Schluß mit dem Radau
Im Wiener Burgtheater gaben Die Toten Hosen ein "unplugged"-Konzert - und mußten feststellen: Das Schwierigste an der Sache ist das Sitzenbleiben
Das geht ja gar nicht. Die Toten Hosen „unplugged“, ausgerechnet. Und dann auch noch im ehrwürdigen Wiener Burgtheater. Drehen die jetzt durch? Haben die gar keine Angst vor, Judas!“-Rufen? Zweimal nein. Sie wissen genau, was sie tun. Und sie wissen auch: Egal, was sie machen, manche Menschen finden es sowieso doof und noch mehr Menschen kaufen es auf jeden Fall. Da fällt das Experimentieren nicht gar so schwer.
Daß Die Toten Hosen den Vertrauensvorschuß der Fans nicht leichtfertig aufs Spiel setzen würden, war klar. Aber der Anfang des „Unplugged“-Konzerts war schon mutig: Mit „Blitzkrieg Bop“ und „Opel-Gang“ starteten die Düsseldorfer, ausgerechnet. Das geht ja gar nicht? Von wegen! So war gleich klar: Es gibt jetzt nicht nur die Balladen von „Alles aus Liebe“ bis „Nur zu Besuch“, sondern auch die Klopfer, die man sich auf die ruhige Tour kaum vorstellen kann. Campino gefiel dieser Einstieg: „Das brach sofort den Ernst der Lage auf und entspannte uns erst mal. Das war für uns ein Lacher, das hatte die richtige Lockerheit. Traurige Lieder haben wir ja viele, aber die nur aneinanderzuhängen, war nicht der Sinn dieses Unternehmens.“
Einerseits war den Hosen klar, daß sie die Sache nicht bierernst angehen wollten (man höre sich nur die Jazz-Version“ von „Eisgekühlter Bommerlunder“ an), andererseits wollten sie doch aus einigen Stücken die Substanz herausholen, die bei all dem Lärm bei gewöhnlichen Konzerten manchmal verlorengeht. Als Verstärkung brachten sie die Pianistin Esther Kim und den Cellisten Raphael Zweifel mit – und keine Vorbehalte mehr. Das Angebot, „MTV Unplugged“ aufzuzeichnen, lag der Gruppe seit Jahren vor, aber sie hatten stets gezaudert: „Wir hatten lange einfach nicht das Selbstbewußtsein, uns auf ein ganzes Album mit ruhigen Sachen einzulassen. Wir dachten immer, wir müssen noch mal klarstellen, wo der Hammer hängt und Radau machen. Jetzt war die Zeit einfach reif.“ Was das Komplizierteste an so einem gedämpften Konzertabend ist? Ganz klar, wenn man Campino fragt: „Der Gesang hat mich nicht eine Sekunde beschäftigt – ich wußte immer, daß das kein Problem ist. Das Sitzenbleiben war die Schwierigkeit. Diese ganzen Bewegungen und die Energie bei unseren normalen Shows – das ist ja nichts als Selbstschutz. Wenn gerade ein Solo gespielt wird, laufe ich von einer Seite auf die andere, damit ich nicht doof rumstehen muß. Es gibt nichts Schwierigeres, als einfach nur auf der Bühne präsent zu sein und nichts zu machen. Da fühlt man sich so nackt. Schlimme Momente, die mir peinlich sind. Aber das gehört dazu.“ So richtig konnte sich der Sänger aber nicht mit der Idee eines Stuhls anfreunden, am Ende wurde ein Flightcase aufgestellt. „Für mich verbietet sich Singen im Sitzen eigentlich. In 23 Jahren habe ich mich im Proberaum nicht einmal hingesetzt. Der Bauch muß atmen können. Das Flightcase war ein akzeptabler Kompromiß.“
Acht Wochen haben sich die Hosen auf die beiden Konzerte vorbereitet, die nun nachdem MTV schon Ausschnitte gezeigt hat – auf DVD und CD erscheinen. Songs wurden ausgewählt und wieder verworfen, verschiedene Herangehensweisen ausprobiert. Die fünf waren sich „fast immer einig“ – auch bei der Entscheidung, etliches umzuarrangieren, mehrere Covers einzubauen und vier neue Lieder zu spielen. „Die Leute sind durch das ,Setzt euch mal hin und hört Zu‘-Ritual eher bereit, sich auf neue Sachen einzulassen, auf ungewohnte Versionen und so. Man kann viel mehr Geschichten erzählen, statt ihnen nur Knaller um die Ohren zu hauen.“ Am ersten Abend war Campino von der überschwenglichen Reaktion des Publikums fast irritiert. Daß so viel mitgeschrien und -geklatscht würde, hätte er nicht gedacht. Die Stühle im Burgtheater haben wohl etwas gelitten, weil am Schluß alle auf ihnen standen, aber insgesamt ging es für ein Hosen-Konzert bei aller Euphorie doch recht zivilisiert zu. Daß einer während eines leisen Gitarren-Solos plötzlich „Kuddel!“ plärrt, hätte es zwar nicht gebraucht, aber geschenkt. War ja gut gemeint.
Zwei der neuen Songs, „Der Bofrost-Mann“ und „Popmusik“, wurden wieder mit Funny van Dannen geschrieben – eine Zusammenarbeit, die Campino immer noch sehr schätzt: „Funny hat eine Lockerheit, die bei mir in den letzten Jahren weniger geworden oder zumindest schwerer hervorzurufen ist. Ich lache gern und bin schon gern albern, aber beim Texten bin ich zufriedener, wenn ich über ernste Sachen schreibe.“ „Der Bofrost-Mann“ ist definitiv unernst (es geht um eine Affäre mit dem Tiefkühlzeug-Lieferanten), „Popmusik“ dreht sich dagegen um eine entscheidende Frage: Was tun, wenn man zu alt dafür werden sollte? „Und was kommt jetzt, wie lebst du weiter/ Willst du jetzt etwa Klassik hören?/ Bach oder Beethoven?/ Oder so tun, als ob man Jazz-Fan war?‘ Für sich selbst sieht Campino diese Gefahr übrigens gar nicht. Er orientiert sich lieber an den Musikern, die mit Würde dem Ruhestand trotzen. „Rockmusik ist eben mittlerweile so alt geworden, daß auch Rentner dabei sind. Manche werden peinlich, manche waren schon immer peinlich – aber manche halten auch so durch, daß man nur den Hut ziehen kann. Es interessiert doch niemanden, wie alt Nick Cave eigentlich ist. Der bleibt eine Institution, bis er in der Kiste ist. Der hat doch keinen Millimeter nachgelassen. Und das ist nur eins von vielen positiven Beispielen.“
Ein Schmankerl fürs nächste Jahr wurde im Burgtheater auch noch uraufgeführt: das Stück „Weltmeister“ mit dem unschlagbaren Chorus „Wir werden Weltmeister, Weltmeister, Weltmeister sein“. In den Strophen geht es ein bißchen ernster zu, wie es die Lage der Nation eben verlangt. Alles ganz schön finster: „Was ist bloß schiefgelaufen, daß so viele Menschen hier Musik von Grönemeyer kaufen?‘ Campino will das nicht als ernsthafte Kritik am Kollegen verstanden wissen, man kennt und mag sich. „Ich mußte das einbauen, weil ich mit ihm mal in London bei einem Fußballspiel England gegen Deutschland war, und Deutschland hat gewonnen, und er saß neben mir und hat dreckig gejubelt. Dafür kriegt er nach all den Jahren jetzt einen zurück. Herbert hat hoffentlich den Humor, da drüberzustehen.“ Campino wird die WM zwar zumindest solange verfolgen, wie seine Lieblingsmannschaft England dabei ist, aber am „ganzen Scheiß drumherum teilnehmen“ will er nicht. Keine Kolumnen schreiben, keine schlauen Kommentare abgeben. „Weltmeister“ als Single? Wohl kaum.
Überhaupt soll 2006 ein Pausenjahr für die Hosen werden, sie haben sich jetzt mal ein bißchen Ruhe verdient. Gitarrist Breiti macht eine Weltreise, der Rest hat auch andere Pläne. Und Campino will im Sommer in Berlin Theater spielen. Er kann das selbst noch nicht ganz fassen und will lieber noch nichts Konkretes erzählen, aber so viel verrät er dann doch: „Es kam ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Nicht im finanziellen Sinne, sondern von der Attraktivität her. Klaus Maria Brandauer hat mich angerufen, und wir haben uns auch schon getroffen. Ich bewundere den als Schauspieler, und er hat Interesse daran, mit mir an einem klassischen Stück zu arbeiten, das er etwas anders aufziehen will. Ich fühle mich natürlich geehrt. Da machen nur Voll-Profis mit, von denen kann ich sicher viel lernen. Natürlich muß ich hart arbeiten, aber so eine Gelegenheit bekommt man nicht zweimal. Ich habe noch nicht unterschrieben, aber ich glaube, ich bin dabei.“ Eine solche Herausforderung abzulehnen, wäre ja auch ganz Hosen-untypisch gewesen.
Campino wird also Schauspieler, wir werden Weltmeister – und das nächste Jahr ist gerettet.