzeitig fertig wird, dann kann nicht mehr viel schiefgehen. Der Regisseur freut sich jedenfalls auf die Premiere (aufgeführt wird bis zum 24. September,Infos unter www.diedreigroschenoper.de)
ohne sich zu viel Gedanken über die Rezeption zu machen. „Wir bestellen uns nichts. Aber natürlich möchte ich, dass die Bude voll ist. Wenn das Herzblut dabei ist und die Ganglien in Betrieb sind, müsste es nach Adam Riese und nach 80-jährigem Siegeszug der ,Dreigroschenoper‘ brummen. Da müsste es ja mit dem Teufel zugehen…“ Und der kommt in dem Stück nicht vor.