Der Knallkopf TM

In den guten alten Zeiten konnte Queen Elizabeth noch fragen: „Sind die Beatles nicht komisch geworden?“ Mit „Revolver“, „Magical Mystery Tour“ und dem Kostümfest von „Sgt. Pepper“ hatten die Lausbuben das überschaubare Terrain verlassen, hatten mit Dylans Hilfe die Drogen entdeckt, und nach dem Tod von Brian Epstein trugen sie auch die biederen Anzüge nicht mehr, zu schweigen von ihrem erratischen Verhalten und den sogenannten Experimenten. Dylan selbst war ungefähr zur selben Zeit komisch geworden, ein wenig früher vielleicht, mit der Elektrifizierung und „Bringing It All Back Home“. Alles wurde so surreal, so sarkastisch, so uneigentlich. Komisch, komisch. Die Ausschweifung, der Exzeß, das sonderbare Benehmen ist der Rockmusik seitdem eingeschrieben, bloß daß etwas spätere Vertreter sich ums Leben brachten, Hotelzimmer verwüsteten, übermäßig den Frauen zusprachen, in Kleinflugzeugen auf Reise gingen, bizarre Sonderwünsche äußerten und großen Appetit auf Kokain entwickelten. Als „die Siebziger“ wurde die Ära des überbordenden Jet-Set-Rockertums notorisch, und erst kürzlich erinnerte uns Gunter Sachs daran, daß er höchstselbst Andy Warhol in Deutschland (nach Deutschland!) eingeführt hatte, zum Befremden der Hamburger Pfeffersäcke und Honoratioren: der Lebemann als Bürgerschreck und Avantgardist. Figuren wie Ozzy Osbourne, Alice Cooper und die Jungs von AC/DC schockierten noch vor den Totalverweigerern und Biertrinkern des Punk, später waren es so putzige Gestalten wie David Lee Roth, die Suff und Hurerei auf die Spitze trieben und gleich als Karikaturen auftraten, und irrtümlicherweise begriff der aufgeklärte Pop-Analytiker ihr Gebaren als „augenzwinkernd“, als Parodie und Groteske.

Es war die Entdeckung der Ironie, die allerdings schlecht zum Rock’n’Roll paßte. Irgendwann ist immer Schluß mit lustig. Die kindischen Konzeptionen der Beatles kippten in den sauertöpfischen, elegischen Zank von „LetltBe“, die Rolling Stones verschwanden im bukolischen südfranzösischen Drogensumpf, Jim Morrison nahm seine Gedichte zu ernst, The Band feierten die Historie und das Landleben, Crosby, Stills, Nash und Young entdeckten die Segnungen der Multi-Millionen-Dollar-Arenen-Tournee, die Sänger und Songschreiber widmeten sich der Poesie und der Kontemplation (freilich selten im Privatleben). Das Musikgeschäft wuchs. 1977 sang Jackson Browne eine kleine Hotelzimmer-Hymne aufs Lotterleben: „You take Sally, and I take Sue/ There is no difference between the two/ Cocaine.“

Seit Eminem, Marilyn Manson, Rammstein und der Bloodhound Gang sind Skandale planbar geworden, Bierkotzen auf dem Oktoberfest funktioniert wie bestellt. Es ist ein englischer Lümmel mit einem Drogenproblem, ein ganz ordentlich begabter Musiker und Freizeitdichter, der es – neben Robbie Williams‘ trüben Inszenierungen seines Geschlechts- und Hinterteils – als authentischer Knallkopf in die Boulevard-Presse und den Fernseh-Klatsch geschafft hat. Pete Doherty begann vor kaum vier Jahren als einer der beiden Typen, die bei den Libertmes vorn standen, der stets etwas derangierte Charismatiker mit dem großen Kinderschädel und den traurigen Augen. Damals waren die Libertines noch eine Sache der Musikpresse, die Singles machten neugierig, das erste Album begeisterte im Jahr 2002 mit Ungebärdigkeit, Melodienreichtum, Überschwang und britischer Schnodderigkeit. In der Welt der DVDs und der Deluxe-Editionen war es ein Zeichen dafür, daß noch nicht alles museal ist (aber auch nicht alles Download und Klingelton).

Seitdem ist Dohertys Drogenkonsum zu einem Stück Folklore geworden wie ehedem die Gin-Abhängigkeit der Queen Mum, Pete ist ein nationaler Schatz, und das zuletzt wenig beachtete Model Kate Moss konnte sich mit der Amour fou in Erinnerung rufen. Gekokst hatte sie schon früher, aber erst neben Doherty hat sie im reiferen Alter begriffen, daß die Sucht auch öffentlich gemacht werden will. Denn nach dem öffentlichen Sündenfall folgt bald die öffentliche Beichte. Die schön zerfahrene, schluderige Platte der Babyshambles ist nun ein Ereignis wie sonst nur das Madonna-Album.

Pete Doherty ist natürlich ein Hallodri und ein trauriger Fall – aber eine Karriere aus abgesagten Konzerten und grauenhaften Fotos hat es seit Harald Juhnke nicht mehr gegeben. Nur gut, daß wir nicht drauf reinfallen.

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