Das Paradies der Verweigerer
Die Dokumentation "Die Aussteiger und die Republik" entwirft ein idyllisches Bild von Hausbesetzern und Stadtflüchtern
Es war unsere Zeit“, sagt Gesine, und man spürt einen leicht sentimentalen Unterton in ihrer Stimme. Heute trägt sie einen Doktortitel vor dem Namen, aber das war nicht immer so. Vor rund einem Vierteljahrhundert gehörte sie noch dazu, zur Szene der Hausbesetzer, zu jenen jungen Menschen, die den Aufstand probten, die nicht hinnehmen mochten, daß es da Besitzer gab, die mit ihren Immobilien spekulierten, die leerstehen ließen, was andere bitter nötig hatten. „Ein riesengroßes Jugend forscht-Festival“ sei das damals gewesen, erinnert sich Conny, auch ehemalige Hausbesetzerin. Viel wollten sie damals, die Besetzer. Städte schöner machen, Gerechtigkeit schaffen.
Wohnraum retten. Sie mußten kämpfen gegen das System und gegen sich selbst. Instandbesetzer standen gegen Totalverweigerer, Radikale gegen Verhandler. Es war auf jeden Fall viel los in jenen Zeiten.
Man bekommt davon einen schönen Eindruck, wenn man die zweiteilige WDR-Dokumentation von Sabine Zurmühl verfolgt. Die hat sich auf die Suche gemacht nach jenen Menschen, die sich vor rund 25 Jahren entschieden, anders zu leben. „Die Aussteiger und die Republik“ heißt deshalb die gesamte Reportage, in deren erstem Teil (27. März, 23.15 Uhr, WDR Fernsehen) es um „Stadtträume“ ging, was in erster Linie für den Rückblick der damaligen Besetzer steht. Die meisten von ihnen leben inzwischen in akzeptierten Berufen, sie leben ruhiger, gesetzter, und wenn sie von damals erzählen, dann nimmt das manchmal genau jenen romantisierenden Grundton an, in dem früher die Nachkriegsväter ihren Einsatz an der Front verklärten.
„Alle wollten alles, aber keiner wollte die Verantwortung übernehmen.“ So faßt Conny schön die damaligen Verhältnisse zusammen. Man wollte anders leben und hatte sich plötzlich mit einer Gemeinschaft auseinanderzusetzen, in der zwischen total nett und völlig asozial oft nur Haaresbreiten lagen. Sich ausprobieren, lautete die Devise.
Sich ausprobieren wollten auch jene Menschen, die Sabine Zurmühl im zweiten Teil ihrer Dokumentation zeigt. „Landleben“ (3. April, 23.15 Uhr WDR Fernsehen) heißt der schlicht und berichtet viel von Menschen, die nach vollendeter Hausbesetzer-Karriere der Stadt den Rücken kehrten und sich am Pflug versuchten. „Cry Baby“ singt Janis Joplin am Anfang, und am Schluß berichtet sie von „Me And Bobby McGee“. Dazwischen ist viel von Cat Stevens zu hören, und einmal erklingt Lennons „Imagine“. Das trifft sehr schön die romantische Verträumtheit der Stadtflüchter, die oft Lehrer waren und in Sachen Landwirtschaft von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten. Das Motorrad hatten sie eingetauscht gegen eine Kuh, aber die trat aus und verursachte schlimmere blaue Flecken, als es ein Räumungstrupp der städtischen Polizei je geschafft hatte. „Wir wußten ja gar nix“, sagt Lothar, der eine Heimat im Bergischen Land gefunden hat. Andere zogen nach Niederbayern oder an die DDR-Grenze, stets dorthin, wo man walten konnte, wie man wollte. „Ausprobieren war wichtiger als Sicherheit“, heißt es im Film einmal aus dem Off.
Alles wollten sie selber machen: die Kleidung, das Gemüse, und die Liebe sollte frei sein, Eifersucht hatte Hausverbot. In den zahlreichen Aussagen, die die Autorin gesammelt hat, spiegelt sich viel von dem wieder, was die Menschen damals trieb. Auch ist zu spüren, daß sie zwar frei waren, von Leichtigkeit aber lange keine Rede sein konnte. „Wir haben fürchterlich viel gekifft, aber wir haben auch gearbeitet“, erinnert sich eine Uta, die mit einem Theaterprojekt ländlich wurde und plötzlich darauf achten mußte, daß sie nach dem Gemeinschaftseinkauf schnell noch etwas vom Käse abbekam, weil der sonst weggefressen wurde.
Für sehr klug hielten sich die Aussteiger am Anfang sowieso. „Wir haben den Bauern in der Umgebung erzählt, was Sache ist“, erinnert sich Jule, allerdings auch an deren Reaktion: „Die haben sich total amüsiert.“
Für viele war das selbstbestimmte Landleben ein kühnes Experiment. Jene, die daran scheiterten, taten es schnell, die anderen blieben und blicken heute mit einer gewissen Selbstzufriedenheit auf das Erreichte zurück. Sie haben etwas gewagt und ein Auskommen gefunden. Fragt einer den bergischen Bauern Lothar, ob sich seine Arbeit rechne, dann antwortet er: „Rechne mal 20Jahre Freude. Eine Super-Anlage.“
Der anfängliche Unbesiegbarkeitsglauben ist inzwischen dem Stolz gewichen, geblieben zu sein, wenngleich viele inzwischen ein Leben im Spagat führen. Sie schlafen auf dem Land, aber sie arbeiten in der Stadt. Manche sind sogar wieder Lehrer geworden, allerdings die wenigsten.
Sabine Zurmühl hat mit den Filmen ein schönes Porträt einer sehr besonderen Generation gezeichnet, einer Generation, der sie so viel Sympathie entgegenbringt, daß es manchmal gar zu idyllisch wird, wenn die Kamera wieder einmal über sattgrüne Felder schwenkt, wenn sich rote Blumen im Wind wiegen. So bleibt in den Bildern die Beschwernis aus, die von den Interviewten so wortreich beschworen wird. Es scheint, als habe die Autorin vor allem das Schöne abbilden wollen. „Es war ein bißchen wie im Paradies“, sagt Jule einmal, und angesichts der Bilderpracht kann man da nur beipflichten: Man sieht’s.