Knietief im Folk
Nach dem Erfolg ihres Bruders Rufus schreibt auch Martha Wainwright die Musiktradition ihrer Familie weiter
Einen besseren Titel hätte man dieser Platte gar nicht geben können: „Martha Wainwright“. Gut, das klingt natürlich schon wieder nach einem „persönlichen Album“ und der alten Singer-Songwriter-Egozentnk-Klagenummer. Stimmt auch. Aber wenn die Künstlerin Wainwright heißt und im besten Song, der natürlich „This Life“ heißt, ein kanadischer Folksong intoniert wird, in dem das jüngste Besatzungsmitglied auf einem in Seenot geratenen Schiff von den alten Seebären verspeist wird, weiß man erstens, daß die Eltern Kate McGarrigle und Loudon Wainwright die musikalische Sozialisation ihrer Tochter ernstgenommen haben, und ahnt zweitens, daß da eine interessante Geschichte dahintersteckt, denn schließlich ist ja auch Martha die Jüngste in ihrer überaus talentierten Familie und muß aufpassen, von musikalischem Erbe und Presse nicht lebendig verspeist zu werden.
„Du wirst lachen, aber ich denke mich tatsächlich in diese alten Folksongs hinein, wie andere Leute in Popstücke. Und diese alten Songs liefen bei uns in meiner Kindheit andauernd. Die Geschichten, die da erzählt werden, haben mir immer Trost gespendet. Anstatt mich selbst zu bemitleiden, höre ich mir diese alten Songs an, die sind so deprimierend, daß ich mich danach gleich viel besser fühle. Schmerz durch Musik zu verarbeiten fühlt sich jedenfalls besser an, als aus dem Fenster zu springen.“
Das tun die Charaktere von Marthas eigenen Songs allerdings bemerkenswert oft. „In Songs sterben ja dauernd Menschen – im übertragenen Sinn. Und ich schreibe nun mal meist, wenn ich in einer depressiven Stimmung bin.“
So könnten die Stücke auf „Martha Wainwright“ auch den Eindruck erwecken, es handle sich bei Martha um einen rechten Magenbitter. Kann man im Gespräch aber nicht feststellen.
Ein bißchen schüchtern ist sie, malt die ganze Zeit mit einem Bleistift auf einem Block herum, das hört man anschließend auch auf dem Mitschnitt. „(Bleistift: sssst) Dieses Dunkle ist keine permanente Stimmung bei mir (sie beginnt zu schraffieren). Die Stücke stammen ja aus den letzten acht Jahren. Eine lange Zeit, oder? Ich dachte mir halt, auch die ganzen alten Songs sollten einen Platz auf dem Album haben, damit die letzten Jahre nicht ganz verloren waren (legt Bleistift beiseite).“
Es war anscheinend eine harte Zeit, denn Martha war zwar talentiert, aber kein musikalisches Wunderkind wie ihr Bruder Rufus. Während der von den elterlichen Freunden Lenny Waronker und Van Dyke Parks unter die Fittiche genommen wurde, spielte Martha sich die Finger wund. „Vielen meiner Freunde in New York ging es ähnlich. Antony Hegarty (von Antony And The Johnsons) zum Beispiel oder Teddy Thompson (Sohn von Richard und Linda). Die mußten in New York auch unzählige Shows vor einem blasierten Publikum spielen, um ihre Miete zahlen zu können. Vielleicht klingen wir ja deshalb alle so unglaublich schmerzerfüllt (lacht, malt).“
Eine Plattenfirma fand sich für Marthas Songs zunächst nicht. „Vielleicht lag das daran, daß die Musik ziemlich eklektisch war und die Leute zunächst nicht verstanden, was diese Songs zusammenhalten sollte. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Es ist meine Stimme und die Art, wie ich die Sachen sage, die den roten Faden liefert. Also haben wir die Stimme auf den Aufnahmen besonders laut gemacht.“
Ganz sicher ist es die Stimme. Das kann jeder bestätigen, der Martha mal im Konzert erlebt hat. Wie sie sich beispielsweise Leonard Cohens „Tower Of Song“ zu eigen macht, zeigt schon, daß sie – ebenso wie ihre Mutter Kate und ihre Tante Anna McGarrigle – die perfekte Interpretin ist – nicht glockenhell wie die McGarrigles, sondern mit einer rauhen, leicht verruchten Stimme und jeder Menge Emphase. Ihre Mimik erinnert allerdings eher an ihren Vater Loudon, mit dem sie sich auch in einem ihrer beliebtesten Songs beschäftigt: „Bloody Motherfucking Asshole“.
Loudon, der für seine Kinder auch aufgrund der Scheidung von Kate – kaum Zeit hatte und seinen väterlichen Pflichten nur in Songs („Rufus Is A Tit Man“, „Your Mother And I“, „Father/ Daughter Dialogue“, „Father And A Son“) nachkam, bekommt es nun von seinen Kindern in gleicher Münze zurückgezahlt. „Ich habe einen großen Mund – sicherlich habe ich den von meinem Vater. Es wäre ja auch Quatsch zu verleugnen, daß er mich – genau wie meine Mutter und die Karriere von Rufus – in vielerlei Hinsicht beeinflußt hat. Und sei es nur, daß ich gedacht habe: Ich will hier weg. Aber ich finde es interessant, daß ich – obwohl ich meinen Vater recht selten sehe – eigentlich das gleiche Leben führe, das er die letzten 30 Jahre gelebt hat. Unterwegs sein, in schäbigen Motels absteigen, Shows allein mit der Gitarre spielen.“ Angst, auch von anderen Leuten mit ihren Eltern verglichen zu werden, hat sie nicht. „Das ist ein Erbe, mit dem ich trotz einiger Schwierigkeiten gut leben kann. Rufus und ich sind ja nicht Sean Lennon oder Jakob Dylan. Man sollte immer das Gefühl haben, daß man die Möglichkeit hat, seine Eltern zu übertreffen. Das haben wir.“