Rastloser Wanderer
Der Spoken-Word-Poet Bas Böttcher hat als einziger den Spagat zwischen Underground und bürgerlichem Feuilleton geschafft.
Ich wank an deiner Bungalowwand lang und sing nen Sting-Song/ Klingel ,dingdong‘ an deinem Eingang / Ich wag einen Alleingang und senke die Klinke / Es is zu. Zu dumm! Ich denke:Bingo!/Denn krumme Langfingerdinger drehn, war eh noch nie mein Ding/ Ich schwing wie King Kong aus’m Bungalowwindfang/ Gefang von deinem Look guck ich unter’n Vorhang. Ich schau voll Verlangen dein Teint und Tanga an…“
Man muss schon von hinten aufschlagen, aber so steht’s im „Neuen Conrady“, der maßgeblichen Lyrik-Anthologie deutscher Dicklippen, die vom dichtenden Schuster Hans Sachs bis Gernhard-Rühmkorf-Enzensberger alle Verskünstler aufführt, die an die folgenden Generationen weitergereicht werden sollen. Und man ist nicht wenigv erwundert, weil es diesem quasi in Erz gehauenen Kanon – wenn man da erstmal drin ist, kommt man nie wieder heraus! – wirklich einmal die notorische Hüftsteife austreibt.
Bas Böttcher ist drin und damit Literaturgeschichte. Wie fühlt man sich eigentlich so als kanonisierter Dichter? „Man wird natürlich größenwahnsinnig. Aber Größenwahn ist ja eine durchaus passende Eigenschaft für Poeten. Man muss ja selbst von seinen Fähigkeiten überzeugt sein, um dieses hohe unternehmerische Risiko einzugehen, ins Poet-Biz uu investieren. Mein Kontostand sagt mir, dass es zumindest kein Fehler war.“
Böttcher hat als Musiker angefangen, und das kann und will er auch nicht verleugnen. Der befreundete DJ Loris Neero daddelte, Mitte der 90er Jahre, auf dem heimischen Atari HipHop-Tracks zusammen und Böttcher rappte darüber – mit Verve und einer Sprachkraft, die immer schon das Gedicht anvisierte. Zentrifugal heißt ihr Projekt, das es immerhin zu einem Major-Deal und zwei Alben bringt, bis sich seine Sprache langsam, aber zielsicher emanzipiert von der Musik, weil sie allein musikalisch genug ist. Böttcher tummelt sich auf allen namhaften Spoken-Word-Festivals, begründet mit ein paar Kombattanten erst so etwas wie eine Szene hierzulande und gewinnt 1997 den ersten deutschen National Poetry Slam. „Er hat nicht nur den Rap in die deutsche Poesie gebracht“, rühmt ihn das Beat-Urgestein Lawrence Ferlinghetti, „sondern mit seinen CDs auch echte Poesie in die deutschsprachige HipHop-Welt.“
Schließlich wird sogar das Goethe-Institut aufmerksam und schickt die 26-jährige Rampensau als deutschen Kulturexport in die weite Welt hinaus. Böttcher tourt durch die USA, Kanada, England, Frankreich, Italien, die Schweiz, Brasilien, Georgien – und kommt gerade aus Paris zurück, von einem Auftritt im Garten des Maison d’Europe. „Schöne Atmosphäre mit gutgekleideten Gästen und strahlender Sonne. Im Vergleich zu Kreuzberg ein echtes Kontrastprogramm.“
Es scheint ihm also immer noch Spaß zu machen. „Natürlich wäre es praktischer, in Berlin zu bleiben und die Bücher, Tonträger und DVDs reisen zu lassen. Aber es geht mir ja nicht um das Praktischste, sondern um das Ereignisreichste. Das Leben als reisender Dichter ist besser als ein Lottogewinn. Es bringt einen Reichtum mit sich, der dir nie genommen werden kann. Geistiges Eigentum! Dazu Erlebnisse und neue Ideen für neue Texte. CDs, Bücher und Videos kann man kopieren – Live-Poeten dagegen sind noch nicht duplizierbar.“
Als einziger deutscher Spoken-Word-Artist hat Böttcher den Spagat zwischen Underground und bürgerlichem Feuilleton geschafft. Auf der Straße verzeiht man ihm den Erfolg. „Zum Glück steckt hinter der Spoken-Word-Poetry-Szene nicht soviel Geld wie im Musik-Geschäft. Man kann also gar nicht ,zu kommerziell‘ werden, selbst wenn man es wollte.“ Aber die amtliche Literaturkritik verzeiht ihm die Straße nicht so einfach. Sein erster Roman „Megaherz“ (Rotbuch, 2004) wurde fast einhellig und reichlich infam verrissen, nicht zuletzt weil man sich gerade darauf einigte, die Popliteratur totzuschreiben, die man noch nie richtig verstanden hatte.
Böttchers polyphone Sprachmusik muss man hören – diesen rhythmisch genau getakteten, fließenden, mit wilden Binnenreimen, Assonanzen, Alliterationen aufgebockten Sprechgesang: „Ich, der rastlose Wandrer/ chat im Net, check die Netiquette, hack was aus / browse weiter in die Usenet Newsgroups / ich cruise durch FAQs von Jesus, Jusos und Usergroups / Ich tu’s mit der Konsole aus dem Digital/Aus’m Silicon Valley mit Drag’n‘ Drop und Plug ’n‘ Play /Bei meiner Rallye auf dem digitalen Datendeck / lad ich schwer verschärfte Shareware weg/ Und zwar mit Hi-Tec!“
Auf dem Papier wirkt diese ziemlich amplifizierte Überwältigungsrhetorik manieriert. Und auch der Kontrast der Form zum mitunter ziemlich profanen, um nicht zu sagen: trivialen Inhalt kann einen schon etwas skeptisch stimmen. „Im besten Falle sollte ein Text Form und Aussage untrennbar miteinander verzahnen“, wendet er ein. „Die Form selbst wird also Teil der Aussage, manchmal bleibt sie sogar die einzige Aussage.“ Aber ist das schon Sprachkritik, wenn man den Phrasendrusch nu – allerdings virtuos – verdoppelt?
Wenn man Bas Böttcher hört, stellen sich solche Fragen erst gar nicht. Zum einen weil die Artistik seines Vortrags, das Tempo und die Prononciertheit dieser verbalen Legatoläufe, so beeindruckend ist. Vor allem aber weil seine Poeme in ihrem akustischen Aggregatzustand eine zusätzliche, ganz eigene, schlicht überwältigende musikalische Qualität entwickeln, die alles andere überstrahlt.
Er selbst weiß das am besten – und hat jetzt endlich in dem Dresdener Verlag Voland & Quist einen Partner gefunden, der seine aktuelle Publikation „Dies ist kein Konzert“, ein Best-of seiner erprobten Bühnentexte, als Hybrid aus Textbuch und Audio-CD herausbringt.